Pogromnacht 1938 - Studie von Dez 2006 " Ich habe nichts gegen Juden, aber ..."

  • Deutschebea


    nein, ich verstehe nicht recht, was Du meinst. Dein Satz ist etwas zu kurz.


    Mir keimt im Hinterkopf, daß Du auf den Vorwurf mancher zeitgenössischer Hitler-Gegner anspielen könntest, demnach Hitlers vater in irgendeiner Weise 'jüdisch' gewesen sein soll?
    Der ist allerdings unhaltbar und hat mit der Frage des Antisemitismus in Deutschland - eine Ideologie hochehrwürdiger Tradition - nichts zu tun.


    Im übrigen bin ich überhaupt nicht dafür, für Jugendliche Themen zu vereinfachen. Im Gegenteil, wenn man sie zu kritischem Denken erziehen will, und das soll doch sicher das Ziel sein, ist es wichtig, ihnen eine Vorstellung der Komplexität der Dinge zu vermitteln.
    Die Schritte dabei müssen altersentsprechend zunächst klein sein, sie haben ja auch kleinere Füße und kürzere Beine, aber die Sache deswegen klein zu machen, wäre ganz falsch.
    Das hieße wohl auch, Kinder und Jugendliche dümmer zu machen, als sie sind.
    Kinder sind nicht zu unterschätzen, verflixt klug, die Bande. :grin


    Das sind aber nur so meine küchenpädagogischen Ideen am Rande.


    :wave


    magali

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • magali- wenn ich meine Hitlerbiographien richtig in Erinnerung habe geht es um Adolfs Großmutter,die war Dienstmädchen bei einem Juden. Ganz unüblich war es nicht, dass Dienstmädchen von der Herrschaft geschwängrt wurden- aber historisch ist dies sehr unwahrscheinlich. Wie auch immer- zum großen Ariernachweis hätte es Adolf nicht gelangt.

  • Ich liebe übrigens meine Klischees!



    "Mich beschämt, dass Deutsche so viele Verbrechen an Juden begangen haben"
    Was bitte ist das für eine Frage an junge (18-29-jährige) Menschen, die ja gar nichts dafür können. Schämen sich die jungen US-Amerikaner für das Verhalten ihrer Vorväter an den Indianern?


    Bringe ich mit solchen Fragen Geschichte näher?


    Ich werde die Studie weiterlesen, obwohl auch sie nicht auf Klischees verzichtet.

    Die Dichter
    Es soll manchen Dichter geben,
    der muß dichten um zu leben.
    Ist das immer so? Mitnichten,
    manche leben um zu dichten.
    Heinz Erhardt

  • Deutschebea


    nein, die Frage ist natürlich nicht richtig. Und sie stößt direkt zum Lernproblem vor und letztlich liefert sie die Antwort auf die Frage, warum junge Menschen heutzutage antiisemitisch sind.


    Die Scham ist der Grund und die Schuldgefühle. Die werden nämlich ausgelöst durch die Art der Behandlung des Themas im Schulunterricht und in den Medien.
    Dann aber werden die jungen Leuet damit alleingelassen.
    Da stehen sie nun und schämen sich. Kollektiv.
    Und irgendwann werden sie miffig und muffig und sauer. Weil sie sich nicht zu helfen wissen, das nämlich hat ihnen keiner beigebracht, suchen sie einen Schuldigen für ihr Unbehagen.
    Wer anders könnte das sein als die, deren Leid das Unbehagen ausgelöst hat?
    So läuft das.


    Deswegen muß man sich fragen, warum diese Ereignisse auf die Weise abgehandelt werden, wie sie abgehandelt werden.
    Nun stammen unsere Schulbücher nicht von 1933, sonder von 1960 und 70 und 80 und von 2006.
    Deswegen müßte man eigentlich auch die Frage nach der Rolle der BRD bei der Behandlung dieses Themas stellen.
    Da wird es äußerst konfliktträchtig.


