Inhalt:
Der angesehen, charmante Anthropologe Dr. Edward Weyland ist in Wirklichkeit ein Vampir, der ein unstillbares verlangen nach weichen, weißen Nacken von wunderschönen Frauen hat. Er, der eines seiner vielen Leben in der komplexen Welt des zwanzigsten Jahrhunderts lebt, hat wenig Mühe, sich dem amerikanischen Alltag anzupassen und seiner Jagdleidenschaft mit Erfolg zu frönen. Bis eines Tages der Jäger zum Gejagten wird.
Rezension:
Bei diesem Buch hat der Übersetzer wohl nicht aufgepasst. Im Original heißt es „The Vampire Tapestry“ – gemeint ist der Gobelin und nicht der Baldachin. Angespielt wird hier auf die bekannte Gobelin-Darstellung des Einhorns und der Jungfrau. Im Fall des Buches ein Sinnbild für den Vampir und die Menschenfrau. Denn das Einhorn kann nur vom Menschen besiegt werden, wenn es seinen Kopf vertraulich in den Schoß einer Jungfrau legt, um dort zu ruhen. Sein Vertrauen bringt ihm so den Tod bzw. die Gefangenschaft.
Ähnlich ergeht es hier dem Vampir. Doch nicht nur das: Auch hier erfolgte mit dem merkwürdigen Cover wieder ein echter Schuss in den Ofen. Eine nackte grüne Frau, eine Fledermaus mit Glotzaugen und ein züngelnder Waran? Also wirklich, waren da ein paar Designer wieder mal auf LSD?
Wer sich davon nicht abschrecken lässt, wird mit einem anspruchsvollen, philosophisch angehauchten Vampirroman belohnt. Die Hauptfigur ist recht ungewöhnlich: Ein älterer, dennoch attraktiver Mann lehrt an einer Hochschule Anthropologie und hat ein besonders Händchen für Frauen. Oder umgekehrt? Die Studentinnen fahren derart auf den mysteriösen Lehrer ab, dass schon mal T-Shirts mit Aufdrucken „Schlaft mit Dr. Weyland! Er ist ein Traum!“ massenhaft hergestellt und auf dem Campus getragen werden.
Der Roman besteht auf fünf Einzelstücken, die jeweils eine andere Lebensgeschichte des Vampirs behandeln. Dr. Weyland, der sich mit der hektischen und zudem für Wesen wie ihn gefährlichen Welt des 20. Jahrhunderts herumschlagen muss, hat einiges auszuhalten. Satanisten entführen ihn und trachten danach, blutige Rituale mit diesem außergewöhnlichen Wesen abzuhalten, eine sture Psychotherapeutin will ihn unbedingt heilen und hartnäckige Verfolger lassen ihm kaum eine ruhige Minute. Dr. Weyland findet selten Frieden, reist kreuz und quer durch die Lande, um nicht entdeckt zu werden, muss seinen Hunger heimlich und vorsichtig stillen und wird immer wieder von der Einsamkeit heimgesucht. Denn auch er sehnt sich nach Liebe und Geborgenheit – muss sie jedoch stets nach kurzer Zeit wieder aufgeben, um erneut zu flüchten.
Am Anfang noch etwas zäh, entwickelt das Buch langsam einen Spannungsbogen – bleibt jedoch im Großen und Ganzen eher ruhig und subtil. Dr. Weylands Gespräche über Vampire, die er im Hörsaal hält, sind überaus interessant und amüsant – ahnen die Studenten doch nicht, wer bzw. was sich da so galant über dieses spezielle Thema auslässt. Die Szenen bei den Satanisten sind recht lustig geraten, zumindest dann, wenn der stolze „Besitzer“ seinen speziellen Schatz vor geladenen Gästen vorführt und herumschubst. Tiefgründig wird es wiederum während der Gespräche mit der Psychotherapeutin, die intensiv in Dr. Weylands Seele eintaucht und uns so das Wesen des Vampirs nahe bringt.
Es gibt in diesem Buch keinen Schnick Schnack wie Kreuze, Knoblauch oder in Nebel verwandeln. Der Vampir wird als realistisches, würdevolles Wesen gezeichnet mit all seinen „menschlichen“ Bedürfnissen, Sehnsüchten und Sorgen. Mit ausgeprägter Moral ausgestattet (wenn sie sich auch hier und da von der menschlichen unterscheidet) geht der Vampir seinen schwierigen Weg unter Menschen und erscheint uns als höheres, niveauvolles Wesen, stehend einige Stufen über den Zweibeinern und doch von ihnen verfolgt.
Fazit: Ein guter, recht unbekannt gebliebener Roman, der mal etwas tiefer in den Vampirmythos eindringt und Klischees außen vor lässt. Außerdem praktiziert der Vampir hier die wohl speziellste Art der Blutbeschaffung