Alibi für einen König - Josephine Tey

  • Das Buch ist einTeil der Alan Grant-Reihe, es ist aber in sich abgeschlossen und ich habe auch nur das eine gelesen:


    1) Warten auf den Tod/Der Mann in der Schlange (The Man in the Queue/Killer in the Crowd)
    2) Klippen des Todes (A Shilling for Candles)
    3) Die verfolgte Unschuld/Der große Verdacht (The Franchise Affair)
    4) Wie ein Hauch im Wind (To Love and Be Wise)
    5) Alibi für einen König/Richard der Verleumdete (The Daughter of Time)
    6) Der singende Sand (The Singing Sands)


    Zum Buch


    In England weiß man, daß Richard III. ein Schurke war und seine zwei Neffen "Die Prinzen im Turm" ermorden lassen hat. Eine Meinung, die sich immerhin 450 Jahre lang gehalten hat. Bis Inspektor Grant gelangweilt im Krankenhaus liegt und zufällig auf ein Portrait von Richard III. stößt, dessen Physiognomie so gar nichts von einem Verbrecher zu haben scheint. Er fängt an, genauer zu lesen. Allmählich wird deutlich: Nicht Richard war das Scheusal.


    Über die Autorin


    Josephine Tey (1897 - 1952) wurde in Inverness, Schottland, geboren. Sie besuchte die Royal Academy in Inverness und das Anstey Physical Training College in Birmingham, arbeitete als Sportlehrerin und machte sich als Verfasserin zahlreicher Romane und Theaterstücke einen Namen.


    Mehr Info


    Meine Meinung


    Adam Grant liegt nach einem Unfall im Krankenhaus, starrt die Decke an und langweilt sich zu Tode. Da er ein besonderes Faible für Gesichter hat, bringt ihm eine Freundin Portraits von verschiedenen historischen Persönlichkeiten mit und schlägt ihm vor, sich mit einer der Figuren genauer zu beschäftigen. Grants Aufmerksamkeit bleibt an einem Druck von Richard III. hängen, den er intuitiv bei "den Guten" einsortiert hätte. Das Bild, das Grants ganze Nachforschungen auslöst, ist das auf dem deutschen Cover.


    Grant beginnt nachzuforschen, was es mit Richard III. auf sich hatte. Dabei muss man bedenken, dass Josephine Tey das Buch 1951 geschrieben hat, und Grant nicht mal eben bei Wikipedia nachgucken konnte. Er hat noch nicht mal ein Telefon in seinem Zimmer, sondern ist darauf angewiesen, dass Leute ihn besuchen und ihm Informationen mitbringen. Es ist also kein Buch, das ein besonders hohes Tempo aufweist. Grants erste Quelle ist ein Schulbuch der dritten Klasse, das ihm eine Krankenschwester leiht und in dem selbstverständlich steht, dass Richard III. ein Schurke war. Von dort arbeitet er sich mit der Hilfe von Freunden, die für ihn mehr oder weniger den Laufburschen spielen, hoch bis zu Originalquellen aus dem British Museum.


    Der Schwerpunkt des Buches liegt auf Grants Gedankengängen und die Kernaussage ist wohl, dass man nicht alles glauben soll, was in Büchern steht und schon gar nicht in Geschichtsbüchern. Die Autorin lässt Grant die die Quellen Schritt für Schritt auseinanderpflücken und eigene Schlüsse ziehen, wo wer was verfälscht haben könnte und aus welchen Gründen.


    Ich habe das Buch unter Krimis gepackt, die ganze Handlung findet ausschliesslich in der Gegenwart statt, genauer gesagt in Grants Krankenzimmer. Es ist aber eben kein klassischer Krimi, da der Fall mehrere hundert Jahre zurück liegt. Man sollte wohl schon ein Interesse an Richard III. und den Rosenkriegen mitbringen und auch gewisse Vorkenntnisse schaden nicht.


    Das Englisch habe ich als eher anspruchsvoll empfunden, ich bin auf den ersten Seiten etwas ins Schwitzen geraten, ich möchte auch lieber nicht wissen, was in der Übersetzung von den zahlreichen Wortspiele übrig geblieben ist. Ich empfehle die englische Ausgabe. Nach einigen Seiten hatte ich mich auch eingelesen.


    Das war wirklich mal ein intelligent gemachtes kleines Buch, das mich zum Denken angeregt hat, wie Geschichte gemacht wird.
    .

  • Zitat

    Original von Delphin
    Das war wirklich mal ein intelligent gemachtes kleines Buch, das mich zum Denken angeregt hat, wie Geschichte gemacht wird.
    .


    Wobei man sich scheinbar darüber streiten kann, ob die Autorin nicht das Gleiche macht...


    Schöne Rezi, Delphin!

  • Schön! Ein Wort über eins meiner Lieblingsbücher.


    Es ist ein sehr intelligent gemachtes kleines Büchlein und spiegelt auch die in seiner Entstehungszeit gerade zu Geltung gelangte Auffassung der offiziellen Geschichtsschreibung wider.
    Ja, es wirft einen Blick auf die Frage, wie Geschiche gemacht wird. Das macht es zu einem ziemlich wichtigen Buch, wenn man sich für so etwas überhaupt interessiert.


    Es ist sehr spannend, verbindet die klassische detection mit einem historischen Fall.
    Es ist ein Kriminalroman, wie er klasssicher kaum sein könnte.
    Sprachlich-stilistsich gehört er eher in die Richtung von Sayers als Christie. Der Krimi als literarische Gattung, also.


