OT: Dolly and the Cookie Bird 1970
Dolly und der Lockvogel ist dem Erscheinungsjahr nach der zweite Band in der Reihe um die Segeljacht Dolly und ihren Besitzer, den rätselhaften englischen Porträtmaler und Agenten Ihre Majestät Johnson Johnson. Die weibliche Hauptfigur und Ich-Erzählerin heißt dieses Mal Sarah Cassels. De facto ist sie die Honourable Sarah Cassels, ihr Vater ist nämlich ein echter Lord.
Allerdings ist er tot, er wurde am Jachthafen von Ibiza gefunden, mit durchgeschnittener Kehle. Selbstmord, heißt es.
Das liegt durchaus im Bereich des Möglichen, denn Lord Forsey of Pinner war nach allem, was man hört, nichts als ein verarmter Playboy, stets im Gefolge der Schönen und Reichen an all den Orten der Welt, die die Schönen und Reichen so heimsuchen, und er war fast ebenso stets gründlich betrunken. Seine Frau, eine reiche und kunstbewanderte Amerikanerin, hat ihn längst verlassen. Außer Sarah gibt es noch ihren Bruder Derek, der bei einer Firma arbeitet, die elektronisches Gerät herstellt. Zum Beispiel für Rüstungszwecke.
Auch Sarah hat einen Beruf, sie hat eine Ausbildung als Köchin und ist gerade dabei, sich in London einen Ruf zu machen als Privatköchin für Veranstaltungen und in betuchten Privathaushalten. Sarah kocht gern, aber noch lieber träumt sie vom großen Geld.
Aufgrund ihrer Herkunft hatte sie ihr Lebtag mit schwerreichen Leuten zu tun, sie selbst hatte aber nur ihren Titel vorzuweisen, Geld war eher knapp. Genau das will sie hinter sich lassen, sie träumt von einem reichen Mann, der sie für den Rest des Lebens versorgt. Ihr Blick auf die anderen ist deswegen zweckbestimmt. Jede und jeder wird ausschließlich unter finanziellen Aspekten taxiert.
Das ist aber nur der eine Traum. Es gibt einen zweiten. Der zeigt eine andere Seite von Sarah, nämlich die eines jungen Mädchens - sie ist tatsächlich die jüngste alle Dolly-Protagonistinnen, höchstens Anfang 20 - , das höchst verletzt ist durch die eigenartige Lebensweise und die Entscheidungen ihrer Eltern, die sich nach nichts mehr sehnt als nach einem harmonischen Familienleben. Einem normalen Leben.
Bei aller Kaltschnäuzigkeit, die sie beim Erzählen zeigt, wird sehr schnell deutlich, wie sehr sie unter dem Tod ihres Vaters leidet, wie wütend sie auf ihre Mutter ist und wie verärgert über ihren Bruder, der, wie sie findet, ihren Playboy-Vater verachtet.
Kaum hat Sarah vom Tod ihres Vaters erfahren, gibt es einen rätselhaften Einbruch in der Wohnung, die sie mit ihrer Freundin teilt. Dem folgt eine ganz überraschende Einladung nach Ibiza durch einen alten Freund der Familie. Sarah nimmt an.
Für sie ist die Sache mit dem Tod ihres Vaters noch lange nicht abgeschlossen, ein Forsey of Pinner bringt sich nicht um. Dazu kommt noch die merkwürdige Angelegenheit mit dem neuentwickelten Radarsystem in Dereks Firma, von dem Teile verschwunden sind. Vom Juwelendiebstahl gar nicht zu reden. Ihr Bruder und ihre Freunde sind verwickelt und wenn es etwas gibt, das Sarah auszeichnet, ist es ihre Loyalität. Auch wenn sie die letzte wäre, die das zugeben würde. Ihr geht es nur ums Geld!
Bereits am Ende des zweiten Kapitels ist die Handlung schon so wunderbar verknotet und vertrackt, wie es nur Dunnett gelingt, und zu dem Zeitpunkt ist Johnson noch gar nicht aufgetreten.
Er läßt aber nicht lange auf sich warten und die Jagd beginnt umgehend. Auf reiche Männer, auf Mörder und Spione, auf attraktive Frauen. Jeder, der auftritt, hat etwas zu verbergen.
Kunsthandel, avantgardistische Kunst, Sonne, Palmen und Osterwetter auf einer spanischen Insel, Segelfahrten und immer wieder das Essen bilden den Hintergrund. Nicht umsonst ist Sarah Köchin. Das Buch ist nicht nur springlebendig durch Krimi-Spannung, es duftet regelrecht nach Süden und nach herrlichen Lebensmitteln. Es ist äußerst sinnlich.
Die Sinnlichkeit ist auch Thema, in kaum einem anderen Roman der Reihe geht es so körperlich zu. Und keinem anderen wird so ausführlich über den Preis des Geldes diskutiert, kaum einer geht so ungeschminkt der Frage nach, was passiert, wenn man sich verkauft.
Der Roman hat aber auch urkomische Seiten. Sarah, die in ihrem jugendlichen Überschwang so oft übers Ziel hinausschießt, ihre bitterbösen Skizzen der Männerwelt (Er roch nach Amerikaner ... Er trug eine große goldene Armbanduhr, die die Sekunden, die Stunde, den Tag, den Monat, die Mondphasen und die Telefonnummer seines Aktienhändlers anzeigte), ihre Mutter, eine wahrlich umwerfende Dame von Welt, deren Enthusiasmus für avantgardistische Kunst nur noch von ihrem Enthusiasmus für Männer übertroffen wird, Sarahs Freundinnen und Johnson, der in Hochform Salven ironischer Bemerkungen abfeuert, sind die Ingredienzien für etwas, das man in England ‚High Comedy’ nennt.
Eine ausufernde Conga-Party, die sicher ihresgleichen sucht und eine gefährliche Mörderjagd während der Karfreitagsprozession sind dabei Höhepunkte in einer Handlung, bei der man erst am Ende merkt, daß einem etwa seit Seite 20 der Mund halb offensteht.
Es geht auch blutig zu und das, was passiert, ist im Grund ziemlich traurig. Es geht, wie gesagt, um den Preis von Reichtum. Es geht vor allem aber um Sehnsucht, um den Wunsch, etwas Festes, Verläßliches zu finden in einer Welt, die einen so leicht täuschen kann.
PS: Dieser Band ist der einzige der Reihe, den ich im Original gelesen habe. Er ist, -es handelt sich um Dunnett! - , voller Wortspiele, anspielungsreich und nicht leicht zu lesen. Er ist ganz sicher nicht leicht zu übersetzen, u.a. deswegen, weil die Personen eine Art Slang sprechen, den Slang der Reichen eben.
Wenn man nur die deutsche Übersetzung kennt, ist diese englische Fassung tatsächlich ein ganz neues Dunnett-Gefühl.
Falls die Bücher je wieder aufgelegt werden, bin ich entschieden für eine sorgfältige Neu-Übersetzung.