    Was bedeutet z.B. 'beschämt' im Zusammenhang mit 'Deutsche'?
    Was ist eigentlich das Gegenteil von 'beschämt'? Schamlos? Unverschämt?
    Ist 'beschämt deutsch' das Gegenteil von 'schamlos deutsch'? Unverschämt deutsch?
    Was ist eigentlich deutsch?


    Oder ist das Gegenteil von 'beschämt' etwa stolz?
    Ist das Gegenteil von 'beschämt deutsch' 'stolz deutsch'?


    Es geht hier längst um Identitäten, Vorstellungen von Nationalität. Auch über solche Befindlichkeiten werden Jugendliche nicht aufgeklärt.


    Und natürlich geht es um die Frage, was oder wer Juden sind. Auch darüber macht man sich kaum Gedanken.
    Ich stelle die Frage immer. Und beobachte meine Gegenüber, wie sie ins Schleudern kommen.
    Es macht mich traurig. Und ein bißchen schäme ich mich auch. Zum Beispiel darüber, daß ich in einem modernen Land lebe, das sich Demokratie nennt und desen Vergangenheit nicht diskutuert wird, sondern in einen Karton gepackt und als bewältigt erklärt wurde.
    Nicht zuletzt von der Generation derer, die den Mist angerichtet hat.


    :wave


    magali

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Und warum soll man immer alles hinterfragen, warum kann man nicht -- ganz für sich selbst -- entscheiden, ob auf dem Karton bewältigt oder unbewältigt steht.
    Scherr und Schäuble stellen ja auch fest, dass das ganze für viele Jugendliche irrelevant ist, ob aus Desinteresse oder Informationsmangel. Wenn es also jemanden nicht interessiert, warum soll dann einer kommen und in Problemen herumstochern, wie der Zahnarzt mit seinem Häkchen, die der Jugendliche vorher gar nicht hatte? Nur um den Informationsmangel auszugleichen?


    Natürlich muss Anti-Semitismus entgegen getreten werden - mit Information. Vor allem muss aber Aufklärung an den Schulen über braunes Neo-Nazi-Gesocks und deren subtiler Methoden erfolgen.


    Die "Judenfrage" so hoch zu hängen im Zeitalter von Migrationsproblemen en masse an Schulen scheint mir übertrieben. Auch wenn die Studie dieses Thema vergleichend aufgreift.


    Eltern, Verwandte und Pädagogen sollten dann bereit stehen, wenn Fragen an sie herangetragen werden. Ich weiß nicht, wie und was in den Schulbüchern steht. Aber meine Tochter hat sich sehr lebhaft mit Hitler, den Juden und dem dritten Reich auseinandergesetzt, was wir durch Gespräche und Bücher unterstützen. Während das Thema ihren Klassenkameraden mit Migrationshintergrund ziemlich gleichgültig war. Willst du die nun zwingen, sich damit zu beschäftigen?


    Die Jugendlichen empfinden Scham, weil sie es nach wie vor von den Medien oktroyiert bekommen. Und genau das sollte aufhören. Man sollte schon mal zu einer gewissen Normalität im Umgang mit der deutschen Geschichte gelangen. Was nicht heißt zu vergessen und zu verdrängen. Aber schon meine Eltern hatten keine Schuld an dem, was ab 1938 passierte, sie waren Kinder. Und wenn meine 16-jährige Tochter sagt, sie lasse sich verdammt noch mal keine Schuld für etwas in die Schuhe schieben, das 50 Jahre vor ihrer Geburt passierte, dann hat sie recht.


