Irma ist Journalistin, Alleinerzieherin eines 3-jährigen Sohnes, sie lebt in Wien. Mira ist Altenpflegerin, verheiratet und lebt in Rom.
Es sind nicht nur die Buchstaben, aus denen sich ihre Vornamen zusammensetzt, was die beiden verbindet. Obwohl sie nie einander begegnen, berühren sich ihre Lebenswege und Schicksale in ungeahnter Weise.
Mira lebt ihren Beruf, sie hat die nötige Geduld, das Einfühlungsvermögen und die Nervenstärke für die ihr anvertrauten alten Männer auf der Pflegestation. Es fällt ihr schwer, zuhause abzuschalten. Auch ihr Gatte Vittorio, Antiquitätenhändler – bzw. vielmehr –sammler – gibt ihr Grund zur Sorge. Schweigen, Distanziertheit und Misstrauen weisen auf das langsame Ende der Ehe hin. Der Gedanke, es sei eine andere Frau im Spiel, lässt Mira nicht mehr los.
Rino, der Vater von Irmas Sohn, ist Römer, das Kind entsprang einer kurzen Affäre. Seitdem ist der Vater spurlos verschwunden. Für Irma erschwerend ist der Umstand, dass sie seit einem Nierenversagen bei Florians Geburt Dialysepatientin ist. Ihr Leben ist dadurch eingeschränkt, kompliziert und schwierig. Eines Nachts ereilt sie der sehnlich erwartete Anruf aus dem Krankenhaus, die Transplantation gelingt und Irma erwacht über Nacht zu einem neuen Leben. Doch richtig genießen kann sie diese Unbeschwertheit, Unabhängigkeit nicht. Der Gedanke, dass jemand sein Leben dafür hat lassen müssen, beschäftigt sie. Sie möchte unbedingt die Umstände über den Tod des Organspenders kennen, sie möchte teilhaben an dessen Leid, das zu ihrem Glück wurde. Als ihr Sohn beginnt, nach seinem Vater zu fragen, macht sie sich auf den Weg nach Rom. Unterstützt wird sie von Davide, dem Lebensgefährten ihres homosexuellen Bruders, der seinerseits wieder mit aufkommenden Problemen in seiner Beziehung konfrontiert wird.
Großartig, wie die Autorin diese beiden Schicksale in einer Art „Spiegelgeschichte“ verwebt.
Einfühlsam, liebevoll, ohne Sentimentalität und ohne Kitsch werden die Zustände im Pflegeheim beschrieben mitsamt den Schrullen der alten Männer, dem psychischen und körperlichen Druck des Pflegepersonals. Miras Gefühle und Ängste über die langsame Zerrüttung ihrer Ehe, ihre Versuche, den Schaden zu begrenzen um sich dann eingestehen zu müssen, dass das Vertrauen, die Sicherheit verloren gegangen ist. Während Miras Hoffnungen, Sehnsüchte und Wege einem Ende zusteuern, erwacht Irma praktisch über Nacht zu einem neuen Leben. Plötzlich nimmt sie die Farben des Lebens war, die Welt erscheint bunt, Details und Kleinigkeiten werden ihr bewusst, wenn auch der Gedanke, dass jemand sterben musste, damit sie leben kann, diese Freude trübt.
Für mich ein Meisterwerk – inhaltlich und stilistisch, und sicherlich ein – wenn nicht DAS - Highlight des Jahres!
Sabine Gruber wurde 1963 in Meran geboren und studierte Germanistik, Geschichte und Politikwissenschaft in Innsbruck und Wien. 1988-1992 Universitätslektorin in Venedig. Sie lebt in Wien.
Sie erhielt u.a. den Förderungspreis der Stadt Wien, das Solitude-Stipendium, den Priessnitz-Preis und den Förderungspreis zum österreichischen Staatspreis sowie das Heinrich-Heine-Stipendium der Stadt Lüneburg und das Elias-Canetti-Stipendium der Stadt Wien.
Neben Erzählungen, Hörspielen und Theaterstücken veröffentlichte sie die Romane "Aushäusige" (1996) und "Die Zumutung" (C.H.Beck, 2003) sowie den Lyrikband "Fang oder Schweigen" (2002).