Originaltitel: Midnight's Sun
Erstmals veröffentlicht: 1990 (englisch), 1996 (deutsch)
Verlag: Schneekluth
Seiten: 382
Rückentext: (nur den kurzen Text, da der Klappentext meiner Meinung nach zu viel verrät)
In den Wäldern des Nordens kennt der Wolf Athaba die Gesetze der Natur. Da trifft er auf einen Menschen, der, fast verhungert, sich ihm anschließt, um zu überleben. Eine einzigartige, spannungsreiche Beziehung entwickelt sich.
Überzeugend entfaltet Garry Kilworth in dieser ungewöhnlichen Tiersaga das Abenteuer, die Welt aus der Sicht des Wolfes zu sehen.
(Auch der kurze Rückentext gibt die Handlung nicht ganz korrekt wieder. Zudem hat mich das Cover ehrlich gesagt ziemlich gestört. Hier geht es um einen Wolf, nicht um einen Husky!)
Autor:
Garry Kilworth, 1941 geboren, trat mit fünfzehn in den Dienst der britischen Luftwaffe, der ihn in die ganze Welt führte. 1974 gewann er einen Kurzgeschichtenpreis, verließ die Armee und studierte englische Literatur in London. Seither ist das Schreiben sein Beruf. Er lebt jetzt in Hongkong.
Bei Schneekluth erschien 1994 sein Roman "Füchse unter sich".
Meine Meinung
Dieses Buch habe ich vor vielen Jahren erworben, in einer Phase in der ich jedes Buch gekauft habe, das irgendetwas mit Wölfen zu tun hatte. Zum Lesen kam ich aber irgendwie nie. Dank der Sub-2007-Aktion hat das Buch es nun also geschafft. Es gibt viele Geschichten, Dokumentationen, Reportagen in denen erzählt wird, wie es ist, als Mensch unter Wölfen zu leben, irgendwann von ihnen akzeptiert zu werden und sich vielleicht sogar als Teil des Rudels zu fühlen. Dieses Buch dreht die Perspektive um. Doch fangen wir am Anfang an…
Athaba wird als einer von 5 Welpen eines Wurfes des Leitwolfpaares seines Rudels geboren. Innerhalb kurzer Zeit reduziert sich der Wurf jedoch aus den verschiedensten Gründen und nur er und seine Schwester Koska bleiben übrig. Schon in seinen frühen Tagen hat Athaba einen mächtigen Feind im Rudel: Skassi, ein Untermega (= Wolf der etwa 2 Jahre ist, mit 3 Jahren gibt es einen Initiationsritus und der Wolf steigt zum Mega auf). Skassi glaubt in Athaba etwas unwölfisches, "mystisches" zu erkennen und das ist im Rudel streng verboten. Solang Athaba noch unter dem Schutz seiner Mutter, der Leitwölfin, steht, wagt Skassi jedoch keinen öffentlichen Angriff.
Eines Tages kommt Athabas Vater bei einem Jagdunfall ums Leben. Voller Trauer und Unglauben macht Athaba sich auf die Suche nach dem Leichnam, allein das schon ein Verbrechen gegen das Rudel, wo der Einzelne nichts gilt, das Rudel jedoch alles. Nichts was die Wölfe in Athabas Rudel tun darf egoistisch oder sinnlos sein, denn sonst würden sie sich sofort der Anklage des "Mystizismus" aussetzen. Athaba kann jedoch den Gedanken, dass sein Vater von Aasfressern zerstückelt wird nicht ertragen und zieht ihn mit großer Mühe in einen Sumpf, wo er auch um ihn heult. Gerade dort wird er von zwei Wölfen seines Rudels überrascht, zurück gebracht und wegen "Mystizismus" angeklagt. Nur mit Mühe kann er sich der Anklage entwinden, seine Mutter jedoch hält sein Verhalten für eine Schande und Skassi weiß, dass Athaba ihm nun schutzlos ausgeliefert ist. (Skassi nimmt vor allem in Fällen von "Mystizismus" eine Position ähnlich einem Inquisitor ein)
Für den Rest des Rudels ist die Sache irgendwann vergessen. Doch über ein Jahr später wird Athaba beim Kampf gegen einen Bären so schwer verwundet, dass man ihn für tot hält und zurücklässt. Nur langsam kann er sich erholen und sein Rudel irgendwann einholen. Doch anstatt sich über seine Rückkehr zu freuen, wird er plötzlich als Außenseiter behandelt. Vom Angriff des Bären hat er eine Art Epilepsie zurückbehalten und jede Art von Krankheit bedeutet für das Rudel eine Belastung (Athabas Bruder, der mit diesem Makel geboren wurde, wurde "zum Wohl des Rudels" mit Billigung der Mutter umgebracht).
Als Athaba zum Mega aufsteigen soll, verweigert Skassi ihm seine Stimme und überzeugt auch die anderen es ihm gleich zu tun. Nun steckt Athaba in einer Zwischenwelt. Nicht mehr Untermega, aber auch nicht Mega. Er ist ein Unterwolf. Als schließlich sein einziger Freund und Mentor stirbt, und Skassi Athaba befiehlt den Kadaver gefälligst in Frieden zu lassen, kommt es zum offenen Kampf. Athaba kann diesen zwar für sich entscheiden, wird aber für den Angriff auf ein hochrangiges Rudelmitglied aus dem Rudel verstoßen, er wird zum uthla, dem Rabenwolf, der dem Rudel nur in großem Abstand folgen und sich von dessen Überresten ernähren darf, wie die aasfressenden Raben und Coyoten.
