Ich hatte gehofft, dass es hierzu oder zu einem anderen Buch aus der Reihe schon eine Rezi geben würde - aber so muss ich das "Labyrinth" wohl selbst aufdröseln.
Ich setze es mal zu den Krimis. Dabei gehört es eigentlich dringend in die historische Abteilung, aber dort konnte ich mich nicht für eine Rubrik entscheiden.
Der Autor Robert van Gulik, Niederländer von Geburt, Orientalist und Diplomat von Beruf und Sinologe aus Leidenschaft (Näheres bei Wikipedia, und die Krimi-Couch hat auch ein Foto), hat einen chinesischen Kriminalroman aus dem 18. Jahrhundert ins Englische übersetzt. Dieser Roman beruht auf der historischen Figur des Richters Di, der in der Tang-Zeit von 630-700 n.Chr. gelebt hat.
Nach dem Erfolg dieser Übersetzung ging Gulik noch einen Schritt weiter und schrieb aus den überlieferten Geschichten um Richter Di eigene Krimis. Diese Krimis sind allerdings nicht in der Lebenszeit von Richter Di, sondern in der Ming-Zeit (1368-1644) angesiedelt. Van Gulik erklärt außerdem, dass er sich Mühe gegeben hat, die alten Richter-Di-Geschichten für den modernen westlichen Krimi-Leser zugänglich zu machen, hat dabei aber keinesfalls den chinesischen Zeit- und Lokalkolorit geopfert.
Ich habe keinen Hinweis darauf gefunden, dass van Gulik in seiner Muttersprache Niederländisch geschrieben hat und die Bücher dann übersetzt wurden; ich gehe davon aus, dass er sie auf Englisch geschrieben hat. "Mord im Labyrinth" (im Original "The Chinese Maze Murders") ist laut Amazon und sogar laut Klappentext der erste Band der Reihe; in Wirklichkeit ist es wohl der zweite, und eigentlich beginnt die Reihe mit "Wunder in Pu-Yang" ("The Chinese Bell Murders"). Zumindest wird in "Mord im Labyrinth" in einer Fußnote Bezug auf die vorangegangene Geschichte genommen. (edit: Näheres zu Sprache und Reihenfolge im englischen Wikipedia-Artikel)
In einer Amazon-Rezi wird Richter Di mit Sherlock Holmes verglichen, was seine Ermittlungsweise betrifft, und vielleicht ist das wirklich ein ganz guter Vergleich. Er hat es hier mit drei Fällen zu tun, an denen er mit seinen Getreuen parallel arbeitet; dies scheint für den chinesischen Krimi typisch zu sein (und hatte für mich zur Folge, dass ich manchmal ein bisschen durcheinandergeriet). Es geht um Entführungen, politische Intrigen, zwielichtige Milieus und ungewöhnliche Mordwaffen. Es geht um Gerichtsverhandlungen, bei denen wir Richter Dis Gerechtigkeitssinn und Großmut bewundern, auch wenn uns mit unserem heutigen Rechtsverständnis zugleich ganz anders wird. Selbst bei der Urteilsvollstreckung ganz am Schluss ist der Leser dabei, und spätestens jetzt sind starke Nerven gefragt.
Auf dem Wege dorthin zeigt uns der Autor eine chinesische Stadt mit allen Facetten ihres Lebens, er hat für uns Bilder gezeichnet, die im Buch abgedruckt sind und die uns einen Eindruck vermitteln, wie die Szenen dort ausgesehen haben mögen. Sie beschränken sich auf das Wesentliche, und so ist es auch mit den Schilderungen des Buches. Man erfährt genug, um sich Richter Di in seiner Welt vorstellen zu können, man wird aber nicht mit Beschreibungen erschlagen. Ein bisschen erinnert das an eine grobe Holzschnitzerei, an eine Skizze - da wäre noch so viel mehr möglich, aber dann würde der einfache Charme, die Zugänglichkeit verlorengehen. Zugang zu einigen Figuren bekommt man trotzdem; man bekommt Respekt vor dem Richter, und man liebt seinen Haudegen Ma Yoong, der aber keineswegs nur zuschlagen kann, sondern auch mit List und Köpfchen seine Ziele erreicht.
Das Buch hat ein Vorwort, ein Nachwort, ein Personenverzeichnis und eine Erläuterung, aus welchen chinesischen Quellen die drei Fälle stammen, die in dem Buch aufbereitet wurden. Das Ganze scheint mit großer Sorgfalt recherchiert und geschrieben worden zu sein, wie gesagt einschließlich einer Reihe von Zeichnungen, und hinsichtlich der Kapitelüberschriften hält der Autor sogar gewisse Formvorschriften chinesischer Romane ein.
Als "einfacher" Krimi gesehen ist diese Reihe für mich nicht der große Wurf des Jahres, aber dennoch nett zu lesen. Hintergrund und Entstehungsgeschichte machen sie zu etwas Besonderem, das mir ein großes Lesevergnügen bereitet hat.