Gibt es eigentlich Innovation in der Literatur?

  • Die Zeiten, in denen Mönche über Folianten gebeugt Seite für Seite abmalten, sind vorbei und der moderne Buchdruck und Desktop Publishing haben die Reproduktions- und Printtechnik revolutioniert. Was ich mich allerdings frage ist, ob auch die Autoren bzw. das Schreiben an sich, sich in den letzten Jahrzehnten, wenn nicht gar Jahrhunderten, weiterentwickelt haben?


    Zum besseren Verständnis. Es gibt zig Genres, in die man recht bequem die meisten Bücher auf dem Markt einteilen kann - das geht vom Sachbuch, über Fantasy bis hin zum Gedichtband, wobei es natürlich Überschneidungen und ein paar Exoten gibt, die sich gegen jede Art von Katalogisierung standhaft wehren. Doch wenn man mal all dieses Schubladendenken beiseite lässt, bleiben stets Geschichten übrig, die sich - vom sich im Lauf der Zeit angepassten Schreibstil mal abgesehen - kaum verändern.


    Schon beispielsweise bei Shakespeare ging es um die Liebe und andere menschliche Tragödien und in den Romanen der heutigen Zeit findet mehr oder weniger das Gleiche statt. Natürlich auf teilweise recht unterschiedlich hohem bzw. niedrigen Niveau, aber die Grundform ist doch stets unverkennbar.


    Musik zum Beispiel hat sich im Laufe der Jahrhunderte für jedermann leicht nachzuvollziehen sehr stark verändert. Die "Hits" des 17. Jahrhunderts hören sich definitiv anders an, als die Rolling Stones oder selbst die Filmmusik zu Star Wars, was natürlich auch an den damals verwendeten Instrumenten und ihren Möglichkeiten lag. Neue Instrumente und damit Wege völlig neue Klangwelten zu erschliessen werden immer wieder kreiert, es gibt eine spürbare Entwicklung in alle Richtungen.


    Bei Literatur hingegen scheint es mir, als ob sich bis auf die verwendete Sprache kaum eine tatsächliche Weiterentwicklung feststellen lässt. Liegt das einfach in der Natur der Sache begründet, weil vielleicht Literatur oder das Verfassen solcher nicht weiterentwickelt werden kann, oder hat der Mensch irgendwann einen bestimmten Level beim Schreiben erreicht, der selbst in 500 Jahren nicht mehr getoppt werden kann? Ist also Innovation von Literatur gar nicht möglich?


    Mir ist bewusst, dass sich darauf wahrscheinlich gar nicht so einfach ein paar Antworten finden lassen und das Ganze sicherlich auch ein klein wenig philosophisch angehaucht sein mag, aber mir ging das heute durch den Kopf und fand den Gedanken interessant genug, um ihn mal hier zur Diskussion zu stellen.


    Gruss,


    Doc :write

  • Och Doc


    Da sich die Menschheit nicht großartig ändert, ändern sich auch die Themen nicht.
    Es ist und bleibt wie gehabt, Mord und Totschlag, Liebe, Sex und Hass..ansonten bleiben noch Kochbücher und andere Ratgeber.
    Was erwartest du?
    Es reicht doch, dass der Schreibstil sich immer mal ändert, die Themen können sich nicht viel verändern

  • Zitat

    Original von Alexx61
    Was erwartest du?


    Nicht falsch verstehen. Ich erwarte von Literatur Unterhaltung und/oder Horizonterweiterung. Das hat aber erstmal nichts mit dem zu tun, worauf ich hinaus wollte.


    Meine Frage war grundlegenderer Art: kann Literatur überhaupt weiterentwickelt werden oder geht das (anders als z. B. in der Musik) eben gar nicht, weil es keine "technische" oder auch "geistige" Entwicklung gibt bzw. geben kann?


    Gruss,


    Doc

  • Mmh, irgendwie denke ich, dass es doch so hin und wieder neue Gedanken und Geschichten raus kommen - Immer wieder neue Märchen, oder neue Ideen, wie man einen Krimi schreiben kann. Wenn man etwas sucht, findet man immer neue Bücher mit neuen Schreibstilen und Charakteren.
    Ich denke, es ist so unterschiedlich, wie es Autoren /- innen gibt.


    Denn jeder hat seine Geschichte und seine Erinnerungen und seine Ideen zu schreiben.


    Wobei ich auch behaupten kann, DASS es immer wieder Bücher gibt, DIE sich ähneln...

