Verlag Rowohlt Berlin, Gebundene Ausgabe, 256 Seiten , September 2007
Himmelstraße wird auch als Hörbuch bei Argon erscheinen (ISBN:3866104286)
Handlung:
Klappentext:
Ein nasskalter Januartag, die Mutter ist gerade drei Wochen tot, da verschwindet der Bruder Paul aus der Wiener Wohnung. Brieflich teilt er mit, dass er beschlossen habe, nach Übersee auszuwandern. Die Schwester kann nicht glauben, was sie da liest. Nun ganz alleine übrig, taucht sie ein in die Erinnerungen ihrer Familie. Und erzählt die Geschichte zweier ungleicher Geschwister, deren Mutter als Jüdin von den Nazis aus Wien vertrieben wurde, sich in England ein neues Leben aufbaute und von einer Auswanderung nach Australien träumte. 1948 aber kehrte sie mit den Kindern nach Wien zurück aus Liebe zu ihrem Ehemann. Eine unglückliche Entscheidung. Die jüdischen Großeltern sind in Treblinka ermordet worden, zeitlebens fühlt die Mutter sich entwurzelt, ihr Sohn Paul bleibt in ihrer Nähe gefangen, nur die Tochter baut sich fernab ein eigenes Leben auf. Doch ist auch sie rastlos, auf der Suche nach Geborgenheit. Nun sitzt sie über Pauls Notizen und liest immer deutlicher die Ankündigung eines Selbstmords heraus. Erica Fischer hat ein außergewöhnliches Stück Erinnerungsliteratur geschrieben, den verstörend offenen Bericht einer «Davongekommenen, die drei Generationen umfassende Geschichte ihrer Familie: eindringlich, unsentimental und mit ungeheurer Spannung erzählt.
Zur Autorin:
Erica Fischer ist eine österreichische Schriftstellerin, Journalistin und Übersetzerin
Autorin-Homepage: www.erica-fischer.de
Meine Meinung:
Erica Fischer ist bekannt durch ihren verfilmten Roman Aimee und Jaguar.
In Himmelstraße erzählt sie die Geschichte ihrer Eltern und von sich selbst.
Ihre Mutter war Jüdin, ihr Vater Kommunist. Eine schwierige Situation im Österreich dieser Zeit.
Die Geschichte der Familie ist dramatisch und spannend, der eigene Zustand wird genau beobachtet.
Das Bemerkenswerte an dem Roman ist, das er ein biographisches Stück Literatur ist, das zwischen den Zeitebenen wechselt und somit auch zwischen Biographie und fiktionaler Selbsterkundung mit einem lyrischen ich als Erzählstimme. Die Autorin scheut nicht die schonungslose Selbstentblösung. Radikal und intensiv schildert sie ihre Empfindungen in bezug auf ihre Familie.
Auf der einen Ebene schildert die Erzählerin die Geschichte ihrer Eltern in den 30ziger Jahren bis zur Ausreise nach England, der Geburt von Erica und ihres Bruders und die Rückkehr in das Land der Täter. In Österreich hat sich die Autorin nie heimisch gefühlt. In der heutigen Zeit spricht sie von sich selbst und ihr schwieriges Verhältnis zum Bruder in der Zeit nach dem Tod ihrer Mutter sowie von ihrer Sexualität und vom Älterwerden. Auch das Verhalten der Eltern wird von der Erzählerin durchaus subjektiv kritisch beurteilt.
Dabei verwendet sie einen ungewöhnlichen, leicht melancholischen, aber nicht sentimentalen Ton, der das Buch zu mehr als einer Biographie werden lässt. Dieser Erzählton macht Literatur daraus.
Dadurch ist ein Annähern des Lesers an die Autorin möglich.
Das Lesegefühl ähnelt dem von ihrem erfolgreichen Buch Aimee und Jaguar.
Das Gefühl der Autorin für Sprache und besondere Sätze zeigt sich in vielen Szenen, z.B. als sie die Bücher ihres Bruders nach dessen Verschwinden durchsieht, stößt sie auf einen bemerkenswerten Satz von Yoko Tawada:
"Lass den Blumenstrauß im Ohrloch überfließen und singe in Richtung des Leuchtturms". Einen Satz, den die Autorin, und mit ihr der Leser, weiterträumt. Erica Fischers eigene Sprache ist eher prosaisch, trotzdem gelingt es ihr entsprechend suggestive Bilder zu erzeugen.
Ein zentraler Moment des Buches zeigt die Reise der Autorin nach Treblinka, um das Vernichtungslager zu besichtigen und dort den Weg der damaligen Deportierten bis unter die Gaskammern gedanklich zu verfolgen. Unter den Opfern waren auch ihre Großeltern, die sie nie kennen gelernt hat. Wahrlich beklemmende Abschnitte.
Das die Autorin nicht immer ein Vertrauen in Wörter hat, sagt sie, wenn sie den leeren Appell "Nie wieder" kritisiert, da sich die Menschheit seitdem schon eine Menge anderer Todesarten ausgedacht hat.
Später ist Erica Fischer wieder in Österreich, dann reist sie nach Los Angeles. Die vielen besuchten Orte zeugen von einer Heimatlosigkeit.
Ganz zentral ist, wie oben schon erwähnt, das beeindruckende Portrait des Bruders, der aufgrund der Vergangenheit nie richtig lebensfähig geworden ist. Er ist ein Opfer des Holocaust in zweiter Generation.
Die vielen wichtigen Themen entfalten in ihrer Gesamtheit eine große Wirkung.
Noch ein paar Worte zum äußeren Erscheinungsbild des Buches:
Die schöne Ausgabe des Rowohlt-Verlages zeigt auf dem Umschlag Fotos, offensichtlich aus dem Privatbesitz der Autorin, die in verschiedenen Zeiten vermutlich sie, ihre Eltern und ihren Bruder zeigen.
Während man das Buch liest, unterstützen diese Fotos den Text auf gelungene Art und Weise.