Helene - Eine Kriegskindheit von Dieter Ebels

  • Auch wenn ich befürchte, dass man jetzt über mich meckert,
    ja, ich bin neu hier und meldete mich hier an, um von diesem Buch zu schwärmen.


    Die Geschichte der kleinen Helene ging mir beim Lesen unter die Haut. Das Buch ist, trotz der schlimmen Ereignisse wunderschön geschrieben. Die kleine Helene und ihre Familie sind mir ans Herz gewachsen. Dass mir Figuren aus einem Buch ans Herz wachsen, ist mir bisher nur bei Harry Potter passiert.


    Ich bin jetzt nicht nur Harry-Potter-Fan sondern auch ein Fan von Ebels-Bücher, von denen es leider noch nicht viele gibt.


    Das ist meine ganz ehrliche Meinung und ich bin jetzt schon gespannt, welche Kommentare jetzt wieder folgen.

  • Helene. Eine Kriegskindheit
    Dieter Ebels, 2007

    Meine Rezension bezieht sich auf die Ausgabe:
    Wagner Verlag (DKZ), ISBN: 978-3866830745


    "Helene. Eine Kriegskindheit" ist ein Buch, geschrieben aus der Sicht eines deutschen Mädchens, das die Kriegsjahre im nationalsozialistischen Deutschland erlebte. Eines Mädchens, das tugendhaft-christlich und außerordentlich naiv durch diese Tage stolpert, von Alltagssorgen wie Heimweh, Durchfall nach einer zu großen Portion Bonbons oder Blähungen in stickigen Krankenhauszimmern geplagt bis hin zu den in diesem Buch vorsichtshalber schon in Kapitelüberschriften angekündigten Schicksalsschlägen, die da wären: der kriegsbedingte Verlust von Verwandten und Freunden, Vergewaltigung.
    Armes Helenchen. So viel Unglück. Eine geklaute Postkarte, ein toter Lieblingsbruder, ein böser Bauer, ein kleines Horrorszenchen in der wunderschön bayrischen Berglandschaft, dreckige Schuhe und die geliebte "Mutti" eine Todsünderin - ach nein, die christlichen Grundsätze galten ja nur für die anderen... also keine Todsünderin - sie kann einem wirklich ungeheuer Leid tun.


    Und das kleine mutige Mädchen durchsteht das alles, so jung und schon so stark. Da darf ein Tränchen fließen oder auch ein weiteres Dutzend mehr, sie verdient unsere Bewunderung.
    Und darauf beharrt das Buch, es ist sein einziges Thema, Mitleid und Bewunderung für die kleine Helene - die von einem Schicksalsschlag zum nächsten, vom Regen in die Traufe stolpert. Das Buch ist für die Zartbesaiteten, Mitleidenden, die sich der armen Kleinen nicht verschließen können.


    Denn bei einem Blick hinter die Fassade um das süße Mädchen, tun sich mehrere Mängel auf. Abgesehen von reinen historischen Fehleinschätzungen, auf die magali schön einging und die ich mit mäßigem geschichtlichen Faktenwissen während des Lesens nur als verwunderlich hingenommen hatte, fällt vor allem auf, dass die Übel zwar mit dem Krieg verknüpft werden, aber nicht mit dem Nationalsozialismus.
    Da wird heiter im Hinterhof 'Krieg' gespielt - die deutschen Buben gegen imaginäre Tommys und Ivans - da werden ein unbeschreiblicher Nachmittag in Hitlers Kehlsteinhaus verlebt, Postkarten vom beliebten deutschen Kriegsflugzeug gesammelt, und der liebe Papa ist der tolle Kriegsheld. Hitler wird ein-zwei Mal am Rande erwähnt, die Kinder führen anscheinend ein Leben abseits von nationalsozialistischer Propaganda und Beeinflussung.


