Dieses Buch drängt sich einer vom ersten Moment an auf: schön gebunden, ein geheimnisvoll - erotisches Cover, ein poetischer Titel, darunter ein zart türkisblauer Einband. Leider ist das das einzig Positive, das ich darüber schreiben kann. Denn nach kaum einem Drittel drängte sich mir ebenso heftig der bekannte Satz von Dorothy Parker auf: Dieses Buch darf man nicht leichtfertig wegschieben, man soll es im Gegenteil mit Nachdruck wegschleudern.
Ein hartes Urteil, dabei beginnt die Geschichte ganz interessant. Ein Klassentreffen findet statt, in einer Kleinstadt, die 1977, als die Klasse - eine reine Mädchenklasse - ihr Abitur ablegte, noch an einer innerdeutschen Grenze lag. Zäune von allen Seiten, sozusagen. Inzwischen sind fünfzehn Jahre vergangen, drei der ehemaligen Abiturientinnen stehen im Mittelpunkt der Erzählung.
Hauptfigur ist einmal Susanne, Lehrerin auf einer Nordseeinsel, zum zweiten Irmgard - Irmi - Besitzerin einer Geschenkboutique in besagter Kleinstadt und schließlich, gespiegelt in diesen beiden, Isa, die Mitschülerin, die ausbrach. Eingeführt in die Geschichte werden wir von Susanne, die nachdenkliche, reflektierende, schüchterne. Erste Blicke auf ihre Umwelt und ihre Welt, die Klassenkameradinnen, die sehr strenge Mutter, den geliebten Großvater. Und Isa, immer wieder Isa. Dazwischen Susannes Gegenwart, sie ist geschieden, hat eine kleine Tochter. Darüber hinaus hat sie ein Alter Ego, Scribbo, die andere Susanne, die Dinge auf den Punkt bringen kann, genau formulieren, wovor Susanne zurückscheut.
Irmi ist erfolgreiche Geschäftsfrau. Sie haßt die Kleinstadt, haßte sie schon als Kind. Mit Isa erlebte die Augenblicke der Befreiung, in Berlin und auf Drogen. Noch mehr Befreiung erlebte sie in der körperlichen Liebe. Irmi ist Körperlichkeit und Liebe. Sie sucht das Sein, das Jetzt. Irgendwann lief sie davon, flog nach Indien, lebte jahrelang in Hippie-Kolonien und allein. Kurz vor Kabul fand sie ihre große Liebe. Aber sie verlor sie. Nun lebt sie in ihrer verhaßten Kleinstadt, mit einem reizenden Mann, in einer Luxuswohnung. Natürlich ist sie zutiefst unglücklich.
Susanne ist auch unglücklich. Sie hat einen gewaltigen Minderwertigkeitskomplex, an dem selbstverständlich ihre Mutter schuld ist. Der abwesende Vater auch. Ganz im Gegensatz zu Irmi, an deren Verwirrungen nicht nur die Mutter, sondern auch ein anwesender Vater schuld ist.
Dafür hat Susanne einen Großvater, den sie vergöttert. Ah, die idyllischen Naturerlebnisse, die sie mit ihm teilte. Dem Großvater verdanken wir auch den Titel des Buchs. Er schenkt dem Kind Susanne nämlich eine getrocknete Fledermaus, durch deren Flügel das Kind und später die Frau in die Welt schauen kann. ‚Dämmerungshaut’, nennt Susanne das. ‚Nachhaut’.
Diese Erklärung ist charakteristisch für den Roman, man muß sie eher akzeptieren, als daß man sie versteht. Es wird auch weiter damit gespielt, aber das ist dann leider nicht mehr verständlich. Warum nun Susanne ihre Nachthaut sucht, findet und was immer dann damit tut, bleibt beim genaueren Hinsehen im Dunkeln.
Beim Klassentreffen treffen sich die beiden Frauen wieder und es stellt sich heraus, daß Isa seit 1985 verschwunden ist, ja, mehr noch, nicht gefunden werden wollte. Prompt beschließt Susanne, sie zu suchen. Sie macht alte Freunde ausfindig und trifft einen äußerst geheimnisvollen Mann.
Dazwischen haben wir schon seitenlang Rückerinnerungen, was-wäre-gewesen-wenn’s, hätte-ich-doch’s, wenn-er-sie-es-doch-nur’s hinter uns gebracht, die auch Scribbos ab und zu beißende Kommentare nicht herausreißen. Ach, die Schuldgefühle, ach, dieses Leiden am eigenen Versagen. ‚Heulsuse’, brüllt Susannes Mutter Susanne einmal am Telefon entgegen und man muß beim Lesen sehr an sich halten, daß man nicht nickt und sagt: Recht so, Mudder!
