'Im Westen nichts Neues' - Kapitel 07 - 09

  • Die Zeit direkt an der Front geht erstmal wieder vorbei. Eine Art Kasernenleben an Feindeslinie und eine Begegnung mit jungen Frauen, lassen für die Soldaten den Krieg etwas in den Hintergrund rücken.


    Zitat

    von Joan
    Remarque selber ging öfters ins Bordell....
    ....und in einigen seiner Bücher hat er Szenen mit Prostituierten eingebaut. Er erzählt von diesen Frauen immer voller Respekt und lässt ihnen ihre Menschenwürde.


    Daher habe ich wohl diese Szene mit den 3 Frauen so verstanden, dass es sich um französiche Prostituierte handelte.
    Aber es kann durchaus auch sein, dass es einfach hungernde Frauen waren, und keine Profis.


    Mit dieser Erläuterung, kann man sie tatsächlich als Prostituierte sehen.


    Paul geht auf Heimaturlaub. Er traut sich kaum Heim, schließlich hat er Angst den Ein oder Anderen seiner Kameraden nicht mehr wiederzusehen bei seiner Rückkehr.
    Auf Heimaturlaub, gelingt es ihm nicht wirklich Abstand zu gewinnen zur Front. Zu kurz ist die Zeit, zu Viele wollen Geschichten, leider meist nur Heldengeschichten, die es eigentlich nicht zu erzählen gibt, hören.
    Die Männer am Stammtisch haben mich irgendwie an Männer am Rand eines Fußballfeldes erinnert: ohne wirklich zu Wissen, haben sie viel "gute" Ideen, wie das "Spiel" oder in dem Fall der Krieg zu gewinnen ist. Keiner hat eine wirklich Vorstellung davon!


    Wieder merkt Paul, wie weit er vom normalen Leben entfernt ist, nicht einmal in seinem eigenem Zimmer fühlt er sich wirklich geborgen!


    Dann zurück an der Front, ein scheinbar relativ "harmloser" Erkundungsgang. Paul tötet den ersten Menschen bewusst, er muss ihm in die Augen schauen, beim Sterben zu sehen. Ein Mensch, der in einem anderen Leben, sein Freund hätte sein können.


    Wieder ein andere Dimension der Grausamkeit des Krieges!

  • Zitat

    Original von Joschi


    Wieder ein andere Dimension der Grausamkeit des Krieges!


    Das ist es wohl Joschi....Remarque lässt in diesem Buch keine einzige dieser "Dimensionen des Grauens" aus, die Kriege "zu bieten" haben.


    Remarque war ein Mensch, dessen Sinne immer auf auf volle Aufnahmebereitschaft standen, er war ja bekannt als ein Geniesser all der schönen Dinge, die das Leben zu bieten hat: seine Liebe zu schönen Frauen mit all den dazugehörenden Facetten. Des weiteren war er auch ein ein leidenschaftlicher Sammler auserlesener Kunstwerke, ein Liebhaber anspruchsvoller Musik (er selber spielte in jungen Jahren sehr gut Klavier), er liebte hervorragende Weine und feines Essen.....


    ....aber genauso tief hat er auch an den Schattenseiten, die das Leben eben auch beinhaltet, gelitten....und ich kann mir vorstellen, dass ihn die Schrecken des Krieges in ihrer ganzen Intensität getroffen haben, sie sich jederzeit wieder abrufbar in sein Gedächtnis gebrannt haben. Sonst hätte er wohl kaum ein Buch mit einer solch beeindruckenden Aussagekraft zustande gebracht.


    Ein herzliches Grüessli an die gesamte Leserunde....Joan

    Avatar: James Joyce in Bronze... mit Buch, Zigarette und Gehstock.
    Diese Plastik steht auf seinem Grab. (Friedhof Fluntern, Zürich)
    "An Joyces Grab verweht die Menschensprache." (Yvan Goll)

  • Ich bin echt froh das wir in der LR doch ( für mich ) recht kurze Abschnitte haben. Das Buch kann man echt nur in kleinen Dosen vertragen.


