OT: Svenska för idioter - 2003
Der Titel mag komisch klingen und manche Rezensenten bescheinigen dem Buch ‚witzige Dialoge’, aber das führt einen auf die falsche Fährte. Dieser Jugendroman von Mats Wahl ist bei weitem sein düsterster. Er ist nicht im mindesten komisch. Er ist ungemütlich, grausam, grausig, streckenweise eklig. Ich bin mir nicht sicher, ob er überhaupt gelungen ist.
Der sechzehnjährige Henke, Ich-Erzähler der Geschichte, ist in seiner Schule in der Förderklasse gelandet. Henke ist überaus verschlossen, seinen Vater hat er nie kennengelernt, seine Mutter hat psychische Probleme, sie schleppen sich mühsam durch mit Sozialhilfe und einem kleinen Kiosk. Vaterersatz gibt es hin und wieder in Gestalt von ‚Onkeln’. Zum letzten von ihnen hat Henke ein gutes Verhältnis gehabt, Harald ist sein Ersatzvater, er hat Henke viel beigebracht von dem, was Männer wissen müssen, nicht zuletzt das Wildern. Aber nun sitzt Harald im Gefängnis, wieder mal. Und Henke fühlt sich wieder einmal verlassen.
Henkes Freunde haben allesamt betrcähtliche Probleme, gleich ob Jungen oder Mädchen. Niemand kann sich konzentrieren oder stillsitzen, ja, es gibt einen Mitschüler, der nur im Klassenzimmer auftaucht, um ein, zwei obszöne Sätze zu brüllen, und dann wieder hinausstürmt. Er kann an keiner Tür und keinem Schrank vorbeigehen, ohne dagegen zu treten. Ebenfalls in der Klasse sind zwei Kinder von Einwanderern, Dragan aus dem ehemaligen Jugoslawien und Saida, kopftuchtragend, und damit offenbar aus einem islamischen Land stammend. Die zwei verhalten sich noch am normalsten.
Kleinkriminalität und Gewalt sind an der Tagesordnung, die Dialoge sind mehr als krude. Sex und Alkohol machen einen Gutteil der Gesprächsthemen aus.
Zugleich hat diese Klasse, die ‚Idiotenklasse’ der Schule, normalen Unterricht. Die neue Schwedisch-Lehrerin kommt auf die Idee, die Gruppe dadurch zusammenzubringen, daß sie gemeinsam ein Buch schreiben. Jede und jeder soll etwas beitragen. Schwedisch für Idioten soll sein Titel sein. Schließlich ist man in der Idioten-Klasse und wer weiß das besser, als die Idioten selbst?
Das Leben außerhalb des Unterrichts ist aber schon anstrengend genug. Henke kämpft nicht nur mit seiner psychisch labilen Mutter, sondern auch mit der Erinnerung an den Unfalltod seiner kleinen Schwester. Er kämpft mit den Vorstellungen von Männlichkeit, mit seiner eigene Gewaltbereitschaft. Er will anerkannt werden und zugleich er selbst sein. Er läßt sich zu albernen Wetten herausfordern.
Eine davon ist die, am örtlichen Boogie-Wettbewerb teilzunehmen, obwohl er keine Tanzpartnerin hat. Kurzentschlossen fragt er das nächstbeste Mädchen. Es ist Elin, Eliteschülerin. Sie sagt ja. Das ist schön von ihr, aber damit hat Henke auch noch eine komplizierte Liebesgeschichte am Hals, denn ein Schüler aus der Idiotenklasse kann doch nicht mit einer aus der Eliteklasse gehen!
Und dann taucht Henkes leiblicher Vater auf, sein Haßobjekt, seit Henke denken kann. Geschrei, Abrechnung, Gewaltexzesse, jeder gegen jeden?
Dazwischen ein wenig Liebe und, leider, schrecklich viel politisch Korrektes. Elin ist natürlich Tierschützerin und politisch sehr bewußt. Einen Schulleiter mit Dreck am Stecken gibt es übrigens auch noch.
Geschrieben wird auch, Henke schreibt heimlich seine Erinnerungen an seine kleine Schwester auf. Im ersten Drittel des Romans fließen Alltag, äußere Probleme und Henkes innere Entwicklung sehr gut zusammen. Dann aber biegt sich das Buch förmlich unter den vielen Problem-Themen.
Daß man überhaupt weiterliest, ist nur der Erzählkunst von Wahl zu verdanken. Er zieht einen immer wieder in die Geschichte. Man will wissen, wie es weitergeht mit den Personen, vor allem mit Henke, auch wenn einen die Konstellation längst nicht mehr überzeugt.
Auch die Schul-Organisation wirft Fragen auf. Wieso werden Jugendliche, die so offensichtlich psychisch gestört sind, nicht anders betreut? Was bedeutet es, wenn einer der Mitschüler eines Tages mit einem ‚Aufpasser’ im Unterricht erscheint? Ein Polizist? Ein Sozialarbeiter?
Ist Sex und Gewalt das einzig verbliebene Gesprächsthema unter Jugendlichen? Trinken die einzig verbliebene Freizeitbeschäftigung? Und Draufschlagen die einzige Form sonstiger Kommunikation? Mordanschläge, Brände legen, Erpressung, Vergewaltigung, Kindesmißbrauch, es bleibt kaum etwas aus.
Krude Lektüre.
Die im letzten Teil aufgebrachte Frage nach dem Selbstverständnis der ‚Zurückgebliebenen’ kommt zu spät. Ist man dumm, nur weil man selber glaubt, daß man dumm ist? Wie kommt es, daß man sich selber nichts zutraut, Unterschiede zwischen Menschen akzeptiert, als wären sie unveränderliche Naturgesetze?
Die Merksätze dazu bleiben leider Programm, plakativ, nicht überzeugend, gleich, ob sie von einem dänischen Schriftsteller oder von Mandela stammen.
Schade um die Idee.
Henkes Geschichte findet ein Ende, doch eine weitere Geschichte hat schon angefangen und sie bleibt offen. Es ist die Liebesgeschichte zwischen Saida und einem schwedischen Mitschüler.
Im offenen Ende, und zwar in Saidas Fragen: „Was wird jetzt?“ und „Wie soll das enden?“ scheint mir auch am ehesten die Lösung für diesen in jeder Hinsicht gewalttätigen Roman zu liegen.
Es ist der resignierende Blick eines Schriftstellers auf die Gesellschaft seiner Zeit. Er sieht die Entwicklung mehr als düster. Die, die handeln müssen, die Jungen, sind zutiefst verängstigt. Auf die Erwachsenen ist wenig Verlaß. Die sind schon dermaßen verletzt, daß sie kaum noch atmen können. Orientierung zu finden ist mühsamer denn je.
Schreiben befreit einen auch nur noch bedingt. Und es bewahrt keinen vor den Härten eben dieser Realität.
Aber das war doch immer schon nur eine Illusion.
Anstrengende, sehr bedrückende Lektüre, mit großem Diskussionsbedarf.