    Das wäre vielleicht glaubwürdig, wenn wir die passende Perspektive dazu hätten. Ein Kind, dem andere Dinge, die es erzählen will, einfach wichtiger sind, das den Urlaub in der Heide wichtiger findet als eine Ansprache des Führers. Blöderweise haben wir diese - auch nicht unproblematische - Perspektive nicht. Wir haben die Perspektive einer alten Dame, die rückblickend in kindlichem Tonfall erzählt.
    Und da beginnt das größte Problem des Buches, das die Geschichte als zusammengeschustert und schlecht entlarvt. Denn am Ende bemerkt die alte Dame:


    Zitat

    Ebels, D.: Helene. Eine Kriegskindheit. Gelnhausen 2007, ISBN:978-3866830745, S.400-1
    "[E]in Krieg hat kein Happy End [...]. Das, was ich ihnen gerade erzählt habe, war [...] eine Geschichte, gesehen mit den Augen eines naiven Mädchens. Heute sehe ich die damalige Zeit mit ganz anderen Augen. Uns Kindern prägte man eine Welt ein, die beherrscht war von Idealismus und Fanatismus und Adolf Hitler war der Führer [...]. Blinder Fanatismus ist das Schlimmste, was es gibt auf der Welt, und wenn ich sehe, dass es auch heute noch Länder gibt, in denen Eltern ihren Kindern einen solchen Fanatismus einprägen, dann bekomme ich große Angst. [...] Wenn man doch nur allen Eltern auf der Erde klarmachen könnte, dass man unschuldigen und leichtgläubigen Kinderseelen kein Feindbild einprägen darf, dann wäre damit der Grundstein für eine Welt in Frieden und Eintracht gelegt"


    Heute sieht sie das alles anders, aber sie erzählt es dennoch aus der Sicht von damals. Warum denn?


    Solch "eine Welt in Frieden und Eintracht" wie aus diesem Zitat erreicht man nicht dadurch, eine rührselige Geschichte eines deutschen Mädchens zu erzählen, ohne einen Blick auf seine fanatische Umgebung zu werfen - oder unglaubwürdig von einer (fiktiven) Person mit dieser Meinung eine Geschichte größtenteils frei von rückblickender Reflexion naiv-kindlich erzählen zu lassen - und vor allem dadurch problematische Denkweisen nicht zu überdenken. Und selbst wenn man die alte Dame als ungeschickte Konstruktion für eine Rahmenhandlung sieht, die manchmalige Perspektivmischung in der Erzählung missachtet, werden dadurch die Schilderungen Helenes ohne die dazugehörige Reflektion nicht besser.


    Zu häufig werden vom Tod getroffene Übeltäter als von Gott bestraft bezeichnet (sogar von der rückblickenden Helene), zu häufig verurteilt sie leichtfertig Menschen anhand ihrer Moralvorstellungen oder biegt sich die Wahrheit zurecht, falls diese Vorstellungen sie nicht weiterbringen.
    Und auch die Behandlung der 'dummen' Magd, die anscheinend eine geistige Behinderung aufweist, zeugt in meinen Augen durch das unreflektierte Darstellen als etwas Drolliges, mit dem man gern Streiche treiben und tüchtig darüber lachen darf, nicht von Durchdachtheit und dem Wunsch nach einer friedlichen Welt des Miteinanders. Eine kritisch zurückblickende alte Dame passt nicht im geringsten zu Klein-Helenchens gefühlsduseligem Blickwinkel.


    Über solche Banalitäten wie ungelenken Satzbau, der stark an eine mündliche Erzählung von der "guten alten Zeit" erinnern kann, aber stilistisch in einem Buch nur schwer ertragbar ist, Floskelhaftigkeit (ach wie viel brannte fröhlich "lichterloh" im Krieg), fehlerhaft springende Zeitformen, nicht vorhandenes Sprachgefühl und Formatierungsfehler, sprich ein mangelndes oder eher dürftiges Korrektorat/Lektorat mag man da fast hinwegsehen.


    Fazit: Ein Buch für die Tonne.


