Geheimnisvolles Gift - Dorothy L. Sayers

  • OT: Strong Poison 1930


    Wann immer mich jemand nach einem Krimi von Dorothy Sayers fragt, fällt mir als erster ‚Geheimnisvolles Gift’ ein. Dabei ist es weder ihre erster Krimi noch unbedingt ihr bester. Es ist auch nicht mein Lieblingskrimi. Allerdings ist es der Roman, in dem die Geschichte von Lord Peter Wimsey, Sayers’ Serienhelden, und Harriet Vane, seiner zukünftigen Frau, ihren Anfang nimmt. Die Geschichte des Paars wird im Lauf der Zeit ganz auf ihre Weise charakteristisch für die Serie.


    Die Handlung setzt gleich im Gerichtssaal ein. Die Angeklagte ist eine junge Frau, Harriet Vane, die Anklage lautet auf Mord. Giftmord noch dazu, ganz gruselig. Das Opfer ist Philipp Boyes, mit dem die Angeklagte unverheiratet zusammenlebte. Das Ganze spielt sich Ende der 1920er ab und eine Ehe ohne Trauschein war damals skandalös. Kein Wunder, wenn ein solcher Sittenverstoß mit Mord endet, um so weniger, als bekannt ist, daß das Paar sich kurz vor dem Tod des Opfers heftig gestritten hat.
    Die Angeklagte ist noch dazu Autorin von Kriminalromanen. Ihr jüngstes Manuskript hat einen Giftmord zum Gegenstand. Noch Fragen?


    Einer hat sie und das ist der Amateurdetektiv Lord Peter Wimsey. Das liegt nicht nur daran, daß er sich in Miss Vane verliebt hat, nein, er scheint als einziger auch zu verstehen, warum sie sich von ihrem Lebensgefährten getrennt hat.
    Hier treffen sich zwei sehr moderne und unabhängige Geister in einer recht konservativen Umwelt. Wimsey gelingt es, dem Rad der Gerechtigkeit einen Sparren in die Speichen zu schieben. Die Verhandlungen werden vertagt, um vier Wochen. Wenn man nun noch bedenkt, daß es um Harriets Leben geht denn damals stand in England auf Mord noch die Todesstrafe, ist die Spannung schon garantiert.
    Nicht weniger spannend aber ist die Suche nach dem wirklichen Mörder. Wer könnte ein Interesse daran haben, Philipp Boyes aus dem Leben zu befördern und warum? Und vor allem, wie kann man das beweisen?


    Sehr lebendig beschrieben werden dabei nicht nur die beiden Hauptfiguren, sondern auch die übrigen Personen. Ob es um den treuen Bunter geht, Lord Peters Butler, die energische Herzoginwitwe von Denver, Lord Peters Mutter, oder seinen Freund, Kriminalinspektor Parker von Scotland Yard und Wimseys Schwester Mary, Sayers vernachlässigt keinen. Wenige Sätze genügen, die Personen wechseln ein paar Worte nur und schon weiß man als Leserin, wer wen unterstützt, wer wen liebt oder auch haßt. Ganz besonders ans Herz wächst einem Miss Climpson, Lord Peters ‚Geheimwaffe’.
    Es geht um Standesdünkel und die Probleme der englischen Klassengesellschaft, die zutage treten, wenn man sich außerhalb seines Standes bewegen möchte. Die Liebe ist ein großes Thema in diesem Roman, echte und falsche, die Liebe zu anderen und die Selbstliebe. Und die Liebe zum Geld. Es ist, unaufdringlich und höchst erstaunlich, ein zutiefst moralisches Buch.


    Sayers beschreibt das alles in einer sehr klaren Sprache, ausgezeichnet formuliert, pointiert, oft ganz rasch vom warmen Mitfühlen ins Kritische bis Boshafte wechselnd. Es ist einfallsreich, witzig, voller Überraschungen und skurriler Gestalten. Sogar ein Geist wird bemüht, in einer tragisch-komischen Séance, deren Schilderung sicher ihresgleichen sucht.


