Es beginnt gleich richtig und mittendrin. Ein Mädchen findet sich, völlig außer Atem, auf einer Straße vor einem Schaufenster wieder. Sie hat keine Ahnung, wie sie dahin gekommen, noch schlimmer, sei hat keine Ahnung, wo sie ist. Am schlimmsten: sie weiß nicht mehr, wer sie ist. Was sie weiß, ist, daß sie Angst hat.
Ein Junge, der als Punk verkleidete Pit, spricht sie an, er möchte ihr helfen. Was neugierig-freundschaftlich gemeint war, wird rasch zu einem gemeinsamen Puzzlespiel. Die Teile? Eine Telefonnummer auf einem rosaroten Zettel, das Papierschirmchen einer Eisdiele, ein goldener Ehering mit einem Datum aus dem Jahr 1939.
Die ersten Versuche der Jugendlichen, das Rätsel zu lösen, führen nur zu neuen Puzzleteilen. Nichts paßt, das Rätsel wird nur größer.
Eine erste Lösung scheint sich abzuzeichnen, als das Mädchen, inzwischen im Krankenhaus gelandet, von einem Mann abgeholt wird, der behauptet, ihr Vaterzu sein. Doch sie erkennt ihn nicht und der Name, den er ihr gibt, Anouschka, löst auch keine Erinnerung in ihr aus.
Im Haus ihres Vaters, einer Luxusvilla, stolpert Anouschka noch am ersten Tag über eine dicke Lüge ihres Vaters. Ihr Mißtrauen ist nun endgültig geweckt. Zusammen mit Pit, seinen Freunden und Eva, die sie im Krankenhaus kennengelernt hat, macht sich Anouschka energisch daran, dahinter zu kommen, was mit ihr passiert ist. Sie begreift bald, daß sie gar nicht unrecht hatte mit ihrer schrecklichen Angst.
Die Geschichte ist gut gemacht, ziemlich durchdacht und solide zusammengebaut. Sie ist straff erzählt. Spuren werden gelegt, das eigentlich Ziel aber nie aus den Augen verloren. Der journalartige Aufbau zeigt, daß sich die ganze Handlung in nur zehn Tagen abspielt, was zum Tempo beiträgt. Hinweise zum Mitraten werden geliefert, manche Täuschungsmanöver sind raffiniert genug, daß man auch als erwachsene Leserin unsicher werden kann. Die Hauptfiguren sind nur knapp beschrieben, wirken aber rasch bestechend lebendig, eben weil die Autorin so sparsam arbeitet und einem nur die wichtigsten Leitlinien vorgibt. Der Rest entwickelt sich in der Phantasie beim Lesen.
Ziemlich gut gelungen ist der Kniff, einen Teil der Indizien und damit auch der Lösung mit Hilfe von Albträumen zu vermitteln, unter denen Anouschka leidet. Dieses Schweben zwischen Traum und Realität verstärkt auch die Darstellung der Gefühlswelt Anouschkas, die ja nie sicher sein kann, was nun Wahrheit ist und was Lüge.
Ein wenig zu friedlich-freundlich kommen Pit und seine Freunde an, das hat einen Hauch klassischer Kinder-spielen-Detektiv-Geschichten, was heutzutage ein bißchen altbacken-rosarot wirken kann. Diese als Punks bezeichneten Kids leben immerhin in einem heruntergekommenen Fabrikgebäude. So einfach frisch-fröhlich-hilfsbereit sind Jugendliche dann doch nicht gleich, wenn sie de facto auf der Straße gelandet sind.
Die Schreibweise des Namens Anouschka mit ‚ou’ fand ich persönlich ein wenig affektiert.
Was mir andererseits sehr gut gefallen hat, war, daß sich die Autorin in keiner Weise bei Jugendlichen anbiedert. Nicht mit vorgeblicher flapsiger Jugendsprache, nicht mit verschwörerisch-augenzwinkerndem product placement oder dem Aufzählen angeblich einschlägiger TV-Serien und angeschwärmter Filmstars. Sie setzt auf Sparsamkeit in jeder Hinsicht. Das hebt dieses Buch aus gängigen Produkten des Genres durchaus heraus.
Die Handlung ist insgesamt sehr spannend, die auftretenden Personen sind ganz unterschiedlich charakterisiert und haben auch jede und jeder für sich eine eigene Geschichte. Und der eigentliche Dreh des Ganzen ist wirklich überraschend und originell. Ein echter Krimi.
Empfehlenswertes Lesefutter für junge Krimileserinnen.