Mit Irmi läuft es kaum besser. Ist das ein Elend, im weitschwingenden Wollmantel am Hindukusch oder an indischen Stränden herumzulungern, unter den Sternen und doch den Sternen so fern, mit nur ein paar Cent in der Tasche, angewiesen auf Almosen der almosenbedürftigen einheimischen Bevölkerung. Ach, wie knirschte der Wüstensand unter den europäischen Turnschuhen, bei Sonne, Wind und Regen, wie sind wir genügsam, suchen wir doch nur die Liebe. Irmi, inzwischen unter dem Namen ‚Garda’ - von den vielen sprachlichen Verschrobenheiten, die uns die Autorin serviert, unbedingt eine der verschrobensten - findet Gino. Das ist der Mann der Männer, so ziemlich rund um die Uhr zugedröhnt, aber eben der, der es sein muß. Sie leben zusammen, verlieren sich, finden sich wieder.
Da gibt es hinreißenden Sex unter den Sternen und weil wahre Liebe auch Leid ist, liegt Irmi gelegentlich mit dem Rücken auf Dornen und Steinen. Da das an Leid nicht reicht, muß sie Gino verlieren. Er nimmt ein böses Ende, gerät in einen politisch-religiösen Aufstand - ja, ja, so was gibt es auch unter den naturnahen, wahrhaft in der Freiheit der Weite lebenden edlen Wilden, das muß man sich doch auch mal klar machen, so als überzivilisierter Mensch aus einer miefigen Kleinstadt Westeuropas, schrecklich das - wird halb totgeschlagen, und stirbt dann an den Folgen. Damit auch Irmi nicht ungeschoren davonkommt, stirbt er ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, an dem sie nicht am Rand seiner Strohmatte kauert.
O, seliges Schuldgefühl! In einer Marmorwanne voll edelstem Champagner prickelt es nicht so schön wie in diesem Schlamm. Was, bitteschön, ist Vergangenheit wert, wenn man nicht ordentlich an ihr leiden kann? So bei einem Glas Barbera?
In der Jetztzeit ist Susanne inzwischen sicher, daß der faszinierende Mann, - Victor! - den sie aufgetan hat, Isa ermordet hat. Dafür wird sie ihn ermorden. Rache für Isa! Aber erst hat sie ordentlich Sex mit ihm und läßt sich aushalten, schließlich ist er reich. Das verstärkt zugleich das Schuldgefühl. Das ist offenbar alles, was Frauen wollen. Schuld sein, Schuld haben und daran leiden.
Der Schluß ist wild. Für mich verschwamm er völlig, es mag daran liegen, daß ich weder die gekünstelte Sprache der Autorin noch ihre Figuren mehr zu ertragen vermochte. Auf irgendeiner Mittelmeerinsel kurz vor Afrika (ah, die Wildheit von Busch und Karst!) gibt es den Showdown. Victor und Susanne suchen Isa, Irmi sucht Susanne. Isa taucht auf. Victor ist irgendwann verletzt, dann verschwunden, es gibt Blut, Susanne wälzt sich mit einer stummen Isa nackt in der Asche eines Feuers, an dem sie Stunden zuvor Ziegenfleisch (wahrscheinlich symbolisch) gebraten haben, um es gemeinsam in einem Erinnerungsmahl an all die, die Susanne geliebt hat, die sie aber ihrerseits nie geliebt haben, zu verzehren. Oder zu verzeihen. Oder so.
Dazu kommt eine Menge Symbolik via Fotografien und Fotografieren, Bilder machen und sich-ein-Bild-machen, pseudo-tiefsinnigen Sätzen wie: Wie ungeheuer schön deine Verletzlichkeit ist (Victor zu Susanne) oder Eindringliches. Es ist ein Juweliergeschäft. Im Fenster liegt ein kleines Fischchen. Es ist aus Gold. Es ist ein Goldfischchen.
Das kann seitenlang gehen. Zur Abwechslung gibt es dann Sätze, die sich über eine halbe Seite erstrecken. Und es gibt viele Ausrufezeichen! Ehrlich! Ich habe nie zuvor ein so lautes Buch gelesen!
Dafür fehlen alle Anführungszeichen bei der direkten Rede. Das finde ich richtig, es erleichtert den Text, er hat schwer genug zu tragen.
Er ist natürlich ungeheuer poetisch, die Metaphern überschlagen sich geradezu, damit nur ja keine fehlt. International ist es auch, es kommen immer wieder englische Satzteile und Sätze vor.
Was nicht vorkommt, ist der Sinn dahinter.
Wenn allerdings das, was mir als ‚Sinn’ erschien, eben der von der Autorin gemeinte ist, dann kann ich nur sagen, was meine Großmutter zu sagen pflegte: ‚Ihrene Sorge möcht’ ich habbe!“
Mit Ausrufezeichen.