    Mal sehen, was die Studie noch so alles bringt

    Die Dichter
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    der muß dichten um zu leben.
    Ist das immer so? Mitnichten,
    manche leben um zu dichten.
    Heinz Erhardt

  • Wie kann man eine Entscheidung treffen, wenn man vorher keine Fragen stellt?
    Wie kann man als moderner Mensch anders als Gegebenheiten zu hinterfragen?
    Ist das nicht eben unsere Zivilisationsleistung, daß wir ungehindert und dauernd fragen dürfen?
    Nicht einfach hinnehmen müssen?
    :gruebel



    Die Crux an der Sache ist eben der Umgang mit dem Thema. Ich schrieb es oben. Es wird benutzt, um Schuldgefühle zu wecken.
    Da muß man fragen, warum das so ist. Wem das nützt.


    Und prinzipiell ist Antisemitismus eine Form des Rassismus. Um darüber aufzuklären, also über Rassismus, muß man auch über Antisemitismus sprechen.


    Dieses Kleben an der Schuld-Debatte befremdet nun mich, das sage ich ganz offen. 'Ich hab keine Schuld, also will ich nichts davon wissen'?
    Ist das die einzige Antwort, die Eltern heute ihren Kindern mitgeben können? 'Du bist nicht schuld, also vergiß die Sache'?


    Die Ermordung der Juden durch die Nationalsozialisten hat ihre Auswirkungen und Folgen in der heutgen Weltpolitik. Geht mich das dann auch nichts an, weil meine Großeltern nicht schuld waren?


    Wie erklärt man Kindern z.B., daß ein Bundesland, in dem Fall Brandenburg, die Zuschüsse für die Stellen streicht, die für die Aufklärung über Nazis, alt und neu, in Schulen zuständig sind? Wer hält hier dem Antisemitismus noch entgegen?
    Wie erklärt man Kindern prügelnde Nazis?
    uckt weg, Ihr seid nicht schuld?
    Wer hat hier Schuld? Und welche?


    Es kann doch nicht angehen, daß man da nicht fragt, ob Zusammenhänge bestehen, zwischen dem Karton und dem bewußt anerzogenen Schuldgefühl und der ebenso bewußt anerzogenen Überzeugung, daß hier alles gut läuft, nur weil der Staat sich das Etikett 'Demokratie' vorne aufgeklebt hat?


    Ich stelle halt Fragen, das ist ein Dfekt bei mir. Ich muß ein Gen haben, in Form eines Fragezeichens. Oder fragezeichenförmige Hirnwindungen.
    :lache

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Mir fällt es jedesmal auf, dass die Generationen, die nach dem Holocaust geboren wurden, immer noch für die grausamen Verfehlungen ihrer Landsleute oder Vorväter zur Verantwortung gezogen werden. Natürlich helfen da die Sammelklagen der Nachkommen der Opfer auch nicht, das Verhältnis zwischen den Gruppen (Nachkommen der Täter und Opfer sowie der Unbeteiligten) zu verbessern, es wird instrumentalisiert, aber nicht normalisiert. Sippenhaft ist oft kontraproduktiv.


    Eine Unbefangenheit der anderen Kultur gegenüber, wie es z.B. bei mir der Fall ist, ist so gar nicht möglich.


    3 oder 2 Generationen später sollte sich das aber langsam wieder ändern. Soll ich mich mich vielleicht auch noch für Napoleons Russlandfeldzug verantwortlich fühlen, nur weil mein Vater Franzose ist?

  • Kopfschütteln ist mal wieder alles was bleibt. Manchen Beitrag kann ich nach wie vor nicht nachvollziehen.


    Dieses deutsche Micheltum, diese Zipfelmützenphilosophie, wie hier von Deutschebea vorgetragen wird, hat doch letztendlich Auschwitz erst möglich gemacht. Was ich nicht weiß, das hat es auch nicht gegeben.


    Wie will man über den braunen Sumpf der heutigen Zeit sprechen, wenn man nicht bereit ist auch über die Wurzeln zu reden. Auch die jungen Menschen von heute haben sich gefälligst mit den dunklen Seiten ihrer Geschichte zu befassen. Sind sie es doch letztendlich, die die Nazis wieder hoffähig machen indem sie sie in die Parlamente wählen.

