OT: The Boy in the Burning House - 2000
Tim Wynne-Jones gehört längst zu den angesehensten Autoren für Kinder - und Jugendbücher Kanadas. Die Liste der nationalen und internationalen Preise für seine Bücher wächst stetig. Das hat seinen Grund, denn Wynne-Jones kann vor allem eins: Geschichten erzählen. Und seine Geschichten sind so richtig spannend.
Grundlage des Jugendthrillers Brandspuren war eine Kurzgeschichte. Daß sie zum Roman ausgebaut wurde, hat sich gelohnt.
Ruth-Rose ist entschieden ein Problemkind. Sie trägt nur schwarz, einschließlich schwarzem Lippenstift und Nagellack, redet Merkwürdiges und rastet aus, wenn sie ihre Medikamente nicht nimmt. Die ganze Landgemeinde hat Mitleid mit ihrer Mutter und vor allem mit ihrem Stiefvater, dem allseits beliebten Pastor Fisher. Dies umso mehr, als Ruth-Rose überzeugt scheint, daß Fisher ein Mörder ist.
Jim will das alles gar nicht wissen. Er hat andere Probleme. Sein Vater ist spurlos verschwunden, er kämpft mit seiner Mutter um den Erhalt der kleinen Familienfarm. Insgeheim kämpft er vor allem mit sich, weil er den Verlust seines Vaters nur schwer ertragen kann. Es gab Momente nach dessen Verschwinden, da wollte Jim nur noch sterben.
In sein Elend platzt Ruth-Rose mit der verrückten Behauptung, Pastor Fisher habe Jims Vater umgebracht. Jim ist sauer. Pastor Fisher ist wunderbar! Gerade erst hat er die Gemeinde dazu gebracht, daß sie die marode Farm von Jims Mutter finanziell unterstützen wird. Und überhaupt hat Jim nicht die geringste Absicht, der Welt wieder ins Gesicht zu sehen. Er hat sein Schneckenhaus gefunden und in dem will er bleiben.
Die Worte von Ruth-Rose aber bleiben auch. Und ganz langsam wird es Jim unbehaglich. Das Unbehagen bringt ihn dazu, sich nicht nur mit dem Verschwinden seines Vaters auseinanderzusetzen, sondern überhaupt mit der Person seines Vater. Von dem er, wie er plötzlich merkt, verflixt wenig weiß.
Von Ruth Rose provoziert, beginnt Jim Fragen zu stellen. Damit verändert sich seine Welt. Ereignisse wie Menschen gewinnen neue Dimensionen, Jims Welt wird komplex und sie wird immer komplizierter. Vor allem wird sie unheimlich. Und dann auch richtig gefährlich.
Das Ganze ist ein wirklich spannender psychologischer Thriller, mit überzeugend echten Charakteren, seien es die beiden Teenager, Jims Mutter, der Pastor oder der vermeintlich sanftmütige Redakteur der Ortszeitung. Es wird knapp erzählt, auf das Wesentliche beschränkt, aber zugleich der Eindruck erweckt, man habe eine bei weitem breiter angelegt Geschichte vor sich als die bloßen 230 Seiten, die das ganze umfaßt. So bunt und lebendig ist alles geschildert, was sich in der kleinen Landgemeinde abspielt, die sich zwischen Bahngleisen und einem Highway erstreckt.
Es beginnt geheimnisvoll mit Ruth-Rose, nur um dann ein recht gemächliches Tempo einzuschlagen, das uns in Jims Welt führt. An Jims Seite bleiben wir auch für den Rest der Geschichte. Wir teilen sein Unglück, sein wachsende Neugier, seine Zweifel und vor allem seine wachsende Angst. Die Hilflosigkeit eines Jugendlichen gegenüber Erwachsenen und den Verlust von Vertrauen.
Unmerklich wird die Geschichte rasant. Wenn es einem auffällt, so ca. auf Seite 80, ist es zu spät. Da sind wir schon in Fahrt auf der Achterbahn. Das ist so gut gemacht, daß man auf keinen Fall mehr aussteigen will. So saust man weiter bis zum wild-schrecklichen Finale.
Tatsächlich ist das Buch mehr als ein ausgezeichnet gelungener psychologischer Thriller. Es erzählt im Grund nämlich von den Gefahren des Erwachsenwerdens, davon, daß man die vertraute Welt mit neuen Augen sieht, sehen muß. Daß es eine Seite der Dinge gibt, aber auch eine andere. Wie sich Moral aus dem Spannungsfeld zwischen Gut und Böse stets aufs Neue ergibt, daß Wege nicht klar geradeaus führen und daß etwas, was geschehen ist, nicht mehr rückgängig gemacht werden kann, noch vergessen.
Es erzählt aber auch davon, daß man Dinge in die eigene Hand nehmen muß, auch wenn es sehr, sehr schwierig ist zu entscheiden, welches Handeln denn das rechte ist.
Einige der Ereknntnisse können sich auch Erwachsene zu Herzen nehmen. Die im Buch tun's.