    Liebe Grüße,
    bartimaeus

  • Für ein 7 bis 9jähriges Kind ist das politische Umfeld unrelevant.
    Meine eigene Oma, geb. 1935, erzählt oft von früher, auch von den Kriegsjahren. In diesen Erzählungen geht es um alles, nur nicht um Politik. Wenn das Mädchen Helene in seiner Geschichte irgendwelche politischen Äußerungen gemacht hätte, dann wäre das mehr als unglaubwürdig.


    Wer von Euch eine Oma hat, die aus dieser Zeit erzählen kann, dann sollte er mal genau hinhören. Da gibt es keine Politik.


    :wave

  • Zitat

    Original von Kernchen
    Für ein 7 bis 9jähriges Kind ist das politische Umfeld unrelevant.
    Meine eigene Oma, geb. 1935, erzählt oft von früher, auch von den Kriegsjahren. In diesen Erzählungen geht es um alles, nur nicht um Politik. Wenn das Mädchen Helene in seiner Geschichte irgendwelche politischen Äußerungen gemacht hätte, dann wäre das mehr als unglaubwürdig.


    Wir haben aber nicht das Mädchen Helene, das erzählt. Sondern eine alte (fiktive) Dame, die, obwohl sie die Zeit verurteilt (!), für ihre Geschichte eine kindliche Perspektive einnimmt, die dies nicht tut oder sich nicht dafür interessiert.
    Und in dieser Perspektive erzählt sie vollkommen vorbei an ihren Überzeugungen ... Das ist völlig unstimmig.

  • Ich habe gerade den Inselkrimi "Das Geheimnis des Billriffs" von Ebels gelesen und deshalb mal geschaut, was es noch von dem Autor gibt. Der Krimi war echt gut, aber "Helene - Eine Kriegskindheit" würde ich nicht lesen, denn bei solchen Büchern hätte ich Angst, schwermütig zu werden.


    Bücher über Kriegsleid, das geht garnicht.


    .

  • "Da saß sie nun vor mir, die alte Dame..."


    Diese einleitenden Worte fand Dieter Ebels offensichtlich so gelungen, dass er alle drei Absätze der ersten Seite damit beginnt.


    Aber dann steigen wir schon ein ins Geschehen, Helenes Erinnerungen beginnen mit der Schule und ausführlichen Erläuterungen des Kleides, das Helenchen zu diesem Anlass trägt. Da hat ihre Mutter ihr doch tatsächlich aus einem weißen Stoff mit roten Blümchen ein weißes Kleid mit roten Blümchen zu nähen (und das Kind kann nicht umhin, permanent im Spiegel das hübsche weiße Kleid mit roten Blümchen zu betrachten).
    Denn die Zeiten sind hart, man sieht's auch an den Klassenkameraden, da müssen die Kinder doch tatsächlich die Klamotten ihrer älteren Geschwister auftragen, kann man sich diese Not heute noch vorstellen?
    Aber egal, Helene hat ein hübsches weißes Kleid mit roten Blümchen, und lange geflochtene Zöpfe. Auch ihre Kameradinnen haben geflochtene Zöpfe, nur sind sie bei kürzeren Haaren eben entsprechend kürzer...


    Sehr viel weiter bin ich nicht gekommen, mein Ehrfurcht gilt jenen, die diesen Schmarrn zu Ende gelesen haben.


    Mir ist hier, zusätzlich zu den bereits erwähnten Kritikpunkten, auch eine äußerst banale Vorstellung des Autors dafür aufgefallen, wie Kinder funktionieren. Kinder interessieren sich also nur für ihr direktes Umfeld, ihre Klamotten, ihre Vatis, ihren Durchfall :pille (btw, wie kann sich eine Sechsjährige so leidenschaftlich an ihren Vater erinnern, der schon drei Jahre im Krieg ist :gruebel)


    Mein Vater ist Jahrgang 38, und obwohl meine Großmutter immer bestritten hat, von den Nazigräuel gewusst zu haben, erzählt er immer noch, dass er sich als Kind gefragt hat, was die Leute in einem "Konzertlager" machen...

    Menschen sind für mich wie offene Bücher, auch wenn mir offene Bücher bei Weitem lieber sind. (Colin Bateman)