    Trotz seiner inzwischen 77 Jahre, die dieser Krimi alt ist, bietet er auf hohem sprachlichem Niveau bis heute ein überzeugendes Rätsel, eine spannende Auflösung und eines der fortschrittlichsten Liebespaare, die nicht nur dieses Genre aufzuweisen hat.



    Unverändert empfehlenswert also.

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Wer immer es sich zutraut, sollte Sayers im Original genießen.
    Nicht ganz einfach, sie schreibt einen sehr gehobenen Stil und sie versteht etwas von Sprache, aber tatsächlich erschließt sich manches erst im Original.


    Übrigens Vorsicht vor den alteren deutschen Ausgaben, sie sind zum Teil gekürzt.

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Zitat

    Original von magali


    Übrigens Vorsicht vor den alteren deutschen Ausgaben, sie sind zum Teil gekürzt.


    Könntest du das bitte etwas ausführen? Ich habe da Buch vor Äonen gelesen...

  • @beo


    bei den älteren englischen Krimis, also den sog. Klassikern wie Christie, Allingham, Sayers, Wallace, aber auch US-amerikanischen wie gardener oder Stout etc. pp. ist es vorgekommen, daß gerade die Ausgaben, die in Deutschland in den 1970ern erschienen, gekürzt wurden.
    ich habe das erst festgestellt, nachdem ich angefangen hatte, die englischen Originale zu lesen.


    Die Kürzungen unterliegen keiner bestimmten Logik, es wurde einfach herausgestrichen. Manchmal fehlen nur Sätze (in einem Christie z.B. der entscheidende Hinweis auf den Mörder :grin), manchmal lange Abschnitte, zuweilen ein ganzes Kapitel.
    Deswegen warne ich in der Regel vor den Krimis, die gerade in den 1970ern auf den Markt geworfen wurden. Ganz übel hat es z.B. die Romane von Wallace bei Goldmann erwischt. Einer der bekannntesten, Der Hexer, ist im Original ca. anderthalb mal so lang. Die Handlung ist übrigens entsprechend kohärenter.


    Übersetzungen aus den Fünzigern und Sechzigern dagegen sind eher vollständig und noch dazu gut gearbeitet.


    Bei Sayers empfiehlt es sich, die Neuübersetzung der Romane von Mitte/Ende Neunziger zu kaufen.


    :wave


    magali

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Hallo Magali,


    Dorothy L. Sayers gehört zu meinen Nostalgieautoren. Die Bücher habe ich als Teenager alle gelesen, damals aus der Bibliothek. Vor einigen Jahren habe ich mir alle (?) auf Englisch gekauft, da ich sie gerne noch mal lesen würde.


    Was mich bisher gehindert hat? Die fehlende Zeit, und die Tatsache, dass ich hunderte von Bücher im SUB habe, die ich noch gar nicht :lesend habe.


    Zu meinen Nostalgiebüchern gehören auch die Geschichten mit Arsène Lupin von Maurice Leblanc, die gab es damals von Diogenes. Davon hatte ich mir bei der Gelegenheit auch einige gekauft (allerdings auf Englisch, Deutsch war oop und OV Französisch ist mir zu anstrengend).

  • Klio


    genau! Warum ist mir das nicht eingefallen?
    :lache


    Danke.


    Uta


    für Sayers kann man so manches auf dem SUB liegen lassen. :grin


    Arsène Lupin? Ich erinneere mich an einen, ist aber ewig her. Gebelieben ist mir nichts davon. Ich müßte mal wieder im Regal stöbern.


    :wave


    magali

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Ich habe kürzlich das Hörbuch, allerdings unter einem etwas anderem Titel gehört. Einfach klasse. Obwohl ich das Buch schon kannte und daher wusste, wer der Mörder ist, habe ich die Sprache und den Stil sehr genossen und mich über kleine Details und Hinweise gefreut.


    grüße von missmarple

    "Ein Archäologe ist der beste Ehemann, je älter eine Frau wird, um so mehr interessiert er sich für sie."
    Agatha Christie

  • Super, ich liebe die Wimsey-Krimis, seit ich sie in grauer Vorzeit als BBC-Serie gesehen habe. Immer wieder klasse. Mein absoluter Favorit ist "Gaudy Night" (hieß früher "Aufruhr in Oxford", obwohl ich den früher gar nicht mochte. Heute mag ich das Buch am liebsten.