  • Ich bin da auch eher Kathrins Meinung. So, wie zum Beispiel bei Filmen neue Dinge entdeckt werden (zB Amélie, wo mit Bildern nur so um sich geworfen wird) gibt es auch in der Literatur hin und wieder kleine Neuentdeckungen.


    Einziges Beispiel, das mir jetzt einfällt. In Hohlbeins Dreizehn, spielt die Geschcihte ab einem gewissen Zeitpunkt in zwei Welten. Anstatt einfach ein Kapitel hier, ein Kapitel da zu machen, hat Hohlbein am Anfang dieser "Aufteilung" in die beiden Welten einfach zwei Spalten nebeneinander geschrieben, die gleich anfangen und sich dann immer mehr voneinander unterscheiden. Natürlich geht das nicht das ganze Buch lang so, da würde man ja verrückt :lache aber ich finde, dass ist zumindest ein kleiner Fortschritt.


    Hmm... ein besonders innovatives Thema fällt mir jetzt allerdings nicht ein. Vielleicht sind die Neuentdeckungen eher "technischer" Art (wisst ihr was ich meine? Es gibt sicher einen passenden Ausdruck dafür!), also nicht der Schreibstil oder Inhalt, sondern wie man schreibt. Es gibt ja sicher auch Bücher, die ähneln dem Film Vanilla Sky, also man kennt sich bis zum Schluss einfach überhaupt nicht aus.

  • Vanilla Sky ist ja absolut grausam.. :lache / oder kennst du "Memento"?


    Holhbein ist ein gutes Beispiel. Was ich aber auch gut finde, ist wenn man die alte Literatur mit dem momentanen Lifestyle in Verbindung bringt - wenn man ein völlig neues Weltbild - Schreibweise entdeckt.
    Und die Welt entwickelt sich soo rasant weiter.


    Mal ehrlich, vor 100 Jahren konnte doch niemand solche Sachen schreiben wie "Y2K" oder "Das Jesus Video" --


  • Hallo,


    hmm, wenn man das Topic weit genug auffaßt, würde ich schon sagen, daß sich bei Gedichten immer noch etwas verändert...zum Beispiel "gespielt" wird.


    Und was ist mit technischer Entwicklung...Beispiel E-book? Mehr Bücher auf weniger Raum...zumindest für Schulbücher eine Innovation. Gut für die Rücken der Schüler, Updatefähig....eventuell ausbaufähig?


    Gruß
    Baumbart

  • Zitat

    Original von Doc Hollywood
    Die Zeiten, in denen Mönche über Folianten gebeugt Seite für Seite abmalten, sind vorbei und der moderne Buchdruck und Desktop Publishing haben die Reproduktions- und Printtechnik revolutioniert. Was ich mich allerdings frage ist, ob auch die Autoren bzw. das Schreiben an sich, sich in den letzten Jahrzehnten, wenn nicht gar Jahrhunderten, weiterentwickelt haben?


    Schon beispielsweise bei Shakespeare ging es um die Liebe und andere menschliche Tragödien und in den Romanen der heutigen Zeit findet mehr oder weniger das Gleiche statt. Natürlich auf teilweise recht unterschiedlich hohem bzw. niedrigen Niveau, aber die Grundform ist doch stets unverkennbar.


    Musik zum Beispiel hat sich im Laufe der Jahrhunderte für jedermann leicht nachzuvollziehen sehr stark verändert. Die "Hits" des 17. Jahrhunderts hören sich definitiv anders an, als die Rolling Stones oder selbst die Filmmusik zu Star Wars, was natürlich auch an den damals verwendeten Instrumenten und ihren Möglichkeiten lag. Neue Instrumente und damit Wege völlig neue Klangwelten zu erschliessen werden immer wieder kreiert, es gibt eine spürbare Entwicklung in alle Richtungen.


    Keine Ahnugn, warum dieser Fred jetzt hochgespült wurde, aber, lieber Doc, Du wirfst hier wohl einiges Durcheinander.


    Wenn Du meinst, die Inhalte der Literatur, wie z. Bsp. bei Shakespeare, haben sich nicht verändert, welche Inhalte haben sich in der Musik verändert?? Auch hier geht es immer noch um die gleichen Themen und auch Musik basiert heute immer noch auf den Noten von damals.


    In beiden Bereichen hat sich am grundsätzlichen nichts geändert. Das eine ist ein Aneinanderreihen von Wörtern, das andere von Tönen.


