Ich lese gern. Das darf jeder wissen, und wer mich gut kennt, der weiß das auch. Warum aber glauben so viele Menschen, dass jemand, der gern liest, automatisch ALLES liest, was Buchstaben hat?
Zum Geburtstag wünsche ich mir oft Büchergutscheine. Man kann mir kaum eine größere Freude machen und es wäre so einfach, wenn viele Menschen nicht lieber "ein gutes Buch" verschenkten als einen schnöden Gutschein.
Leider gehen die Meinungen darüber, was ein gutes Buch ausmacht, ja weit auseinander, und so nehme ich mit einem höflichen Dankeschön statt der freien Auswahl in einer gut sortierten Buchhandlung Hera Linds und Gabi Hauptmanns entgegen, die ich bei nächster Gelegenheit im Internet anpreise, um wenigstens ein Tauschticket dafür zu ergattern. Was bleibt, ist die Furcht, die Spenderin könnte bei nächster Gelegenheit fragen, wie die Lektüre mir gefallen hat oder schlimmer noch, ob ich ihr das Buch einmal leihen könnte, wenn ich es gelesen habe...
Als ich gezwungen war, mich für einige Wochen ins Bett zu legen, konnte ich der Situation auch etwas Positives abgewinnen: 60 ungelesene Bücher warteten auf mich und jede Menge Zeit zum Lesen! Ich griff fünf davon heraus, vertiefte mich in das erste und legte den Rest unters Bett. Schon kam eine Freundin zu Besuch und drückte mir einen 400-Seiten-Schmöker von Nicholas Evans in die Hand: "Damit dir nicht langweilig wird!" Eine sehr nette Geste, und sie versicherte mir, das Buch sei äußerst spannend und einfach wunderschön.
Viel lieber hätte ich meine 60 Bücher gelesen, aber ihr zuliebe schob ich Nicholas Evans dazwischen. Ich langweilte mich so unsäglich, dass ich nach dem ersten Teil aufgab. Zu platt, zu ereignisarm, zu langatmig, aber wie sag ich's meiner Freundin, ohne ihren Lesegeschmack herabzuwürdigen?
Sie blieb nicht die einzige, die mich mit ihren Lieblingsbüchern glücklich machen wollte. Einige Autoren lehne ich sofort ab: Nicholas Sparks ist mir zu kitschig, Stephen King habe ich vor 15 Jahren gelesen und historische Romane sind generell nicht so mein Fall. Nein, auch wenn ich schwanger bin, möchte ich "Die Hebamme von Glückstadt" nicht lesen.
Auf meinem SUB warten Uwe Timm, Ian McEwan, Amélie Nothomb und Michel Faber. Da gehen auch die esoterischen Wegweiser meiner Schwiegermutter nicht so an mich. Nun hat sie mir schon zum dritten Mal ihr derzeitiges Lieblingsbuch "Jesus lebt!" angeboten, und ich komme mir allmählich ganz schön ungezogen vor...
Die Haushaltshilfe, die mir seit meiner Bettlägerigkeit zur Hand geht, kommt aus Afghanistan. "Ich habe gesehen, Sie lesen gern." stellte sie eines Tages fest. "Morgen bringe ich Ihnen ein paar Bücher über die Situation der Frauen in Afghanistan." Kurz zuvor hatte ich mit aufrichtigem Interesse ihrer dramatischen Lebensgeschichte gelauscht. Ich KONNTE einfach nicht sagen: "Ich interessiere mich nicht so sehr für die Lage der Frauen in Afghanistan." Jedenfalls nicht so, dass ich gleich mehrere Bücher über dieses Thema lesen möchte. Auch wenn man ein paar Wochen im Bett liegen darf, ist das ein begrenzter Zeitraum.
"Welches ist das Beste?" fragte ich, als sie mir am nächsten Tag strahlend einen Stapel Bücher auf den Nachttisch legte. "Die sind alle gut." antwortete sie hartnäckig, zog dann aber doch eines heraus: "Das hier hat mein Cousin geschrieben." "O.k., das nehme ich." sagte ich, und ich hatte Glück: Der Cousin meiner Haushaltshilfe ist ein begnadeter Schriftsteller!
Kennt ihr dieses Gefühl, dass ihr permanent mit den "falschen" Büchern beglückt werdet?