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Oryx, da gebe ich dir völlig Recht. Das erste, was meine Tochter in der Oberschule zu hören bekam war H... H... , oder Nazi-Schlampe. Und das in Österreich!
    Dito ich in USA, mein Mann kann auch ein Lied von USA, Holland und Dänemark , sowie Italien singen.
    Es gibt kein Gespräch, welches nicht unweigerlich auf den Holocaust zu sprechen kommt - im harmlosen Fall. In krassen Fällen sind Anfeindungen ob unserer Deutschstämmigkeit vorgekommen.
    Man wird sofort in die Defensive gedrängt und kann höchstens mit Indianerabschlachtung, Bombennacht in Dresden, Atombombe in Hiroshima etc. kontern, was mir aber nicht liegt, denn die heutigen Amerikaner sind auch genauswenig schuld daran, wie wir an dem Holocaust.
    Und ein Ende dieser Anfeindungen ist nicht abzusehen. Ich möchte gerne wissen, wieviele Generationen von Deutschen darunter noch leiden müssen.

  • In New York habe ich die Erfahrung nicht gemacht. Ich habe in einer Investmentbank gearbeitet und hatte einige jüdische Kollegen. Wir waren alle ziemlich unter Druck und haben uns im Eifer des Gefechts auch gerne mal angebrüllt. Aber Nazi hat mich nie jemand genannt.

  • Zitat

    Original von Sisi
    In krassen Fällen sind Anfeindungen ob unserer Deutschstämmigkeit vorgekommen.
    Man wird sofort in die Defensive gedrängt und kann höchstens mit Indianerabschlachtung, Bombennacht in Dresden, Atombombe in Hiroshima etc. kontern, was mir aber nicht liegt, denn die heutigen Amerikaner sind auch genauswenig schuld daran, wie wir an dem Holocaust.
    Und ein Ende dieser Anfeindungen ist nicht abzusehen. Ich möchte gerne wissen, wieviele Generationen von Deutschen darunter noch leiden müssen.


    Ja, Sisi, du hast sicher recht. Wir wollen nicht als Nazis oder Antisemiten angesehen werden. Wir lehnen die Kollektivschuld ab. Wir sind gegen eine pauschalisierte Verurteilung. Gegen solche Vorurteile wehren wir uns.


    Seit Jahrtausenden müssen die Juden mit Vorurteilen leben. Diese Vorurteile haben 6 Millionen Menschen das Leben gekostet. Wir reden hier vom Holocaust.
    Und der wiederum ist eine verdammt deutsche Angelegenheit. Das ist hier das Thema.


    Wieviel Generationen von Juden werden noch darunter leiden müssen, dass ihre Verwandten und Vorfahren grausam und auf bestialischste Weise umgebracht wurden.


    Mit Verlaub, das Leiden unserer nachfolgenden Generationen erscheint mir doch um einiges erträglicher.

  • Cookie : Es ist doch eher die Segregation die Vorurteile schürt. Was man nicht kennt und was anders ist, wird abgelehnt.
    Selbst mir - und ich bezeichne mich als absolut westlich orientiert - wird Unverständnis entgegen gebracht, weil meine Weltanschauung heidnisch und nicht christlich ist.
    Wenn ich dazu noch in offensichtlich anderer Kleidung und Essgewohnheiten herumlaufen würde, dann würde ich wahrscheinlich noch schiefer angesehen werden und u.U. scharf kritisiert werden.


    Leute müssen aufeinander zugehen und voneinander lernen, sich assimilieren und trotzdem andere Meinungen und Lebensstile tolerieren lernen.


    Geschichte ist wichtig, gerade um von Fehlern zu lernen, aber man muss sich nicht für die Taten früherer Generationen emotional verantwortlich fühlen. Es ist Glücksache, in welche Gesellschaft man hineingeboren wurde, aber man muss Dinge nicht hinnehmen und man kann vieles verändern, wenn man anderen Dingen und Menschen unbefangener entgegentritt.


