Brief an einen jüdischen Freund von Sergio Romano, 15. 10. 2007
Buchvorstellung im Jüdischen Museum, Berlin
Sergio Romano ist in Italien ein Begriff. Historiker mit Lehraufträgen u.a. in Harvard, lange Jahre im diplomatischen Dienst, ist er heute vor allem als Kolumnist des Corriere della Sera bekannt, wo er sehr fundierte, sehr gescheite und nicht selten sehr provokante Analysen zu aktuellen Geschehnissen in Italien wie in der übrigen Welt gibt. Berühmt wurden unter anderem seine Kommentare zur Wahl und den Folgen einer Regierung Berlusconi, die Wochen vor der damaligen Wahl erschienen - und die sich bewahrheitet haben.
Romano (Jg. 1929) gehört zu den für romanische Länder typischen Intellektuellen, die sich stets mit den Gegebenheiten auseinandersetzen, kritisch, ernsthaft, gesprächsbereit, aber nie ‚kompromisslerisch’. Er gehört keinem politischen Lager an.
1997 löste eines seiner Bücher eine heftige öffentliche Kontroverse in Italien aus: Lettera a un amico ebreo. In dem Buch, eigentlich einem politischen Essay, setzt sich Romano mit der Frage auseinander, welcher Art der Umgang heutzutage mit der Ermordung der europäischen Juden durch die Nationalsozialisten ist und welche Folgen das hat.
Er untersucht den gewachsenen Stellenwert des sog. ‚Holocaust’ im modernen öffentlichen Bewußtsein und geht der Bedeutung seiner Instrumentalisierung in der Politik nach. Sein Umgang mit dem Thema ist äußerst kritisch. In letzter Konsequenz sieht er in der Überhöhung des Vorwurfs der Kollektivschuld die Keimzelle eines neuen Antisemitismus.
Zehn Jahre später ist dieser Essay nun in deutscher Übersetzung bei dem erst 2005 gegründeten Berliner Landt-Verlag erschienen, unter dem Titel: Brief an einen jüdischen Freund.
Die Buchvorstellung allein war schon spannend. Gesprächspartner waren der Autor und Wolfgang Schieder, em. Professor für Zeitgeschichte, moderiert wurde von Angelo Bolaffi, dem Leiter des Italienischen Kulturinstituts. Diskutiert wurde nicht wirklich, tatsächlich entsprach das Ganze eher einer italienischen ‚rappresentazione’, also der für Italien typischen Art der Buchvorstellung.
Nach einer kurzen Einführungsrede des Verlegers, die man auf der Verlagswebsite nachlesen kann (unter Aktuelles), gab der Autor mit eigenen Worten in knappen, aber wunderbar formulierten Beiträge die Kernthesen seines Buchs wieder, machte also Appetit darauf. Die Argumentation im einzelnen nachzulesen bleibt den Interessierten überlassen. Romano zeichnete sich durch sehr klare Stellungnahmen und klarsichtige Analysen aus, seine engagierte, aber ruhige Haltung tat das ihrige bei diesem brisanten Thema. Er sprach so anregend, daß schließlich sogar der Moderator zu einer persönlichen Stellungnahme zum Thema bewegt wurde, was das Podium plötzlich sehr lebendig machte.
Schieder übernahm die Gegenrede. Zur Sprache kamen Fragen wie die nach der Bedeutung der 68er-Bewegung für die Rezeption des Holocaust, die Instrumentalisierung der Shoa in der israelischen Regierungspolitik, Unterschiede in der Umgehensweise zwischen Italien und Deutschland, die Entschädigungen.
Abgeschlossen wurde das Ganze durch einen längeren Beitrag der Vertreterin des Jüdischen Museum, Cilly Kugelmann, Leiterin der Bildungsabteilung und Stellvertretende Direktorin, der leider an Qualität einbüßte, da er recht polemisch wurde und die Diskussion auf die persönliche Ebene zu rücken versuchte.
Gesprochen wurde italienisch und deutsch, mit Hilfe eines Simultanübersetzers.
Eine spannende und anregende Buchvorstellung zu einem höchst schwierigen Thema. Die Lektüre des ‚Briefs an einen jüdischen Freund’ soll man sich sicher nicht entgehen lassen, wenn man sich für das Thema interessiert.