Ins Freie - David Lodge

  • Zugegeben, die Zuordnung zu den "historischen Romanen" ist etwas gemogelt, denn nur der erste Teil dieses Buchs spielt vor 1945. Aber ich habe mich trotzdem dafür entschieden, weil auch im zweiten Teil die Auswirkungen des Zweiten Weltkriegs im Mittelpunkt stehen, denn er spielt während der amerikanischen Besatzung in Heidelberg in der Nachkriegszeit.


    Klappentext (von Literaturtreffpunkt)


    David Lodges Roman über das Deutschland der ersten Nachkriegsjahre, sein am stärksten autobiographisch geprägtes Buch. Heidelberg 1951: Mit seinen frühesten Kindheitserinnerungen - dem Blitz über London und der anschließenden Verdunkelung - hat der 16jährige Timothy Young die Deutschen hassen gelernt. Als er auf Einladung seiner älteren Schwester Kath, die bei der US-Army arbeitet, die Sommerferien im Land des ehemaligen Erzfeindes verbringt, öffnet sich ihm eine völlig neue Welt: das privilegierte Schlaraffenland der amerikanischen Besatzer, wo es alles gibt, von der Tafel Schokolade bis zum Straßenkreuzer. In dieser Oase des Luxus tun sich vor Timothy ungeahnte Sinnesfreuden auf, von der ersten Zigarette bis zum ersten, scheuen Kuß...


    Der Autor


    David Lodge ist ein britischer Literaturwissenschaftler, dessen Romane durch mehrere Schwerpunkte geprägt sind: die Sexualmoral der katholischen Kirche und ihre Auswirkungen auf Heranwachsende/junge Erwachsene, die Welt der AkademikerInnen und die Literaturwissenschaft. In seinen früheren Romanen geht es vor allem ums Heranwachsen, in den späteren sind die literaturwissenschaftlichen Aspekte wichtiger.


    Meine Meinung


    Dieses Buch ist ein mittelfrühes Werk des Autors. Ich war ganz überrascht, dass ich bis vor Kurzem noch nie davon gehört hatte, und ich bin sehr froh, dass ich diese Leselücke jetzt geschlossen habe.


    Zum einen bietet das Buch eine eindringliche Schilderung Londons im Blitzkrieg aus der Sicht eines kleinen Jungen. (Zum Thema London und Zweiter Weltkrieg lese man allerdings auch "Die Frauen von London", OT "The Night Watch", von Sarah Waters.)


    Zum anderen schildert es die Situation in der amerikanischen Community im Heidelberg der Nachkriegszeit.


    Es ist ein typischer David Lodge, da die sexuellen Nöte eines verklemmten pubertierenden Jungen recht viel Raum einnehmen - aber nicht mehr, als es in einem Buch gerechtfertigt ist, das nun mal aus der Sicht eines verklemmten pubertierenden Jungen erzählt wird. Gestört hat mich lediglich die für die Handlung gänzlich unnötige Sexualisierung seiner Sandkastenfreundschaft zu einem Nachbarsmädchen, als beide fünf Jahre alt sind, aber das ist nur eine einzige Szene.


    Der Kontrast zwischen den kriegsgebeutelten Briten und den im Luxus lebenden Amis wird sehr eindrücklich geschildert. Ich fand den Blick auf die US-Community sehr interessant; darüber hatte ich bis jetzt noch nichts gelesen. Man lernt ein bisschen darüber, welche Aufgabe die Amis im Nachkriegsdeutschland haben, vor allem aber taucht man ein in die Welt der jungen Leute, die dort als Besatzer ein gutes Leben genießen. Ich fand das Ganze recht wertfrei geschildert - jede der an der Geschichte beteiligten Nationalitäten wird mit hellen und dunklen Seiten dargestellt.


    Das Buch war sehr gut lesbar (ich kenne nur die englische Version). Ich hätte mir allenfalls eine etwas andere Gewichtung gewünscht, der Heidelberg-Teil hätte gern noch ausführlicher sein dürfen. Die Geschichte war dann für meine Begriffe doch recht schnell zu Ende, und die krimiähnlichen Verwicklungen mit einigen Charakteren gegen Schluss hätten entweder stärker ausgearbeitet oder aber weggelassen werden können, da blieb zu viel angedeutet - auch wenn ich mir selbst vorzuwerfen habe, dass ich längst hätte schnallen können, dass


    Gemessen an den späteren Romanen ist das Buch noch nicht ganz ausgefeilt genug. Interessant ist dabei allerdings, dass der Autor das Buch Ende der 1960er Jahre geschrieben hat (Erstveröffentlichung 1970), dann aber Mitte der 1980er Jahre für die Wiederauflage stark überarbeitet hat, d.h. einige Szenen, die er für die Erstveröffentlichung gestrichen hatte, wieder eingefügt und andere gestrafft/gekürzt hat. Man müsste die beiden Ausgaben mal vergleichen - und vielleicht eine weitere Neubearbeitung anregen. ;-)


    Für David-Lodge-Fans sowieso ein Muss, für andere eine Empfehlung. Als Einstieg in das Werk von David Lodge empfehle ich allerdings lieber die Campus-Trilogie, die ich hier schon mal verlinkt habe. Von dort aus kann man dann sowohl nach "vorne" als auch nach "hinten" weiterlesen. ;-)

    Surround yourself with human beings, my dear James. They are easier to fight for than principles. (Ian Fleming, Casino Royale)