    Ich will nicht hauptsächlich als Angehöriger eines Volkes wahrgenommen werden, sondern als eigenständiges Individuum, welches sich mit anderen Individuen auseinandersetzt. Ich bewerte jemanden nicht nach Volkszugehörigkeit, sondern nach seinem Charakter.

  • Oh ja, das Leiden der Generationen. Dies kommt immer zur Sprache, wenn es um gegenwärtige (!) Zeichen des Antisemitismus geht. Allein magalis Beitrag zeigt einen Zusammenhang auf, der einen nachdenklich stimmt, und doch, so richtig will hier keiner darauf eingehen.
    Weshalb verteidigen sich alle so wehement und zeigen ausdrücklich auf die Vergangenheit, wenn doch heute keine Schuld mehr besteht?
    Der Rechtfertigungsdruck kommt auch von innen. Und vielleicht will man sich weniger vom sls ungerecht empfundenen Vorwurf der Mitschuld befreien als vielmehr der intensiveren Auseinandersetzung entgehen, dass eben keine heile tolerante Landswelt entstanden ist und man theoretisch wie praktisch immer wieder daran arbeiten muss, so etwas nicht gedeiehen zu lassen. Klar, in anderen Ländern gibbet das auch: Polen, Österreich - die Geschichte scheint sich auch da wohlzufühlen. Aber hier d.h. "bei uns" hat es eben den Punkt, dass es ein Heimspiel wäre und solcherlei Ideologien bereits herrschten, es alles irgendwie fremd gegenwärtig bleibt.
    Es bleibt eben - konserviert. Geschichte trennt sich von heute. Entweder weil es heißt "das darf man nicht vergleichen - damit relativiert man nur!" oder weil es heißt "heute gibt es ganz andere Probleme, die Kinder müssen mehr lernen als Geschichte, mit der sie nicht zu tun haben."


    Wie beschreibt es Herr Broder so schön an anderer Stelle als [URL=http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,510511,00.html]den programmierten Eklat[/URL]:

    Zitat

    Die Haltung gegenüber der NS-Zeit ist, allen Bemühungen um Aufklärung zum Trotz, ziemlich durchwachsen. Sie schwankt zwischen pathologischer Unschuld im Alltag, ritueller Trauerarbeit an den üblichen Feiertagen und "deutschem Sündenstolz", der sich die "Einmaligkeit" und "Einzigartigkeit" nicht nehmen lässt. Wer es zum Beispiel wagt, den Präsidenten Irans mit Hitler und seinen Plan für eine "World without Zionism" mit der "Endlösung der Judenfrage" zu vergleichen, der wird sofort abgemahnt - so dürfe man den "Holocaust" nicht verharmlosen. Es geht nämlich nicht darum, den nächsten zu verhindern, sondern den letzten in Erinnerung zu behalten.


    In der Nazi-Zeit lebten keine Körperfresser oder Klone für kurze Zeit in Deutschland, die Verbrechen begangen, mit denen man heute konfrontiert wird. Das waren ebenso simple Menschen wie vorher und heute, und zudem Menschen, mit denen ein wesentlicher Teil der heutigen Bürger verwandt ist.
    Warum werden die anderen nicht für Verbrechen herangezogen, die deren Vorfahren begangen haben? Das ist ein nicht unwichtiger Punkt; und dennoch darf hinter ihn nicht der hier zu besprechende Punkt des gegenwärtigen Antisemitismus treten. Wir können Ungerechtigkeit gerne global aufzählen und anmerken... was wir damit erreichen, ist dass wir kein Problem durchdenken, aber alle mal genannt haben. Sehr schön, und gut, dass wir mal darüber gesprochen haben.


    Geschichte von Gegenwärtigem zu trennen halte ich bei der Lösung von Problemen für
    genauso sinnvoll, wie wenn ich versuche Geld zu sparen, ohne mir die Ausgaben anzusehen.


