Mama. Wo war Mama?
Sie hatte doch nur einmal kurz die leuchtend rote Handtasche eine Frau betrachtet und jetzt war Mama weg. Nur noch der riesige Einkaufswagen stand neben ihr.
„Mama.“
Ein Gewühl aus fremden Beinen um sie herum. Männerbeine. Frauenbeine. Die Gesichter alle hoch oben. Ganz weit weg. Keine Spur von Mamas braunen Schuhen und dem blauen Rock. Sie fing an zu weinen.
„Mama.“
Ihre dünnes Stimmchen ging in der Masse unter. Sie wurde angerempelt, fiel hin. Noch mehr Beine huschten vorbei. Beachteten das kleine Mädchen nicht das am Rand saß und verzweifelt seine Mama rief und leise vor sich hin schluchtzte.
„Mama.“
Eines der vielen langen Beinpaare beugte sich plötzlich nach unten. Aber das war nicht Mama. Das erkannte sie sogar durch den Schleier ihrer Tränen. Die Stimme, die sie etwas fragte , war auch viel höher und schriller als die ihrer Mama. Sie verstand sie nicht. Ängstlich drückte sie sich noch enger an das Regal hinter ihr.
Mama.
Sie wurde hochgehoben, strampelte. Vorsichtig durch das Meer von Menschen getragen. In eine Decke gehüllt. Etwas wurde ausgerufen. Doch auch dann kam Mama nicht. Überall fremde Menschen, die auf unverständliche Weise miteinander redeten. Nach einer Weile versiegten die Tränen und sie schlief vor Erschöpfung ein.
Verärgert schüttelte sie ihren Kopf, als könnte sie dadurch die lästigen Erinnerungen verdrängen. Die Frau, die ihr gegenübersaß, schaute sie mit diesem unbestimmten, fordernden Lächeln an – wie jeden Dienstag. Die Therapie sollte ihr helfen mit ihrer Vergangenheit umzugehen. Ihre sorgfältig in sich vergrabenen Erinnerungen hervorzuzerren und auseinanderzunehmen. Sie hasste das. Genauso wie diese Sprache, die nicht die ihrer Mutter war. Und ihre Mutter, die sie alleingelassen hatte.