OT: Dolly and the Singing Bird 1968
Dorothy Dunnett gilt auch in Deutschland längst als die Grande Dame des Historischen Romans. In den späten sechziger und frühen siebziger Jahren aber hat sie auch eine zunächst auf fünf Bände begrenzte kleine Reihe zeitgenössischer Spionage-Romanen geschrieben. Das sind die sogenannten ‚Dolly’-Romane oder die Johnson-Johnson-Reihe, benannt entweder nach der Segeljacht Dolly oder ihrem Besitzer mit dem unverwechselbaren Doppelnamen.
Die Geschichten sind alle auf die gleiche Art aufgebaut und gleichen sich auch äußerlich. Der Name der Jacht erschient immer im Titel, ganz so, als ob diese die Protagonistin sei. Das ist nicht ganz falsch. Die Jacht und das Segeln spielen stets eine tragende Rolle im Ablauf der Handlung.
Jede Geschichte wird von einer weiblichen Hauptperson erzählt, in der Ich-Perspektive und in der Rückschau. Jede Geschichte beginnt zudem damit, daß die Erzählerin einen ganz bestimmten Gegenstand erwähnt, nämlich Johnsons Zweistärkenbrille. Somit ist auch Johnson vom ersten Satz der Geschichte an präsent, auch wenn er vom eigentlich Handlungsablauf her gesehen noch nicht vor Ort ist.
Wer die Erzählerin ist und auch, wer genau Johnson ist, enthüllt sich erst ganz allmählich. Wie auch in ihren historischen Romanen füttert Dunnett die Leserinnen und Leser nur bröckchenweise. Man sollte kein Wort überlesen und nicht einmal das geringste verbindende ‚und’ oder einen schlichten Artikel auf die leichte Schulter nehmen.
Nicht unbeachtet lassen sollte man beim Lesen auch den Umstand, daß es kein Gesetz der Welt gibt, das Romanfiguren zwingt, die Wahrheit zu sagen. Keine der Frauen, die da spricht, ist ganz ehrlich. Sie haben alle etwas zu verbergen, vor allem vor Johnson.
Berühmter Porträtmaler, berühmter Segler und, gemeinerweise, Agent der englischen Spionageabwehr in einer ungekämmten, Wollpullover - und zerknautschte Hosen tragenden, pfeiferauchenden Person mit Zweistärkenbrille auf der Nase, wird auch Johnson nur aus den Augen der Erzählerin geschildert. Die vielen Rätsel um seine Person aber bewirken, daß man ihm, ohne daß man es recht merkt, beim Lesen volle Aufmerksamkeit widmet. Die Neugier ist eben mächtig. Auf diese Weise wächst Johnson aus den Nebeln, in die ihn seine Schöpferin bewußt hüllt, unversehens als zweite Hauptfigur heraus - er ist der Antagonist zur Heldin, an ihm spiegelt sich alles, was sie denkt und wie sie handelt.
Aber auch Johnson hat natürlich das Recht zu lügen und sich zu verstellen, die Erzählerin erliegt seinen Täuschungsversuchen wie die Leserinnen den ihren.
Es ist der rundum bewundernswürdigen Meisterschaft der Autorin beim Ausdenken von Geschichten wie beim Formulieren zu verdanken, daß man als Leserin aus diesem verrückten Vexierspiel heil herausfindet und hinterher völlig begeistert ist davon, obwohl man eigentlich ganz übel hereingelegt worden ist.
Für mich waren die Krimis, die ab den 1980er Jahren in Deutschland erschienen etwas ganz Originelles in einem Genre, das mir damals recht steril erschien. Witzig, gescheit, zwischen Krimi und Spionage-Thriller angesiedelt sind sie bis heute höchst unterhaltsam und lebendig.
Pech hatte Dunnett allerdings mit ihrem deutschen Verlag, Ullstein. Die Romane wurden recht unsauber übersetzt und schludrig gesetzt umgehend zum Druck gegeben. Sie strotzen vor Fehlern. Das sollte einen aber nicht vom Lesen abhalten.
Dolly und der Singvogel, der erste der Dolly-Reihe, ist die Geschichte der Sängerin Tina Rossi.
Tina Rossi ist die berühmteste, betsausehende - und reichste - Koloratursopranistin ihrer Tage. Der Mann, mit dem sie ein Verhältnis hat, ist Dr. Kenneth Holmes, ein Ingenieur, der an einem hochwichtigen Geheimprojekt arbeitet. Aus seinem Labor sind wichtige Papiere verschwunden. Schlimmer noch, als Tina in Edinburgh eintrifft, wo sie mit Kenneth verabredet war, ist auch Kenneth verschwunden. Statt seiner findet sie die Leiche eines Unbekannten, einen Einbrecher und einen komischen Typen mit Wollpullover und einer Zweistärkenbrille. Der ist gerade in Edinburgh, weil er an der Königlichen Regatta zu den schottischen Inseln teilnimmt. Das erzählt er jedenfalls Tina. Er hört auf dem komischen Namen Johnson Johnson.
Nun erfährt Tina, daß Kenneth Holmes möglicherweise auf der Insel Rum an der Westküste Schottlands zu finden ist. Und Johnson hat eine Jacht. Zudem ist sie als Berühmtheit nicht ganz frei von Eitelkeit. Johnson, von dessen Ruhm als Porträtmaler sie inzwischen gehört hat, zu überreden, auch von ihr ein Bild zu malen, wäre eine wunderbare Feder in ihrer Krone. Tinas Plan geht auf, Johnson willigt ein, sie auf der Dolly zur Wettfahrt um die Inseln, unter denen auch Rum ist, mitzunehmen und, noch besser, er wird sie malen.
Aber nicht nur Tina spielt ein Spiel, auch Johnson hat so seine Interessen. Die Angelegenheit mut dem Geheimpapieren ist eben zu wichtig. Was nach außen wie eine lockere Segelfahrt ziemlich betuchter Prominenter aussieht, wird zu einem Wettrennen konkurrierender Geheimdienste par excellence. Und zum Kern einer sehr bitteren Geschichte um Liebe, Eitelkeit, Ehrgeiz und Gier.
Es ist wirklich schade, daß diese sehr gut geschriebenen, höchst unterhaltsamen Puzzle - Romane mit ihrem originellen Helden und den fünf ganz unterschiedlichen konzipierten Erzählerinnen nicht mehr im Handel sind.