    Nein, man muss sich nicht für die Taten früherer Generationen verantworten, in dem Sinne, dass man persönlich dafür verantwortlich ist. Aber man sollte sich für seine eigenen Handlungen - und dies eben auch mit Hinblick auf das Vergangene - verantworten. Wer kein Interesse an Vergangenem hat, scheint auch nicht unbedingt Interesse an Gegenwärtigem und Zukünftigem zu haben. Wer glaubt, gesellschaftliche Zusammenhänge nur aus aktuellem Winkel verstehen zu können, glaubt vielleicht auch, dass wenn man ein Buch gelesen hat, man die Literatur kennt. Deswegen ist es wichtig sich mit Geschichte zu befassen.
    Und deswegen ist es auch wichtig zu sehen, wie man sich damit befasst und es Kindern weitergibt.
    (Und gerade hier stimme ich magali zu - man sollte es nicht runterbrechen. Wenn man Kinder unterschätzt und ihnen stets Appetit-Häppchen serviert, können sie ja nie zum ganzen Menu kommen.)


  • Also bleibe ich bei meiner "Zipfelmützenphilosophie". Denn ich bin der Meinung, dass extrem viel im Elternhaus (was für ein Klischee) beantwortet werden kann. Das heißt: den Kindern das Zusammenleben mit "Anderen" (was auch immer das heißt) nahe bringen, ihnen Toleranz vorleben. Was für mich ebenso wichtig ist, wie die Verurteilung dessen, was in der Nazi-Zeit passiert ist (und nicht nur den Juden). Und damit dem Antisemitismus entgegenzuwirken. Welcher ethnischen Abstammung auch immer.
    Aber Schuld an der Geschichte und Verständnis der Geschichte sind nach wie vor zwei paar Socken. Und die haben unterschiedliche Farben!

    Die Dichter
    Es soll manchen Dichter geben,
    der muß dichten um zu leben.
    Ist das immer so? Mitnichten,
    manche leben um zu dichten.
    Heinz Erhardt

  • Zitat

    Original von Deutschebea
    Denn ich bin der Meinung, dass extrem viel im Elternhaus (was für ein Klischee) beantwortet werden kann.


    ... und meistens nicht wird.
    Das ist der Unterschied zwischen Sollens- und Ist-Zuständen.
    Viel wird vermittelt, aber nicht alles.
    Es legt das Elternhaus zwar die Grundlagen für ein Miteinander, dennoch ist es weder alleinige Instanz der Persönlichkeitsbildung noch sind Eltern allwissende (auch im moralischen Sinne) Universalheilige, die den Kindern eine volle Wertebasis (oderwasweißich), geschweige denn Geschichte, und alles Menschliche und Allzumenschliche näherbringen können.
    Alles andere ist ein Bild der Elternschaft, dem kein Mensch (und solche sind Eltern - Gotseidank- nun einmal) gerecht werden kann.
    Das führt jetzt aber vom Thema weg.

  • @Waldläufer: Wer dann, wenn nicht das Elternhaus? Die Peergroups oder gar die Lehrer in der Schule, die Dozenten an der Uni, die Medien?
    Das Interesse an kontroversen Themen und auch der Ausübung von Toleranz muss vom Elternhaus kommen. Natürlich orientieren sich Jugendliche an Gleichaltrigen, aber die Werte werden doch wohl auch heute noch zuhause vermittelt.

  • Richtig, Oryx, und genau in dieser Beziehung stelle ich in den letzten Jahren durchaus eine Verschiebung fest, die ich bedenklich finde. Viele Eltern scheinen weder willens noch in der Lage zu sein, das Thema dieses Threads ihren Kindern gegenüber zu kommunizieren.