    Liebe Grüße,
    Susanne :-)

  • Zitat

    Original von magali
    OT: Strong Poison 1930


    Sehr lebendig beschrieben werden dabei nicht nur die beiden Hauptfiguren, sondern auch die übrigen Personen. Ob es um den treuen Bunter geht, Lord Peters Butler, die energische Herzoginwitwe von Denver, Lord Peters Mutter, oder seinen Freund, Kriminalinspektor Parker von Scotland Yard und Wimseys Schwester Mary, Sayers vernachlässigt keinen. Wenige Sätze genügen, die Personen wechseln ein paar Worte nur und schon weiß man als Leserin, wer wen unterstützt, wer wen liebt oder auch haßt. Ganz besonders ans Herz wächst einem Miss Climpson, Lord Peters ‚Geheimwaffe’.


    Auch ich liebe Lord Peter Wimsey vom ersten bis zum letzten Roman, von der ersten bis zur letzten Kurzgeschichte (zwei davon wurden übrigens nie übersetzt).


    Wie auch bei anderen "alten" Krimiautoren (Phoebe Atwodd Taylor, etc.) verfügen die Dorothy Sayers-Romane über den zusätzlichen Charme der "guten alten Zeit", sind damit jedoch auch Zeugen jener Zeit, beschreiben die damals aktuellen Zustände. Nach dem 1. Weltkrieg, vor dem 2. Weltkrieg, die sorglosere Zeit dazwischen, die Krisen die in die Katastrophe führen etc. Hinzu kommt der Einblick in das Leben eines Aristokraten ebenso wie in das Leben von Pfarrern, Ärzten, alten Jungfern etc.


    Ich habe übrigens meine gekürzten Fassungen mittlerweile gegen die Ungekürzten ausgetauscht. Habe auch welche im Original gelesen. Vor einem hätte ich jedoch dicke Manschetten. Und das sind die "Nine Taylors". Wenn ich mir das im Original vorstelle ... würde ich wahrscheinlich lieber :buegeln.


    bea

    Die Dichter
    Es soll manchen Dichter geben,
    der muß dichten um zu leben.
    Ist das immer so? Mitnichten,
    manche leben um zu dichten.
    Heinz Erhardt

  • Zitat

    Original von Deutschebea
    Vor einem hätte ich jedoch dicke Manschetten. Und das sind die "Nine Taylors". Wenn ich mir das im Original vorstelle ... würde ich wahrscheinlich lieber :buegeln.


    Das kann ich nur :write - allein die Vorstellung der ganzen Glockenabläufe auf englisch, nein danke.
    Aber auf deutsch hat mir der Glockenschlag" gefallen.


    grüße von missmarple

    "Ein Archäologe ist der beste Ehemann, je älter eine Frau wird, um so mehr interessiert er sich für sie."
    Agatha Christie

  • Ich liebe Lord Peter und würde ihn umgehend heiraten, wenn das möglich wäre. Nachdem ich die Bücher alle vor Jahren gelesen habe, gelüstete es mich jetzt wieder danach und ich habe 'Starkes Gift' gewählt, weil ich es einfach zu putzig finde, wie er sich Harriet nähert und sie ihn abweist...


    Ich kann gar nicht sagen, welcher mein liebster Teil ist, aber ich finde diesen hier schon schön kniffelig. Und ich liebe die Sprache...einfach herrlich. Wer schreibt heute noch so?


    Für mich ist Poirot klasse, Dalglish ein Genie und Lord Peter ist göttlich. In diesem Sinne, werde ich mich jetzt mit noch einem Wimseyroman beschäftigen.


    Vielleicht sollte ich mir die doch noch in englisch zulegen?! Mal sehen.