Originaltitel: The Glass Books of the Dream Eaters (2006)
Blanvalet, 2007. 863 S. (10 Hefte im Schuber)
Über den Inhalt:
Die Handlung spielt in England im ausgehenden 19. Jahrhundert.
Durch Zufall werden drei sehr unterschiedliche Personen in eine phantastische Geschichte hineingezogen:
Die junge, wohlhabende Miss Temple, von ihrem Verlobten ohne nähere Erklärung sitzengelassen, versucht auf eigene Faust zu ermitteln, warum Roger Bascombe so plötzlich nichts mehr von ihr wissen will.
Kardinal Chang, privater Ermittler und Auftragskiller mit einer Vorliebe für Poesie, interessiert es, wie Colonel Trapping zu Tode kam, der doch eigentlich von ihm ermordet werden sollte.
Doktor Svenson ist der kettenrauchende Leibarzt des mecklenburgischen Prinzen Karl-Horst und auf der Suche nach seinem abhanden gekommenen Schützling.
Die drei versuchen das Geheimnis einer furchtbaren alchemistischen Maschine zu lüften und kommen einer ungeheuerlichen Verschwörung auf die Spur, deren Mitglieder bis in die höchsten Kreise von Adel und Politik reichen.
Über den Autor:
Die ist der erste Roman des erfolgreichen Bühnenautors und –regisseurs. Er lebt und arbeitet in New York.
Meine Meinung:
863 Seiten bieten genügend Platz für eine turbulente Mischung aus Abenteuerroman (Chang), Entwicklungsroman (Miss Temple), Gruselroman (was hat es mit dieser geheimnisvollen Maschine auf sich), Kriminalroman (wer ermordete Colonel Trapping und warum) und historischem Roman. Dabei bedient sich der Autor vieler Motive, vor allem aus der englischen Literatur. Wir werden erinnert an Edgar Allan Poe, Arthur Conan Doyle, Charles Dickens, Lewis Carroll oder Agatha Christie. Zudem erlaubt er sich kleine Seitenhiebe auf die typisch englischen Traditionen wie das Teetrinken oder den blinden Gehorsam der Deutschen. Der rote Faden der Geschichte ist schnell gefunden, diese erweist sich allerdings als derart komplex, dass beim Lesen höchste Konzentration gefordert ist.
Die Erzählweise des Autors paßt sich mühelos der Zeit an, in der die Handlung spielt. Daß der Roman zunächst beinahe ohne direkte Rede auskommt, ist etwas gewöhnungsbedürftig. Fast jedes Kapitel wird aus der Sicht eines der drei Protagonisten geschildert, die mir schon bald jeder auf seine Art sympathisch waren. Diese unterschiedlichen Blickwinkel erschweren das Einordnen der Geschehnisse in den Gesamtzusammenhang, da sie sich zeitlich überschneiden. Viele Personen werden zunächst nicht mit Namen genannt, sondern nur beschrieben (Frau in Rot, Mann im Pelzmantel), bis die jeweiligen Protagonisten ihre Namen erfahren.
Mit wissenschaftlichen Erklärungen zu seinen geheimnisvollen Maschinen (Jules Verne lässt grüßen) und alchemistischen Verfahren hält Dahlquist sich zurück. Stattdessen führt er uns von einer Horrorszene zur nächsten. Mit Blut wird wahrlich nicht gespart in diesem Buch.
Protagonisten wie Leser irren gemeinsam durch die unübersehbare Flucht an Gängen, Türen und Räumen in Lord Vandaariffs Herrenhaus.
Anfänglich klingen die Motive unserer Protagonisten noch glaubhaft, doch im Laufe der Geschichte fragte ich mich schon, warum sie Leib und Leben aufs Spiel setzen, derart verwegen kämpfen bis zur Selbstaufopferung. Miss Temples Heimat zum Beispiel ist weit weg und als Patriotin tritt sie wahrhaftig nicht auf, was also bewegt sie, sich heldenhaft in diesen aussichtslos erscheinenden Kampf zu stürzen? Sind die Geschehnisse derart faszinierend, ist ihre Neugierde so sehr geweckt, dass sie bereit ist, Moral und Anstand außer acht zu lassen? Im Laufe der Geschichte entpuppt sie sich als abenteuerlustige, wortgewandte, unerschrockene Kämpferin für das Gute.
Die Szenerie erscheint mal grausam, mal spannend, mal erotisch. So phantastisch sich die Welt darstellt, in die die drei Protagonisten eintauchen, so phantastisch entwickelt sich auch der Mut, die Gewaltbereitschaft, ja die Selbstaufopferung unserer Helden.
Das Schema der sich immer wiederholenden Zusammenstösse und Kämpfe erschöpft sich etwas im Laufe der Geschichte. Dabei leisten die drei Helden Unvorstellbares.
Spannend war es von der ersten bis zur letzten Seite, zeitweise bizarr, mal ekelig, in den Dialogen durchaus auch amüsant. Aber der Autor fordert ungeteilte Aufmerksamkeit und das Querlesen einiger Seiten wurde dadurch bestraft, dass ich diese Seiten dann noch mal lesen musste. Das filmreife Ende lässt eine Fortsetzung erwarten.
Anm: Ein Personenverzeichnis wäre ganz sicher hilfreich gewesen.