    Und doch hat sich etwas weiterentwickelt, ich möchte es (mangels Kenntniss entsprechender Fachwörter) den "Rhythmus", den "Swing", den "Groove" nennen.
    Vergleiche einen Cyberpunk-Roman mit Shaespeare - thematisch sehr ähnlich, Mord, Totschlag, Intrigen, Liebe, Freundschaft usw., und doch ein ganz anderer "Sound".


    Was sich wirklich geändert hat, sind die "Instrumente" mit denen Musik erzeugt wird, auch wenn es mit alten genauso ginge (siehe Apokalyptica oder wie die heißen) und das Trägermedium vom reinen Instrument über Schallplatte zur CD.
    In der Literatur ist das Trägermedium gleichgeblieben - Papier und Druckerschwärze - die "Instrumente" haben sich - neben der Phantasie des Autors, ebenfalls verändert, vom Federkiel zum Textverarbeitung am PC.


    Daher die Rückfrage:


    Was hat sich in der Musik definitiv verändert??


    fragt Dyke

    "Sie lesen?"
    "Seit der Grundschule, aber nur, wenn's keiner sieht."


    Geoffrey Wigham in "London Calling" von Finn Tomson

  • Hallo Doc,


    >Bei Literatur hingegen scheint es mir, als ob sich bis auf die verwendete Sprache
    >kaum eine tatsächliche Weiterentwicklung feststellen lässt.


    Literatur ist Sprache.


    Natürlich gab und gibt es Weiterentwicklungen - vergleiche Shakespeare mit den Stücken von Sarah Kane oder Samuel Beckett.
    Der formale Aufbruch passierte auch in der Literatur - Cut Up Techniken eines William S. Burroughs, (nicht nur) der innere Monolog bei James Joyce, Drei-Spalten-Roman von Arno Schmidt, in dem zusätzlich das Wort an sich "verschrieben" mit mehreren Bedeutungsebenen angereichert wurde etc.
    Im Bereich der Netzliteratur finden sich zur Zeit Experimente, wie z.B. den Leser/Kommentator zur Romanfigur werden zu lassen und die Trennung zwischen Leben und Literatur überhaupt aufzuheben.


    Ein konkretes Beispiel noch: das neue Haruki Murakami-Buch "Afterdark" verfolgt zwei parallele Handlungsstränge in "Echtzeit", von denen einer aus einer Kameraperspektive geschrieben ist, der andere dialogisch (erinnert mich ein wenig an "After Sunset"/"Before Sunrise"). Eine solche Form und Perspektive gab es vor Erfindung des Films nicht.


    Grüße
    von der Nudelsuppe

  • Der Begriff "Innovation" ist ein ziemlicher Modernismus ... :grin


    Literatur ist wie jede Kunstform stets ein Spiegel ihrer Zeit, stets aus Gratwanderung zwischen "Tradition" und "Moderne": Um zu wirken, muß ein Schriftsteller wie jeder Künstler ein Publikum erreichen -- er muß unterhalten und sich an gewisse traditionelle Schemata halten, damit er verstanden wird. Auf dieser Basis kann er dann (im Idealfall im Diskurs mit eigenen, allgemeinen und oder speziellen Vorbildern etc.) Neues in die Literatur einführen.


    Ein bißchen erinnert mich die Fragestellung an die ewig gleiche Diskussion unter Autoren, ob das Haupt- und nahezu alleinige Ziel sein müsse, Leser zu unterhalten oder einen Anspruch an sich und die Leser zu stellen, Themen zu vermitteln, eine "Message" zu transportieren.
    Mir persönlich ist es ein zu hoher Preis, Monate, ja vielleicht Jahre Arbeit in so ein Projekt zu stecken, das den Lesern ein paar schöne Stunden macht und dann vertickt wird. :-)

  • Zitat

    Original von Iris
    Ein bißchen erinnert mich die Fragestellung an die ewig gleiche Diskussion unter Autoren, ob das Haupt- und nahezu alleinige Ziel sein müsse, Leser zu unterhalten oder einen Anspruch an sich und die Leser zu stellen, Themen zu vermitteln, eine "Message" zu transportieren.


    Hallo Iris,


    Anspruch und Unterhaltung sind nicht unbedingt Gegensätze. Wie wärs mit "eine andere Wahrnehmung ermöglichen" - Thema und Message sind mir ein wenig zu kurz gesprungen, um die Wirkung "großer Literatur" zu erklären.


    Grüße
    von der Nudelsuppe