    Im Kapitel mit dem Urlaub kann man sehen, wie sehr Paul doch mit dem Krieg und seinen Kameraden verbunden ist. Er hat Heimaturlaub und sollte sich doch eigentlich freuen. Aber da ist dann doch die Angst um die Kameraden und ob man sich noch einmal lebend sieht. Und die innere Zerrissenheit geht weiter, zu Hause fühlt er sich wie ein Fremdkörper und kann sich nicht an das "normale" Leben gewöhnen. Auf der einen Seite möchte er seiner Mutter nichts von der Front berichten, damit sie sich nicht noch mehr ängstigt. Auf der anderen Seite erwartet der Vater bzw. die Leute in der Kneipe Erfolgsmeldungen, mit denen er auch nicht dienen kann, weil er halt die Schrecken des Krieges kennt.
    Und seine Rückkehr an die Front ist dann auch schwierig. Zwar sind die wichtigsten Kameraden noch da, aber er selbst hat verlernt sich an Hand der Geräusche zu orientieren und bringt sich damit in Gefahr.


    Der Besuch bei Kemmerichs Mutter ging mir echt an die Nieren. Da spürt die Mutter das der Junge qualvoll gestorben ist und möchte die Wahrheit wissen, aber verträgt sie die wirklich? Ist es richtig die Mutter zu belügen um sie zu schonen? Ich weiß es einfach nicht.


    Sehr bewegend auch die Szenen als Paul deutlich wird, das die Feinde auch nur einfache Menschen sind, die nicht über den Krieg entschieden haben und Familien besitzen. Auch wenn man an der Front täglich mit dem Tod konfrontiert wird, ist es sicherlich noch ein Unterschied einen Menschen von Angesicht zu Angesicht töten zu müssen. Das kann man hier bei Paul deutlich erkennen, der sich danach auch Vorwürfe macht und an die Familie denkt.

    Kein Buch ist so schlecht, dass es nicht auf irgendeine Weise nütze.
    (Gaius Plinius Secundus d.Ä., röm. Schriftsteller)

  • Es ist ganz seltsam, in diesem Abschnitt passiert so viel Schreckliches, aber nichts hat mich so sehr berührt und deprimiert wie das Kapitel über Pauls Heimaturlaub. Es ist voller Hoffnungslosigkeit. Die Szene, als er in seinem alten Zimmer sitzt und sich so sehr danach sehnt, dass seine Bücher ihm sein Leben zurückgeben, ihn an ein Leben nach dem Krieg glauben lassen, macht die Ausweglosigkeit von Pauls Situation so deutlich. Als seine Mutter in der letzten Nacht an seinem Bett sitzt, musste ich das Buch erst einmal zur Seite legen.


    Zurück an der Front muss das Regiment auch noch einen Besuch des Kaisers über sich ergehen lassen. Das anschließende Gespräch der Jungs über die Frage warum es überhaupt Krieg gibt, unterstreicht noch einmal das, was dieses Buch eigentlich ist: eine einzige Anklage, klar formuliert, einfach erzählt und doch so wahr und schwer. Sie wollen nicht da sein, sie müssen, gesteuert von Befehlen, denen sie sich nicht widersetzen können, ziehen sie in den Untergang, werden in einen Krieg geschickt, den sie nicht wollen und nicht verstehen.


    Die Szene im Graben zwischen Paul und dem Franzosen habe ich nur noch als beklemmend empfunden. Es ist nicht leicht, die Bilder, die Remarque erzeugt, wieder abzuschütteln.

  • Zitat

    Original von Saiya
    Es ist ganz seltsam, in diesem Abschnitt passiert so viel Schreckliches, aber nichts hat mich so sehr berührt und deprimiert wie das Kapitel über Pauls Heimaturlaub. Es ist voller Hoffnungslosigkeit.


    Das war der Punkt, wo ich das Buch beim zweiten Mal Lesen abbrechen musste. Der Krieg an der Front ist schlimm genug, aber wenn dann der "Frieden" zu Haus kein bischen besser ist, dann ist das Hoffnungslosigkeit pur. Und genau das muss das Buch ja zeigen, um authentisch zu sein. [mir ging es privat zu dem Zeitpunkt nicht so gut, da konnte ich es nicht ertragen zusaetzlich noch ein extrem deprimierendes Buch zu lesen]

    Gruss aus Calgary, Canada
    Beatrix


    "Well behaved women rarely make history" -- Laura Thatcher Ulrich

  • In diesem Abschnitt fand ich besonders den Heimurlaub so bedrückend. Da wird so extrem deutlich, dass Paul an den Krieg so gewöhnt ist, sich gewöhnen musste, dass er kaum noch mit dem Zivilleben klar kommt. Oder besser gesagt die Daheimgebliebenen können nicht richtig mit ihm umgehen, er der direkt aus dem Krieg kommt und dort jederzeit mit dem Tod rechnen muss.


