Ich bin unschuldig.
Ehrlich.
Aber ich lief gestern morgen nichtsahnend am kürzlich-ins-Haus-gekommene-Bücher-Tisch vorbei, und da sprang mir dieses Buch in die Arme, klammerte sich an mich und wisperte: "Lies mich. Lies mich JETZT."
Konnte ich da Nein sagen??
Eben.
Augsburg, 1742. Juliane steht nach dem letzten Willen ihres verstorbenen Vaters als Goldschmiedsmagd in den Diensten von Meister Drentwett. Zum Unwillen des bärbeißigen älteren Mannes. Denn von Frauen hält er grundsätzlich nicht so viel, und außerdem ist es verboten, dass Juliane sich von ihm zur Goldschmiedin ausbilden lässt.
Sehr kurzfristig erhält Drentwett den ehrenvollen Auftrag, eine Hauskrone für die Krönung des Kaisers Karl VII. anzufertigen, plus weitere Kunstwerke wie etwa ein Tafelservice. Auch eine Krönung für Drentwetts Lebenswerk und ein notwendiger Auftrag zur Aufbesserung der fast leeren Haushaltskasse. Doch er ist bereits an den Augen erkrankt und dabei, unwiderruflich zu erblinden, und das in Kürze. Juliane will unter seiner Anleitung einspringen, obwohl die Zeit mehr als knapp ist. Als sei das noch nicht schwierig genug, werden ihr beständig Hindernisse in den Weg gelegt, die offensichtlich das Gelingen der Arbeit unmöglich machen sollen, und außerdem werben gleich zwei Männer um Julianes Herz - Mathias, ihr Freund aus Kindertagen, und Raphael, der Zauberkünstler.
Bald weiß Juliane nicht mehr, wem sie trauen kann und wer für sie gefährlich ist - und die Zeit rinnt unaufhörlich davon...
"Die Goldschmiedin" ist zweifellos ein historischer Roman, läßt er doch das 18. Jahrhundert mit seiner ganz eigenen Atmosphäre wieder auferstehen. Dieses beinhaltet auch Streitigkeiten zwischen Katholiken und Protestanten, und eine für mich bislang unbekannte Episode in der Geschichte: die von Kaiser Karl VII. und dem Rätsel um seine zwei Hauskronen für die Krönung.
(Danke, Sina, dass Du dieses spannende Detail der Geschichte aus dem Dunkel der Vergangenheit hervorgeholt und uns so schön erzählt hast! :knuddel1)
Darüber hinaus hat das Buch aber auch etwas von einem Krimi (wer war's?), ist eine Familiengeschichte und auch die einer Emanzipation, die wiederum perfekt in das Zeitalter der Aufklärung passt.
Historisch genau recherchierte Fakten und spannende Fiktion werden gekonnt miteinander verwoben.
Beeindruckt war ich vom präzisen Aufbau des Romans. Zwischen Prolog (dem schriftlichen Auftrag des gewählten Kaisers) und Epilog liegen 16 Kapitel, von denen jedes für einen Tag steht. Jedes Kapitel ist mit Datumsangabe und einem "Countdown" bis zur Krönung versehen und mit einem passenden Bibelzitat überschrieben. In die Romanerzählung eingeflochten sind die Gedanken eines geheimnisvollen Beobachters, der Juliane anscheinend ganz nahe ist, während sie ahnungslos bleibt.
Je länger ich las, desto häufiger musste ich an ein fein gearbeitetes Schmuckstück denken, dessen Schönheit im Ganzen auch erst sichtbar wird, wenn man sowohl die feinen Details als auch die gesamte Arbeit betrachtet.
Besonders gut gefallen hat mir Sinas individueller Stil, der angenehm zu lesen ist und eine ganz eigene Klangfarbe hat. Schön auch ihr Sinn für Realität, ihre Beobachtungsgabe und ihr Einfühlungsvermögen für die Charaktere, die nie nur Schwarz oder Weiß sind. Vor allem Juliane ist eine großartige Figur, die ich sofort ins Herz geschlossen habe. Ich habe mit ihr mitgebangt und mitgefiebert und einige Tränen vergossen.
Was ich auch sehr mochte: dass der Leser am Ende im Vorteil ist vor den Charakteren, am Schluß mehr weiss als sie, was dem Roman für mich eine besondere Tiefe verleiht.
"Die Goldschmiedin" ist ein warmherziges, fast zärtliches Buch und absolut frei von Kitsch, aber nicht von Gefühl. Es ist realistisch, und doch gab es für mich ein paar kleine Details darin, die in mir Assoziationen an den Stil mancher Kunstmärchen von Andersen oder Bechstein geweckt haben, ebenso wunderschön verträumt und zart gesponnen.
Der Einband ist nicht nur schön zum Angucken und ein echter Handschmeichler; drinnen hat's auch noch einen herrlichen alten Stadtplan von Augsburg und eine alte Radierung einer Goldschmiede-Werkstatt. Glossar und Nachwort zu Fakt/Fiktion machen es komplett.
Großartig für den anstehenden Winter, zum Einkuscheln und Drin-Versinken.
Ich möchte allerdings noch eine dringende Warnung aussprechen: das Buch hat enormes Suchtpotential; damit, es nicht mehr aus der Hand legen zu können, ist definitiv zu rechnen!
Reife Leistung, Sina!
Schreib schnell das nächste!!!
P.S.: Ich freu' mich jetzt doppelt auf die Leserunde!