    Anspruch auf historische 'Wahrheit' oder Allgemeingültigkeit erhebt Tey nicht. Wie gesagt, es ist ein intelligentes Buch.


    :wave


    magali

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Vor diesem Buch kannte ich auch nur die Version des "bösen" Richard III. Gerade weil es hier anders geschildert wird, hat es mich neugierig gemacht.


    Was nun "wahr" ist oder nicht - mich hat einfach die andere Perspektive und auch die ziemlich originelle Art des "Detektivspiels" gereizt. Und ich wurde nicht enttäuscht!

  • Ich kann mich den positiven Meinungen nur anschließen. Ein etwas altmodisches (im positiven Sinne), kleines Büchlein, das zum Nachdenken anregt über alles, was als gefestigtes Wissen gilt.
    Natürlich kann die Autorin genauso mit Fakten jongliert haben wie die Personen des Buches. Aber das macht eigentlich auch den Reiz des Büchleins aus.
    Ich hab mich jedenfalls sehr gut dabei unterhalten. Wird endlich mal Zeit, Kendalls Buch zu lesen.

  • Dass das Buch ein wenig altmodisch wirkt, was für mich übrigens kein Negativkriterium ist, nun, es wurde Anfang der 1950er Jahre geschrieben. Die Idee, dass der Inspektor vom Krankenbett aus einen historischen Kriminalfall löst, finde ich originell, und sie ist gut und auch sehr unterhaltsam umgesetzt.


    Das Buch ist zusätzlich ein engagiertes Plädoyer für eine kritische Auseinandersetzung mit überlieferter Geschichte. Dabei werden verschiedenen Zugänge zur Geschichte gezeigt und hinterfragt, die durchaus problematisch sind: so z. B. die blinde Übernahme von parteiischen Quellen ohne diese auf ihre tatsächliche Glaubwürdigkeit zu überprüfen, das krampfhafte Festhalten an einer bisher üblichen Überlieferung, selbst wenn die eigenen Forschungsergebnisse eine andere Sicht nahelegen (nach dem Motto: was nicht sein darf, darf nicht sein) oder auch das schlichte Wegblenden von Werken, die zu einem anderen Ergebnis kommen.


    So gesehen ist es für mich letztlich gar nicht so wichtig, ob die Auflösung der Geschichte von den Prinzen im Turm, zu der Tey ihren Inspektor Grant und den Historiker Carradine kommen lässt, nun zutrifft oder nicht. (Mein persönlicher Eindruck: Ob Richard nun seine Neffen ermorden ließ oder in diesem Fall unschuldig war, bei einem fairen Gerichtsverfahren müsste er jedenfalls frei gesprochen werden, denn das Beweismaterial ist absolut nicht ausreichend für eine Verurteilung, nicht zuletzt, da bis heute gar nicht eindeutig feststeht, wie seine Neffen tatsächlich zu Tode gekommen sind.)


    Das Buch ist jedenfalls eine Anregung zur kritischen Auseinandersetzung mit dem, was als Geschichtsfakten gewöhnlich präsentiert wird, und so gesehen, war es zu seiner Entstehungszeit innovativ.


    Leider ist das Thema auch heute noch aktuell.

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    Die gefährlichsten Unwahrheiten sind Wahrheiten, mäßig entstellt. (Georg Christoph Lichtenberg)

  • Mein Leseeindruck zu diesem Buch:


    Mal eine ganz andere Art von einem Cold Case.


    Das komplette Buch spielt sich in einem Krankenzimmer ab, in dem ein nahezu bewegungsunfähiger Polizist als Patient liegt - zu einer Zeit, in dem es weder Internet noch TV oder Telefon auf den Zimmern gab. Was tut er also gegen die unwiederbringliche Langeweile? Er ermittelt in einem Cold Case, nämlich in dem Fall um den Mord der beiden Neffen von Richard III um das Jahr 1485 herum. Das fand ich einen sehr spannenden Ausgangspunkt, zumal es sich um eine für mich sehr interessante Epoche handelt.


    Das Buch spielt in den 1950er Jahren. Wikipedia gab es noch nicht, also mussten die Nachforschungen mittels Büchern erfolgen, die Grant, dem verletzten Polizisten, ans Bett gebracht werden mussten. Nachrichten wurden in Papierform zum Adressaten getragen und im eiligen Fall gab es das Telegramm (Nostalgie!).


    Wir lesen Grants Überlegungen, bei denen er als Polizist an den Fall herangeht. Wem nützt das Verbrechen? Aus welcher Quelle stammen die Informationen und wer war Augenzeuge, wer berichtete nur aus dem Hörensagen, und welcher Partei stand der Berichterstatter nahe? Hilfe bekommt Grant von einem Historiker des British Museum und zu zweit nähern sie sich einer Lösung. Ob diese nun richtig ist oder nicht, lässt sich sicherlich nie beweisen, aber mir als Leserin kommt sie schlüssig vor.


    Ein wichtiges Thema in dem Buch ist auch: wie zuverlässig sind (historische) Quellen oder Informationen. Das ist ein absolut aktuelles Thema, wenn ich an die Fake-News-Diskussionen denke. Auch heute noch werden Tatsachen bewusst verdreht berichtet und als Wahrheit verkauft, genauso wie unleugbare Tatsachen als falsch dargestellt werden (egal ob das Thema Pandemie oder Russland/Ukraine-Krieg heißt). Und nicht alles, was in den Geschichtsbüchern steht, muss so stimmen.


    Ich kann das Buch sehr empfehlen.


    ASIN/ISBN: 3311300351