Marion Gräfin Dönhoff - Namen die keiner mehr nennt
Eine Biographie der Autorin findet sich hier
Die Eulen haben eine Leserunde dazu veranstaltet, dahin gelangt man hier
In diesem Buch beschäftigt sich Gräfin Dönhoff eingehender mit einigen Themen, die sie in „Kindheit in Ostpreußen“ bereits angeschnitten hatte.
Sehr gefreut hat es mich, im inneren Umschlag eine Karte von Ostpreußen mit den deutschen und polnischen Namen zu finden, so war jede Ortschaft schnell zu lokalisieren.
Das Buch an sich ist thematisch zweigeteilt, der erste Teil beschäftigt sich ausführlicher mit dem zweiten Weltkrieg und den Folgen desselben, während im zweiten Teil mehr auf die geschichtlichen Hintergründe der Güter der Familie Dönhoff eingegangen wird.
Im ersten Teil werden wir Zeuge der Flucht zu Pferde von Quittainen (Kreis Preuß. Holland) nach Westen im Januar 1945. Gräfin Dönhoff zeichnet beängstigende Bilder, die vor dem inneren Auge des Lesers erscheinen und wie real wirken. Dass die Gräfin alleine geflüchtet ist und die gesamte Dienerschaft nach kurzer Zeit auf dem Treck die Rückkehr nach Quittainen beschloß, war mir neu, in einem weiteren Kapitel wird dann berichtet, was aus der Belegschaft geworden ist – größtenteils wurde sie von den Russen verschleppt oder umgesiedelt, was zum Zeitpunkt der Entscheidung niemand für möglich gehalten hätte.
Ein Kapitel widmet sich ausführlich dem Cousin der Gräfin, Heini Lehndorff, der im Widerstand mit anderen das Attentat vom 20. Juli 1944 vorbereitet hatte. Lehndorff, der mit dem eigentlichen Attentat nichts zu tun hatte sondern dafür sorgen sollte, dass die vakante Macht an geeignetere Hände übergeben werden sollte, wurde schon am nächsten Tag von der Gestapo verhaftet, konnte noch zweimal fliehen, war sich aber dann seiner Verantwortung gegenüber seiner Familie voll bewusst und stand für die (nicht begangenen) Taten ein. Heini Lehndorff wurde am 4. September 1944 in Plötzensee gehängt.
Äußerst interessant fand ich die Ausführungen im zweiten Teil des Buches, die sich mit der Promotion von Gräfin Dönhoff und den dabei zu Tage getretenen geschichtlichen Fakten auseinandersetzt. Zur Zeit des Krieges studierte die Gräfin in Basel und wollte eigentlich über Marx promovieren, jedoch ihr Professor der Volkswirtschaft dachte ihr ein anderes Thema zu: Er wollte eine Untersuchung über das Gut der Familie, deren Zustandekommen sowie die verschiedenen Bewirtschaftungen in den verschiedenen Jahrhunderten.
Nicht ahnend, was der Professor damit losgetreten hatte, begab sich die Gräfin heim nach Friedrichstein und begann zuerst, das umfangreiche Archiv der Familie zu sichten und zu sortieren – ein Vorgang, der ein Jahr in Anspruch nahm, so viel Papier hatte sich in Friedrichstein gesammelt! Es folgen ausführliche Berichte über die verschiedenen Gutsformen, auch der Unterschied zwischen Ost und West wird dargelegt, und im letzten Kapitel folgt ein geschichtlicher Abriss Ostpreußens aus der Sicht der Familie Dönhoff, die schon im 14. Jahrhundert von der Ruhr zuerst nach Livland südlich Riga, dann nach Ostpreußen kamen.
Dieses Buch, das einen Bezug zu einer längst vergangenen Zeit herstellt, die Geschichte aber mit Leben füllt, hat mir viel Spaß und Lust auf mehr gemacht! Die Biographie der Gräfin sowie ihre Erinnerungen an die Freunde vom 20. Juli („Um der Ehre willen“) werden sicherlich bald auf meinem SuB landen.
Edit: Jahreszahl korrigiert