Ausnahme - Christian Jungersen

  • Originaltitel: Undtagelsen



    Kurzbreschreibung
    Das Böse steckt in uns allen und macht kaum jemals eine Ausnahme: Iben, Malene, Anne-Lise und Camilla arbeiten gemeinsam im Büro des dänischen Zentrums für Völkerrecht. Gegenseitig machen sie sich das Leben zur Hölle. Als eine von ihnen eine anonyme Todesdrohung erhält, gewinnt ihr Taktieren eine neue Qualität.



    Über den Autor
    Christian Jungersen, geboren 1962 in Kopenhagen, studierte Rhetorik und arbeitete als Dozent an der Filmhochschule Kopenhagen. Für seinen zweiten Roman »Ausnahme«, der vom dänischen Buchhandel mit dem »Goldenen Lorbeer« bedacht wurde und in zahlreiche Sprachen übersetzt wird, trat Jungersen der internationalen Vereinigung zur Erforschung des Völkermords bei. Jungersen lebt und arbeitet in Dublin.(Quelle: Piper)



    Meine Meinung:
    In einigen Besprechungen wird das Buch als Thriller bezeichnet. Ich halte diese Bezeichnung für völlig verkehrt. Zwar wird ein Täter gesucht, aber das Buch hat keinerlei Thrillerelemente. Ich packe es deswegen mal in Belletristik.


    Vier Frauen zwischen Mitte 20 und Anfang 40 arbeiten gemeinsam im fiktiven Dänischen Völkerzentrum für Information über Völkermord. Iben und Malene sind enge Freundinnen, Anne-Lise ist die neue Bibliothekarin und steht aussen vor, Camilla ist eine stille Mitläuferin. Iben erhält eines Tages eine anonyme Morddrohung über ihr email-Postfach. Sie reagiert extrem panisch, hat sie doch eine traumatisierende Geiselhaft in Afrika hinter sich. Als kurz danach Malene auch eine erhält, vermuten sie sofort, das ihre unter ihrem Namen im Internet veröffentlichten Arbeiten über einen serbischen Kriegsverbrecher damit zu tun haben. Camilla erhält ebenfalls eine, läßt sie aber aus einem anderen Grund um ihr Leben fürchten. Nur Anne-Lise bekommt keine. Schon bald ändert sich die Stimmung in dem kleinen Büro. Die gebildeten und besonnenen Frauen beginnen einen Mobbingkrieg untereinander.


    Der Autor schreibt abwechselnd in längeren Passagen aus der Sicht einer der Protagonistinnen, wobei zu Anfang Iben und Malene näher vorgestellt werden. Einige Situationen werden aus der jeweiligen Sicht noch einmal wiederholt, einiges wird verschwiegen. Der Roman ist als TB über 600 Seiten stark, und der Autor läßt sich viel Zeit. Es dauert eine geraume Weile, vor allem auch, weil Anne-Lises und Camillas Sicht erst spät dargestellt wird, bis ich als Leser die Charaktere gut einschätzen konnte, denn jede sieht die Dinge auf ihre Weise und hält sie natürlich für wahr. Und jede von ihnen hat ihre kleine persönliche Tragödie.


    Das Mobbing gegen Anne-Lise, die Iben und Malene schon bald als alternative Absenderin der Mails in Augenschein nehmen, steht in krassem Gegensatz zu den sonstigen Handlungen der beiden. Systematisch versuchen sie, Anne-Lise fertig zu machen. Es fällt schwer zu glauben, das die beiden gebildeten Faruen, die sich auf dem Gebiet der menschlichen Grausamkeit so gut auskennen, dazu fähig sind.


    Christian Jungersen hat keinen einfachen Roman geschrieben. Sehr schlicht, mit vielen einfachen Aussagesätzen gespickt und im Präsens geschrieben, ist er rein lesetechnisch nicht einfach. Die Frauen sprechen teilweise absurde Dialoge. Die Einfügung der Artikel, die Iben schreibt und ihre in Rückblenden erzählte Geiselhaft sind zwar interessant, aber etwas ermüdend. Der Autor läßt sich viel Zeit, das ganze aufzubauen und den Alltag der Personen darzustellen. Durch den schlichten Stil liest es sich etwas distanziert und analytisch. Trotzdem entwickelte der Roman bei mir schon bald einen Sog. Ich war schlichtweg fasziniert, was Iben und Malene so trieben.


    Das Thema Völkermord und die Grausamkeit, zu der Menschen fähig sind, ist ein großes Thema des Buches, aber eigentlich geht es um das, was Menschen fähig sind zu tun und wie sie sich selber erklären können, warum sie es tun. Und zwar jeden Tag in ihrem normalen Leben. Im Schatten dieses großen Themas zeigt sich "die Banalität des Bösen", die kleinen Grausamkeiten des Alltags, unter denen schon jeder mal leiden musste oder selber getan hat.


    Das Buch hat viele Mängel, sowohl sprachlich als auch von der Auflösung her, die ich persönlich ziemlich offensichtlich fand. Trotzdem hat es mich fasziniert und beeindruckt. Ich würde aber jedem raten, es vielleicht in einer Buchhandlung mal anzulesen. Ich könnte mir denken, das einigen Lesern der Schreibstil nicht liegen wird.

  • Ich habe das Buch von einer Kollegin geschenkt bekommen, der es überhaupt nicht gefallen hat, und so ging ich ohne besondere Erwartungshaltung an die Lektüre heran.
    Dann hat es mich aber von Anfang an in seinen Bann gezogen. Ich hatte während des Lesens keinen einzigen "Durchhänger" und fand es spannend und durchdacht vom Anfang bis zum Ende. Bei über 600 Seiten ist das keine Selbstverständlichkeit.
    Der Autor hat auch das Ende ganz vortrefflich gestaltet, es passt einfach zum ganzen Buch und rundet diese psychologisch hervorragend aufgebaute Geschichte wunderbar ab.
    Ich habe auch noch nie einen Roman mit einer so ungewöhnlichen Thematik gelesen. Das ist wirklich eine Besonderheit im Strom der Massenware mit den ewig gleichen Inhalten.
    Den Stil hätte der Autor nicht besser treffen können; kurze Sätze, in der Gegenwart verfasst, die während des Lesens Zeit lassen, sich auf die wesentliche Botschaft zu konzentrieren.
    Für mich hat das Buch keine Schwächen. Der Autor hat bei mir mit seinem immer wieder überraschenden Handlungsverlauf und einem Tempo, das er bis zur letzten Seite durchhalten konnte, die Höchstpunktezahl erreicht.
    "Ausnahme" ist mein persönliches Jahres-Highlight.