Das Rudel wandert auf seiner Flucht vor den Menschen immer weiter nach Norden. Eines Tages trifft Athaba dort auf die Wölfin Ulaala, die zu einem Rudel von Polarwölfen gehört und befreit sie aus einer Falle. Sie ist stolz und macht Eindruck auf den Ausgestoßenen, kehrt jedoch gleich wieder zu den ihren zurück. Wenige Tage später ereignet sich ein großes Unglück: Jäger metzeln Athabas gesamtes Rudel nieder. Athaba kann flüchten, erleidet aber einen seiner Anfälle. So findet ihn Ulaala. Das unglaubliche geschieht: Sie bietet dem Ausgestoßenen an mit ihr sein eigenes Rudel zu gründen.
Die beiden werden stolze Eltern von 6 jungen Welpen und Athabas Glück ist perfekt. Doch das Schicksal ist grausam. Als er auf die Jagd geht, wird er von Menschen gefangen genommen und eingesperrt. Sie halten ihn einige Zeit gefangen, tun ihm jedoch nichts. Viele Wochen später wird Athaba weitertransportiert mit einem Flugzeug, doch das Flugzeug stürzt ab und Athaba und der "Südmensch" sind die einzigen Überlebenden. Athaba macht sich auf den langen Heimweg, jedoch mit einem ungewollten Begleiter: Der Südmensch, der auf sich alleine gestellt vollkommen hilflos ist, folgt dem Wolf in gebührendem Abstand...
Diese Reise mit dem Menschen nimmt einen großen Teil des Buches ein, ist jedoch nicht (wie man vielleicht glauben könnte), das zentrale Thema. Es geht um Athabas Leben, seine Andersartigkeit und seine Bemühungen damit zurechtzukommen. Außerdem geht es um die Lebensart der Wölfe, ihren Glauben und ihre Traditionen. Sollte ich ein ähnliches Buch nennen, würde mir spontan „Unten am Fluß“ („Watership Down“) von Richard Adams einfallen. Zwar vermag der „Fürst der Wölfe“ nicht ganz so zu faszinieren und unterhalten, doch viele Dinge sind ähnlich. Die Wölfe haben eigene Legenden und Lieder, Helden und Sagen aus längst vergangenen Tagen (dem Urdunkel) und auch einen Jenseitsglauben an die „fernen Wälder“. Auf der anderen Seite sind ihre Strukturen sehr starr, jeder der aus dem Rahmen fällt und die Traditionen bricht, ist eine potentielle Gefahr, Gleichschaltung und Gehorsam sind die Fähigkeiten auf die es ankommt. Für Athaba ist es als Wolf auch nicht einfach, Lebewesen zu verstehen die so ganz anders sind als er und seine Artgenossen. Am schlimmsten ist das natürlich mit den Menschen.
Umso interessanter, als er schließlich einen Menschen an seiner Seite duldet und mit ihm über die riesigen Flächen der Tundra zieht. Dabei gibt es auch einige recht witzige und ironische Stellen (etwa, als Athaba einem anderen Wolf erzählt „Ein, zwei Kommandos versteht er, aber wahrscheinlich hat er sich nur den Tonfall gemerkt.“). Man fragt sich unwillkürlich, wie sich die Geschichte aus dem Blickwinkel des Menschen abgespielt hat. Athaba, der sich irgendwann sogar für den Menschen verantwortlich fühlt und ihn als Ersatzrudel betrachtet, schützt diesen mit seiner eigenen wölfischen Logik. Das Rudel muss sich von Menschen fern halten, ergo macht Athaba um alles was nach Mensch riecht einen großen Bogen. Was hätte der Südmensch wohl gesagt, hätte er gewusst, dass sie einige male nur knapp an kleinen Dörfern vorbei geschlichen sind?
Fazit:
Es war am Anfang etwas schwierig in die Handlung zu kommen. Dieses „zum Wohl des Rudels“ für das auch mal ein Welpe der krank ist geopfert wird, und die konsequente Unterdrückung der Entwicklung eines eigenen Charakters haben die Wölfe nicht gerade sympathisch wirken lassen. Da auch Athaba diese Zustände für ungerecht hält, kann man sich mit ihm dann allerdings recht leicht identifizieren. Sein Leben ist voller Höhen und Tiefen, nie bleibt etwas lange gleich (bis zu dem Zeitpunkt, an dem die lange Reise beginnt). Ein unterhaltsamer Roman aus dem Blickwinkel der Wölfe, wie er sein könnte. Trotz der angestrebten Gleichheit im Rudel gibt es einige interessante Charaktere: Skassi, der von der Austreibung des Mystizismus geradezu besessen aber nicht eigentlich böse ist oder auch Raghistor, Athabas zynischer Lehrer und Freund. Abzug gibt es für einen Logikfehler: kurz bevor Athaba gefangen genommen wird hieß es, sein Wurf bestünde aus zwei Männchen und vier Weibchen. Später heißt es plötzlich, es wären drei Männchen und drei Weibchen. Sowas darf nicht passieren. Zudem wechselt der Autor bei der wichtigsten Schlussszene für ein paar Absätze plötzlich ins Präsens, was irgendwie komisch auffällt. Vermutlich sollte damit mehr Spannung erzeugt werden, ich finde aber es wirkt fehl am Platz und eher so als wäre es aus Versehen passiert.
Ich vergebe 7 von 10 Punkten.
(ich hab schon wieder viiiiel zu viel geschrieben, aber kürzer gings irgendwie nicht *hüstel*)