    Ich hatte in der letzten Woche wenig Gelegenheit, bei den Eulen aufzutauchen, weil die Terminflut mich überschwemmt hat. Einer dieser Termine war am letzten Freitag eine Veranstaltung der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen, die jährlich an die Reichspogromnacht erinnert und gleichzeitig versucht, den Bezug zum "Jetzt" zu verdeutlichen. So referierte im letzten Jahr eine Bürgerin Jerusalems über das Leben im "Israel von heute", in diesem Jahr sprach der Geschäftsführer der "Aktion 3. Welt Saar" über den "linken Antisemitismus in Deutschland und der Welt" (ein selten wahrgenommener Aspekt). Die jeweiligen Reden sind eingebettet in einen Gottesdienst, anschließend gehen die Teilnehmer durch die Innenstadt zur Ruine der ehemaligen Synagoge, wo der Bürgermeister eine kurze Ansprache hält.


    Uns als Vorstand der ACK ist es wichtig, das Erinnern immer wieder neu mit der aktuellen Perspektive zu verbinden. Wir wenden uns im Vorfeld jedesmal bewusst an Religions- und Politikkurse der örtlichen Schulen. Leider bleibt die Resonanz dort relativ schwach.

    „Streite niemals mit dummen Leuten. Sie werden dich auf ihr Level runterziehen und dich dort mit Erfahrung schlagen.“ (Mark Twain)

  • Zitat

    Original von Oryx
    @Waldläufer: Wer dann, wenn nicht das Elternhaus? Die Peergroups oder gar die Lehrer in der Schule, die Dozenten an der Uni, die Medien?
    Das Interesse an kontroversen Themen und auch der Ausübung von Toleranz muss vom Elternhaus kommen. Natürlich orientieren sich Jugendliche an Gleichaltrigen, aber die Werte werden doch wohl auch heute noch zuhause vermittelt.


    Entschuldige, aber wie ich schon schrieb: Das klingt ja ganz nett und irgendwie richtig. Aber es ist ein Sollens-Zustand - kein Ist-Zustand. Mit anderen Worten: Denkbar, aber nicht unbedingt umgesetzt bzw. umsetzbar.
    Das Elternhaus ist zweifelsohne wichtig, aber nicht der alleinige Ort, bei dem man Miteinander (und auch den Umgang mit kontroversen Themen) lernt. Das ist ja kein "Stoff" der vermittelt wird, sondern etwas, dass man im praktischen Vollzug erfährt und anwendet: Mit anderen Worten: Ja, auch (!) bei den peers, in der Schule, Freizeitgruppen, oder anderen Bereichen, wo man sich bewegt und handelt.

  • @Waldläufer: Du glaubst wirklich, dass 15jährige Mädels die Nazizeit untereinander thematisieren, wenn sie von Liebeskummer zu Liebeskummer taumeln? :gruebel


    Bei uns hatten wir Apartheid und sie war definitiv kein Thema bei den Peers bis zur Unabhängigkeit von RSA.
    In Frankreich im Lycée wurde ich gefragt, aber auch nur, weil der Erdkundelehrer das Thema anstiess.

  • Zitat

    Original von Oryx
    Du glaubst wirklich, dass 15jährige Mädels die Nazizeit untereinander thematisieren, wenn sie von Liebeskummer zu Liebeskummer taumeln?


    Du missverstehst meinen Beitrag, erneut.
    Aber nun gut - zu deiner Frage vielleicht eine andere Form der Antwort: Natürlich thematisiert man in dem Alter die Nazizeit nicht, wenn man mit der besten Freundin über eine Schwärmerei spricht. Aber man spricht ja mit der besten Freundin nicht ausschließlich über Schwärmereien, nöch? Mit anderen Worten: es gibt viele politisch interessierte Mädels und Jungs, die sehr wohl auch solche Themen untereinander besprechen. Vielleicht nicht im Stile eines Unikurses über neueste Geschichte, aber vielleicht, wenn man durch die Straßen von Faschos gejagt wird, weil die eine Dreadlocks trägt. Es gibt viele unpoltische wie politische Jugendliche - die Erwachsenenwelt kennt dergleichen.