Die Geschichte, die in diesem Jugendroman erzählt wird, ist keine, die man so schnell vergißt. Schon beim Lesen drängen sich einem Wörter auf wie ‚unversöhnlich’, ‚unbarmherzig’ und ‚unerbittlich’. Sie treffen für die Protagonistin ebenso zu wie für den Ablauf der Handlung. Die ist von seltener Konsequenz, könnte man sagen, wenn man es modern ausdrücken möchte. Tatsächlich aber hat das Ganze in seiner Unausweichlichkeit geradezu archaische Dimensionen, die an griechische Tragödien gemahnen.
Auslöser: die trotzige Überzeugung der Protagonistin, die Welt nach ihrem Willen zu gestalten.
Ihr Fehler: ihre ‚Blindheit’ gegenüber anderen.
Die Strafe: der Untergang.
Gut, daß wir in anderen Zeiten leben, die einen Blick für die zweite Chance hat. Die ist besonders wichtig, wenn man erst sechzehn ist.
Die ‚Rabentochter’ und Heldin der Geschichte ist Corinna. Als sie fünf war, hat ihre Mutter sie zur Adoption freigegeben. Corinna hat Glück, sie kommt zu einer freundlichen und liebevollen Familie. Edith, Bernd und der Halbbruder Philipp tun alles, um Corinna ein richtiges Familienleben zu bieten.
Corinna aber kann das nicht akzeptieren. Der Schock, von ihrer Mutter verlassen worden zu sein, war zu groß. Sie will nur eines: zu ihrer Mutter zurückkehren. Nichts sonst zählt, Corinna ist nur Abwehr.
Ihre emotionale wie soziale Entwicklung wird in Mitleidenschaft gezogen. Sie stiehlt, leidet an Freßanfällen, lügt. Sie verletzt die neue Familie gezielt, um nur ja keine Nähe aufzubauen. Das wäre verrat an ihrer leiblichen Mutter. Ihr beweist Corinna tagtäglich, was wahre Liebe ist.
Ihre neuen Eltern kämpfen um sie, mit Liebe kübelweise, Verständnis, Rücksichtnahme. Nichts hilft. Die Pubertät verschlimmert alles noch, Corinna verschließt sich endgültig.
Bei einer Party kommt es zur Katastrophe. Corinna wird, ziemlich betrunken, von einem gleichfalls betrunkenen Jungen vergewaltigt. Und sie wird schwanger.
Ihr Zustand steigert nur noch ihr wildes Bestreben, sich von der Familie abzugrenzen wie auch ihren Wunsch, ihre leibliche Mutter zu finden. Sie setzt ihren Willen durch, auf der ganzen Linie. Aber es kommt anders, als sie gedacht hat.
Zum Schluß gibt es nur noch eine Chance für sie: die Familie, die sie nun einmal zugewiesen bekommen hat, mit ganz neuen Augen zu sehen.
Erzählt wird diese ziemlich erschreckende Geschichte auf drei Ebenen. Einmal als Ich-Erzählung, ein innerer Monolog direkt von Corinna, zum anderen personal, eine Draufsicht, die passend mit ‚Film ab’ betitelt wird. Dazu Rückblenden, die Hintergrundinformationen liefern. Der Duktus der drei Erzählebenen unterscheidet sich nicht und so kann man im Lauf der Geschichte durchaus den Eindruck gewinnen, als würden alle drei Stränge von Corinna selbst gesponnen, einmal von ihrem völlig den Gefühlsstürmen ausgelieferten Ich, zum anderen von einer eher sachlichen Persönlichkeit, die darum kämpft, einen anderen Standpunkt zu entwickeln und zu verstehen, was da eigentlich passiert.
Die Person, die einem am ehesten nahe kommt, ist tatsächlich Corinna. Noch in ihren schlimmsten Verweigerungsanfällen ist völlig verständlich, warum sie tut, was sie tut. Ihre Ängste, ihre Sehnsucht, ihre Wut und ihr Selbsthaß sind überzeugend gezeichnet.
Fern blieben zumindest mir die Eltern. Auch das mag seinen Grund darin haben, daß ihr Bild eigentlich von der ablehnenden Corinna geliefert oder zumindest beeinflußt wird. Am schlimmsten trifft es Edith, die Adoptivmutter. Sie kann einem mit ihrer ewigen Liebe, dem gesunden Essen und dem ganzen handgeknüpften Gehabe schon auf die Nerven gehen. Dabei hat sie das Urteil sicher nicht verdient. Mit rebellischen Teenagern umzugehen, ist alles andere als leicht.
Nur skizziert ist beim näheren Hinsehen Bernd, der gleichfalls verunsicherte Vater, der noch dazu einen dunklen Fleck in seiner Ehegeschichte hat. Das ist vielleicht ein wenig zuviel im Zusammenhang von Corinnas Geschichte. Dennoch sind Konflikte zwischen den Ehepartnern durchaus realistisch. Auch Adoptiveltern sind Menschen.
Sehr interessant aufgebaut ist das Verhältnis zwischen den Halbgeschwistern. Teenager-Solidarität, leichte Verliebtheit von Seiten Corinnas, eigentlich ihre einzige Möglichkeit wenigstens auf gleicher Stufe eine Verbindung aufzubauen, die sie auch nutzt, zumindest zeitweise.
Ein Roman der extremen Situationen, extremen Gefühle. Extreme Leserfahrung.
Und extreme Empfehlung, aber nicht für sanfte Gemüter.