    Für mich ist das Buch so traurig, da ich weiß, wie es für Paul enden wird. Schon im Film war es schrecklich, aber jetzt zu wissen, was letztlich passiert. Aber das macht die Lektüre für mich auch etwas besonderes.

  • Zitat

    Original von Wiggli
    Für mich ist das Buch so traurig, da ich weiß, wie es für Paul enden wird. Schon im Film war es schrecklich, aber jetzt zu wissen, was letztlich passiert. Aber das macht die Lektüre für mich auch etwas besonderes.


    Das ist ja fast ein Spoiler, muss so etwas sein? :-(


    Als Verschnaufpause habe ich den Heimaturlaub nicht gerade angesehen. Da kommt die eigentliche Dramatik richtig raus, dass er mittlerweile ein Soldat geworden ist und seine eigentliche Heimat die Front ist.


    Interessant fand ich das philosophieren über den Sinn des Krieges (Tjaden: "Dann kann ich ja gehen" :-) ). Dies hätte für mich gerne noch etwas ausführlicher sein können.


    Bei der Szene im Bombentrichter hatte ich zuerst befürchtet, dass Paul einen deutschen Soldaten getötet hat, denn er sah ja gar nicht, wer da auf ihn fiel. Mensch ist zwar Mensch, aber in seiner Situation wäre dies noch bedeutend nachhaltiger gewesen, wenn er bspw. Kat getötet hätte.

  • Zitat

    Original von xexos


    Das ist ja fast ein Spoiler, muss so etwas sein? :-(


    Na ja, ich sehe das nicht als Spoiler, denn das kann ja viel bedeuten. Und das Bedrückende an dem Buch ist doch eh, dass man mehr oder weniger von der ersten Seite an weiß, dass es für die Jungs nicht gut enden kann. Egal, ob sie nun sterben oder schwer verletzt werden oder sogar körperlich gesund heimkehren. Ihr Leben ist so oder so vorbei. Der Satz kann also alles meinen.


    Ich finde auch den Heimaturlaub besonders schrecklich in diesem Abschnitt. Und ich finde, dass es so einen Urlaub überhaupt gibt, pervers. Das ist doch kein "Urlaub", man hat die traumatischen Erinnerungen dabei. Und weiß: bald muss ich da wieder hin. Ein "guter" Soldat hat sich schon so gewöhnt an den Krieg, dass er sich nicht so schnell - vermutlich nie wieder - einfinden kann im normalen Leben.
    Aber mich würde mal interessieren, ob es da Studien zu gibt, wie viele Menschen den Heimaturlaub genutzt haben, um zu desertieren oder sich das Leben zu nehmen oder die heulend gezwungen wurden zur Rückkehr an die Front?
    Ich kann nur mutmaßen, wie ich reagiert hätte. Und ich denke, wär ich der Front erst mal entkommen, ich hätte geheult und gebettelt, nicht wieder dahin zu müssen. Oder tatsächlich ein paar Schlaftabletten genommen, um wenigstens relativ schmerzlos sterben zu können. Aber vermutlich fehlt mir da irgendwas :gruebel Ich fühle mich meinem Land halt nicht so verpflichtet, dass ich mit Waffen für es kämpfen muss - schon gar nicht, nachdem ich gesehen hätte, wie sinnlos dieser Kampf ist.

    Man möchte manchmal Kannibale sein, nicht um den oder jenen aufzufressen, sondern um ihn auszukotzen.


    Johann Nepomuk Nestroy
    (1801 - 1862), österreichischer Dramatiker, Schauspieler und Bühnenautor

  • Nein, der Heimaturlaub war wirklich kein Urlaub.


    Wie Paul von seinen Mitmenschen behandelt wird, nach dem Motto "Du bist ein kleines Licht an der Front, vom Krieg hast DU doch keine Ahnung", uäh, das war so widerlich. Fast schon klischeehaft und doch so wahr.


    Dann noch festzustellen, dass er nicht in sein eigenes, vorheriges Leben zurückkann und sich trotzdem überlegt, wie es nach dem Krieg weitergeht; dieser kleine Hoffnungsschimmer für die Zukunft nimmt ihm ja direkt den Instinkt, den er vorher auf dem Feld immer hatte und so bitter benötigte.

