Achtung, Geheimtipp!!
Zumindest hatte ich von diesem Buch noch nie irgendwas gehört, bis ich es gestern zufällig entdeckte. Ich ging in den Buchladen, um eine Gute-Besserungs-Karte für meine kranke Tante zu kaufen, und kam stattdessen mit der neuesten "Vanity Fair", dem Oller-Hansen-Kalender für 2008 und diesem Buch wieder heraus. Heute Nachmittag hatte ich's durch.
Das Buch (Amazon, gekürzt)
Scheich Muhammad ibn Zaidi bani Tihama, ein passionierter Fliegenfischer aus dem Jemen, hat einen Plan: Zum Wohle seines Heimatlandes sollen nordeuropäische Lachse in den Wadis des Wüstenstaates angesiedelt werden - koste es, was es wolle. Er beauftragt den britischen Meeresbiologen Dr. Alfred Jones mit dem Projekt. Der verwirft die Idee als komplett absurd. Aber ein paar gewiefte Politiker erfahren von dem Vorhaben und erkennen in ihm eine Möglichkeit, die Medien von den unerfreulichen Nachrichten aus dem Nahen Osten abzulenken. Schon bald mischt sich Englands profilneurotischer Premierminister ein, und Dr. Jones muss sich darüber den Kopf zerbrechen, wie er es schafft, zehntausend schottische Lachse in die Wüste zu fliegen und sie zu überzeugen, dass sich in der sengenden Hitze genauso gut laichen lässt wie in den nebligen Highlands ... Entgegen allen Vorzeichen gelingt es dem Scheich allmählich, Jones' rationale Einwände zu Fall zu bringen - und dessen Frau Mary in Rage. Denn inzwischen hat der englische Fischereiexperte auch Harriet Chetwode-Talbot, die Immobilienberaterin des Scheichs, kennengelernt. Mit ihr begibt er sich auf eine abenteuerliche Reise in den Jemen, und der schüchterne Wissenschaftler entwickelt eine Fähigkeit zur Liebe und zum Heldentum, die ihn selbst überrascht.
Der Autor (bei Perlentaucher)
Paul Torday, geboren 1946, lehrte Englische Literatur am Pembroke College in Oxford. Er ist verheiratet und hat zwei Söhne aus einer ersten Ehe und zwei Stiefsöhne. Seit mehr als fünfzehn Jahren ist er begeisterter Lachsfischer, und weil er in der Grafschaft Northumberland, ganz in der Nähe des wilden Flusses North Tyne wohnt, hat er auch ausreichend Gelegenheit, seiner Passion nachzugehen.
Meine Meinung
Das Buch ist sozusagen als Fallakte aufgebaut, an deren Ende die Beurteilung durch einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss steht. Diese "Akte" enthält E-Mails, Briefe, und Tagebuchauszüge, Zeitungsartikel und Interviews, die die Geschichte chronologisch erzählen. Dazu kommen eingestreute Befragungen der Hauptpersonen durch eben jenen Untersuchungsausschuss, die zeitlich später liegen; man ahnt also schon recht bald, dass diese verrückte Idee, in der Wüste Lachse anzusiedeln, in irgendeine Katastrophe münden wird.
Mir hat dieses scheinbar authentische Sammelsurium verschiedener Textsorten ausgezeichnet gefallen; dadurch, dass die Chronologie praktisch erhalten bleibt (mit Ausnahme besagter Befragungsprotokolle), ist es zu keiner Zeit verwirrend. Und es wird auch nicht "unruhig"; vor allem die (recht langen) Auszüge aus Dr. Jones' Tagebuch bringen doch recht viel Kontinuität in die Darstellung. Die Personen wurden mir recht vertraut und wichtig: Dem arroganten Pressechef des Premierministers wünschte ich schon bald nichts Gutes, Dr. Jones fand ich viel zu gut für seine karrieregeile Frau, und die beim Lachsfischen in schottischen Lochs verbreiteten nahöstlichen Weisheiten des Scheichs verlockten mich durchaus zu einem zweiten Blick.
Die Story ist natürlich absurd und überzogen, aber darum dennoch erschreckend realitätsnah: Dass ein Chef einen zu hirnrissigen Aufgaben verdonnert, das hat jeder schon mal erlebt. Dass dem Scheich plötzlich Al-Qaida-Verquickungen am Horizont dräuen, das will man in einem abgedrehten Roman eigentlich gar nicht näher wissen, und dass die Politiker sich Image-Aktionen einfallen lassen, um von anderweitigen Missständen, darunter z.B. zwielichtigen Irak-Manövern, abzulenken, das ist eigentlich auch gar nicht mehr lustig. Und wer sich mit der britischen Politik gut auskennt, der wird sicherlich viele weitere Parallelen finden.
Und es ist eben doch lustig. Als "sehr britischer Humor" wird das Buch apostrophiert, und das hat mich zuerst etwas skeptisch gemacht, weil ich Monty Python gar nichts und Mr Bean nicht wirklich viel abgewinnen kann. Aber für mich war es im genau richtigen Maße überzogen bzw. realistisch - nah genug dran, um nachvollziehbar zu sein, und weit genug weg, um nicht langweilig zu werden (wenn man sich beispielsweise für Politik und den Nahen Osten eigentlich gar nicht erwärmen kann). Wenn ich schon vergleichen müsste, dann habe ich mich am ehesten an David Lodge erinnert gefühlt, den ich sehr mag. (Im gleichen Atemzug genannt wird des Öfteren allerdings die "Kurze Geschichte des Traktors auf Ukrainisch" von Marina Lewycka, und ich frage mich, ob ich die nun doch noch lesen sollte.)
Es ist aber kein "Politthriller", wie ein Amazon-Rezensent meint. Es ist eine Satire, die einem Höhepunkt zustrebt, auf den man durchaus gespannt ist, der aber nicht das Entscheidende ist. Außer der Frage, ob es nun etwas wird mit den Lachsen im Jemen, war für mich genauso interessant, was jetzt aus der Ehe von Dr. Jones wird und wie sich sein Verhältnis zu Harriet entwickelt.
Die Frage "Wieso ausgerechnet der Jemen?" erklärt sich übrigens vermutlich ganz profan durch den schönen Reim "Yemen salmon", der sich im Deutschen so nicht nachbauen lässt. (Wie üblich kann ich zur Übersetzung nichts sagen, weil ich auf Englisch gelesen habe.) Die Schilderungen von Architektur und Landschaft machen aber durchaus Laune, sich auch dann mit diesem Land näher zu beschäftigen, falls es mit dem Lachs dort nicht klappen sollte.
Außerdem werde ich künftig ganz sicher nur noch Wildlachs kaufen.