Lyrischer Kanon – Marcel Reich Ranicki am 23. November 2007 in Heidelberg

  • Auf Einladung des Germanistischen Seminars der Universität Heidelberg und der Literarischen Gesellschaft Palais Boisserée stellte Marcel Reich-Ranicki heute in der neuen Aula der Universität Heidelberg sein Buch „Lyrischer Kanon“ vor.


    Mein Eindruck:
    Mit ca. 20 Minuten Verspätung aufgrund Stau auf der Autobahn begann die Veranstaltung mit einer Begrüßung Marcel Reich-Ranicki durch den Rektor und einer Einleitung.
    Die Aula war sehr gut besucht, im Gegensatz zur diesjährigen Poetikdozentur des germanistischen Seminars. Manchmal zieht halt doch eher der große Name.
    Es waren fast alle Altersklassen im Publikum vertreten, auch viele junge Leute.


    Marcel Reich-Ranicki, künftig nur noch MRR genannt, schlägt den Bogen zum Lyrik-Kanon über die Entstehung des gesamten Kanons: Romane, Erzählungen, Dramen und kurz der letzte Band Essays. MRR spricht erst einmal über die Gründe für einen Kanon. Als 14jähriger, als er sich intensiv und gründlich mit Dichtung auseinandersetzte, hätte er sch einen Kenner der eine Vorauswahl trifft, einen Kanon gewünscht. Deshalb machte er gerne die Arbeit für den Insel-Verlag und las die komplette deutsche Lyrik noch einmal und machte dann seine Auswahl.


    Über zeitgenössische Lyrik wird es an diesem Abend nicht gehen. Kaum, dass einmal der Name Durs Grünbein fällt.


    Mörike entdeckte MRR bei der Auswahl für sich, er hatte ihn, laut eigener Aussage, unterschätzt, dafür findet er Trakl überschätzt.
    Lange spricht er über den Mut, den man haben muss, um Gedichte wegzulassen.
    So hätte er fast Schillers Glocke weggelassen, aber die Rezeptionsgeschichte verpflichtete ihn dann doch. Schiller ist für ihn der beste Dramatiker, Goethe der größte Dichter.
    Rilke war ein schwerer Fall bei der Auswahl, da er so viele Gedichte geschrieben hat.
    Viel liegt MRR an Heine. Ihn schätzt er persönlich so sehr, dass er ihn viel berücksichtigt hat, ebenso wie Storm.
    Ein besonderer Fall ist auch Eichendorf, der sich jedoch zu viel wiederholt.
    Von Hölderin sind 22 Gedichte im Kanon enthalten, genauso viel wie Benn. MRR zähte jeweils im umfangreichen Inhaltsverzeichnis des Kanons nach.


    Abschließend stand MRR noch für einige Fragen zur Verfügung. Fast der amüsanteste Teil des Abends, da hier seine Bissigkeit und sein Gespür für Wortgefechte doch noch einmal aufblitzte. Zum Beispiel über Benn oder über das Themen Frauen in der Literatur


    Ich habe MRR schon einmal mit seinem Buch über amerikanische Literatur in Heidelberg, im DAI gesehen. Damals und auch diesmal war er viel entspannte, als man ihn aus dem Fernsehen kennt. Nach vielen Folgen des literarischen Quartetts habe ich jetzt auch seine sympathische Seite entdeckt.




    Kurzbeschreibung zum Buch, von Amazon:
    Der von Marcel Reich-Ranicki herausgegebene Lyrik-Kanon setzt die erfolgreiche Serie des Roman-, Erzählungen- und Dramen-Kanons fort. Der Lyrik-Kanon beginnt mit anonymen Gedichten des 9. Jahrhunderts, reicht über den Minnesang, die Dichtung des Spätmittelalters, der Reformation, von Barock, Klassik und Romantik bis zur Avantgarde des 20. Jahrhunderts und bis zur jüngsten Generation deutscher Lyriker.
    Band 1: Von Walther von der Vogelweide bis Friedrich Gottlieb Klopstock
    Band 2: Von Gotthold Ephraim Lessing bis Friedrich Schiller
    Band 3: Von Friedrich Hölderlin bis Annette von Droste-Hülshoff
    Band 4: Von Heinrich Heine bis Frank Wedekind
    Band 5: Von Stefan George bis Kurt Tucholsky
    Band 6: Von Klabund bis Paul Celan
    Band 7: Von Erich Fried bis Durs Grünbein



    Zu Marcel Recih-Ranicki laut www.uni-heidelberg.de:
    Marcel Reich-Ranicki wurde am 2. Juni 1920 im polnischen Wloclawek geboren. Als Schüler lebte er in Berlin, im Herbst 1938, kurz nach dem Abitur, wurde er verhaftet und nach Polen deportiert; von 1940 bis 1944 lebte er im Warschauer Ghetto. Von einem Aufenthalt in der Bundesrepublik kehrte er 1958 nicht zurück in die Volksrepublik Polen. Nachdem er zunächst für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" und für "Die Welt" geschrieben hatte, war er von 1960 bis 1973 ständiger Literaturkritiker der Wochenzeitung "Die Zeit". Von 1973 bis 1988 leitete er in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" die Redaktion für Literatur und literarisches Leben. Er ist weiterhin in der F.A.Z. als Kritiker und als Redakteur der Frankfurter Anthologie tätig. Reich-Ranicki war Mitarbeiter der "Encyclopedia Britannica" und gehörte als Kritiker der Gruppe 47 an. Er war Mitinitiator des Klagenfurter Wettbewerbs um den Ingeborg Bachmann-Preis und von 1977 bis 1986 der Sprecher der Jury dieses Wettbewerbs. Vortragsreisen und Gastprofessuren führten ihn in die USA, nach Kanada, Israel, China, Australien und Neuseeland sowie in zahlreiche europäische Länder. Von 1988 bis 2001 leitete er das "Literarische Quartett" des Zweiten Deutschen Fernsehens. Er erhielt zahlreiche Auszeichnungen und Ehrendoktorwürden.

  • Vielen Dank für den Beitrag :anbet
    Da wäre ich gerne dabei gewesen. Ich mag MRR und seine ganze Art, die ich leider nur aus dem Literarischen Quartett kenne.
    Mich würde noch interessieren, über welche Frauen in der Literatur er sich geäussert hat. Oder war das eher allgemein gehalten?

    Liebe Grüße,
    Ninnie



    Es ist ein großer Vorteil im Leben, die Fehler, aus denen man lernen kann, möglichst früh zu begehen.
    Sir Winston Churchill 1874-1965

  • Zitat

    Original von Herr Palomar
    Zum Beispiel: Anna Seghers, Ingeborg Bachmann, Ilse Aichinger.
    Er hat auch Ruth Klüger als Kritikerin erwähnt.


    Generell sagt MRR aber:
    "Ich pflege nicht Lyriker nach den Geschlechtsteilen zu beurteilen."


    Dankeschön :wave

    Liebe Grüße,
    Ninnie



    Es ist ein großer Vorteil im Leben, die Fehler, aus denen man lernen kann, möglichst früh zu begehen.
    Sir Winston Churchill 1874-1965