    „An solchen Tagen legt man natürlich das Stück Torte auf die Sahneseite — neben den Teller.“

  • Vieles hat mich in diesem Abschnitt bewegt und durchgerüttelt.


    Der Abschnitt beginnt scheinbar leicht mit dem Besuch bei den Französinnen. Die Vorstellung der Kameraden, die tropfnass nur mit Stiefeln bekleidet ins Haus einfallen, ist fast schon lustig.


    Dann der Heimaturlaub- für Paul und den Leser fast unerträglich.
    Er findet eine todkranke Mutter vor, der Abschied von ihr ist eine zusätzliche Last, die mit an die Front schleppen wird. Es ist spürbar, dass sie sich nicht wiedersehen werden. Beide sind Todgeweihte.
    Paul ist es nicht möglich, in seinem Zuhause wieder eine Heimat zu finden. Die tiefe Lieber zu seiner Mutter und seiner Mutter zu ihm, ist fast unerträglich.

    Zitat

    " Ach, Mutter, Mutter! Warum nehme ich dich nicht in meine Arme, und wir sterben!". S. 130


    Ihm wird deutlich, dass eine Rückkehr in sein vorheriges Leben unmöglich ist. Der Krieg hat seiner Seele gebrandmarkt.

    Zitat

    "Ach Mutter, Mutter! Lass uns aufstehen und fortgehen , zurück durch die Jahre, bis all dies Elend nicht mehr auf uns liegt (...)"

    S. 130
    Das Rad der Zeit lässt sich nicht zurückdrehen, die Jahre und die Zeit kann ihnen keiner wiedergeben. Und auch die jugendliche Unschuld ist verloren.


    Kemmerichs Mutter muss er die Todesnachricht überbringen. Der viel jüngere Paul entscheidet, zu verschweigen, wie qualvoll dessen Tod war. Das schafft er erstaunlich überzeugend, bis sie ihm glaubt. Auch hier übernimmt er die Verantwortung.



    Die Begegnung in dem Trichter wirkt wie ein Konzentrat des Kriegsgeschehens. In einer Siutuation, die fast unüberlebbar scheint, fällt er in einen Trichter, der ihm Schutz gewährt. Als ein zweiter Soldat einfällt, tötet er ihn aus Angst. Als er zu sich kommt, realisiert er seine Tat und versucht, sich vor der Begegnung zu verdrücken, in die hinterste Ecke. Da eine Flucht unmöglich ist, muss er sich selbst mit der Tat konfrontieren und die Verantwortung übernehmen.

    Zitat

    "Es ist der erste Mensch, den ich mit meinen Händen getötet habe, den ich genau sehen kann, dessen Sterben mein Werk ist."

    S.153
    Für Paul wird der Feind, die lebensbedrohliche Gefahr, in der Nahsicht zum Kameraden, ja, zum Menschen. Der Tote hat einen Namen, der sich in Pauls Gehirn einbrennt, er ist Vater, Ehemann.
    Diese Wandlung Pauls innerhalb des Trichters hat mich erschüttert. Jetzt kann ich mir überhaupt nicht mehr vorstellen, wie Paul überhaupt weiterleben kann, ob er das noch will. Er sucht Vergebung:

    Zitat

    "Aber du warst mir vorher nur ein Gedanke, eine Kombination, die in meinem Gehirn lebte und einen Entschluss hervorrief - diese Kombination habe ich erstochen. (...) Vergib mir, Kamerad, wie konntest du mein Feind sein?" S.154


    Ein Dilemma, in dem wohl jeder Soldat steckt, eingezwängt zwischen Befehl und Schuld. Unauflösbar.

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

  • Zitat

    Original von Macska


    Auf der anderen Seite erwartet der Vater bzw. die Leute in der Kneipe Erfolgsmeldungen, mit denen er auch nicht dienen kann, weil er halt die Schrecken des Krieges kennt.


    An dieser Stelle kam mir immer der "Grischa"-Zyklus von Arnold Zweig in den Sinn, besonders "Junge Frau von 1914". Die Begeisterung "in der Heimat", die Erwartungshaltung, das Nichtwahrhabenwollen dessen, was Krieg bedeutet, die reine Geschäftemacherei, das findet sich dort auch alles.


    Es bleibt bei mir im Grunde die Sprachlosigkeit angesichts der fast absoluten Hoffnungslosigkeit und Verlorenheit der "kleinen" Soldaten. Im Grunde auch egal, wo sie sich gerade befinden, ob an der Front und daheim.