Klappentext:
Am Anfang steht der ehrgeizige Plan von der erstmaligen Durchquerung des weißen Kontinents. Doch das gewaltige Naturwunder Antarktis wird im Jahr 1915 für die Besatzung der "Endurance" zur Hölle aus Eis. Beharrlich verfolgt Expeditionsleiter Sir Ernest Shackleton nur noch ein Ziel: 28 Männer lebend wieder in die Zivilisation zurückzubringen.
Rezension:
Dies ist seit langem das erste Buch, dass mich dazu animiert hat, stundenlang ununterbrochen zu lesen. Ja, es fiel mir tatsächlich schwer, es aus der Hand zu legen, und das will was heißen. Denn seit meiner eigenen Autorentätigkeit bin ich ein echter Krümelkacker geworden, der buchmäßig nur schwer zu begeistern ist.
Wir erfahren im vorliegenden Werk, auf welche Weise Shackletons Schiff in seine berühmte prekäre Lage gerät - nämlich im Eis der Antarktis steckenzubleiben und einzufrieren. Shit happens. Das Leben der zunächst paralysierten, ratlos aus dem Eis guckenden Mannschaft wird detailverliebt beschrieben, und zwar auf eine lebendige, bissig-humorvolle Art. Da gibt es nie zufriedene Dauernörgler, arrogante männliche Zicken, dümmliche Seebären oder vulgär respektlose Ecken, die auf ihrem Hundeschlitten schonmal so laut und plötzlich ihr Männlichkeitsgebrüll ausstoßen, dass die Hunde des Nachbargespanns ohnmächtig umfallen.
Shackleton, so sagt ein Augenzeuge, sei die wohl größte Führerperson auf dieser Erde. Allein in seiner Nähe zu sein, sei ein Erlebnis. Ein weiterer Augenzeuge weiß zu sagen: "Gebt mir Scott als wissenschaftlichen Expeditionsleiter, gebt mir Amundsen für eine störungsfreie Polarexpedition, aber wenn das Schicksal sich gegen euch verschworen hat, dann fallt auf die Knie und betet um Shackleton." Nunja, jedenfalls muss der Herr wohl derart beeindruckend gewesen sein, dass selbst der aggressivste Stressbolzen sich hinter dem nächsten Eisberg zum Heulen verkroch, nachdem Shackleton seine Strafpredigt beendet hatte. Aber das war wohl auch gut so. Ohne seine strenge Art wären die Männer irgendwann nichts weiter gewesen als kopflos gackernde Hühner, die am Ende alle
1. ersoffen
2. erfroren
3. von Eisschollen zerditscht
4. von Seeleoparden gefressen oder
5. von ihrem Schiffsbarden zu Tode geplärrt worden wären.
Dass hinter den oben erwähnten Aussagen Wahrheit liegt, zeigt das Buch alsbald. Um seine Mannschaft vor Angst und Depression zu schützen, lässt Shackleton sich einiges einfallen. Lustige Spielchen, gar fiese Streiche, hartes Training, schräge Theatereinlagen oder schlicht und einfach seine unerschütterlich selbstsichere und stolze Person halten die Männer selbst in den ausweglosesten Situationen bei Laune. Nach dem Motto: Was brauchst du, um selbst in der Hölle zu überleben? Nichts, außer Shackleton.
Und so fallen die Jungs selbst dann nicht in ein Loch, als das Schiff von den Eismassen zerquetscht wird. Nein, sie beladen die Schlitten und quartieren sich auf einer gigantischen Eisscholle ein, die langsam gen Norden treibt. Nebenbei erwähnt: In den benannten 635 Tagen hat keiner der Männer auch nur einmal seine Unterwäsche gewechselt! Bei Hundedörrfleischkeksen, Trockenmilchwasser und Robbenspeck keimt bald ein merkwürdiger Genuss an ihrer Situation auf. Beim Gedanken an die Zivilisation, an Kuchen, Schlipse und Bettwärmern, zuckt so mancher die Schulter und wendet sich wieder seinem Robbenspeck zu. Die Männer genießen ihre Freiheit und vermissen höchstens mal die Frauen. Aber so unter Jungs lässt sich ja auch was anstellen...nunja.
"So wunderbar ist das Leben, dass man fast vergessen könnte, in einer ausweglosen Lage festzusitzen" So spricht an einem schönen Morgen einer der Männer. Die Laune ist also geprägt von ursprünglicher Zufriedenheit, jedenfalls solange, bis die Eisscholle zu schmelzen beginnt und ein Seeleopard Hunger auf Mensch bekommt. Letztenendes gibt es aber doch noch ein Happy End - außer für die Schlittenhunde. Shackleton hält, was er verspricht, und bringt seine Männer wohlbehalten zurück in die Zivilisation. Endlich können die Männer ihre Unterwäsche zum Waschen in die Ecke stellen. Doch der Weg bis zur Rettung hat es in sich. Wochenlang durchnässt von eisigem Wasser, Frostbeulen, verfaulende Rentierfell-Schlafsäcke und fussballgroße Eiterabzesse am Hintern sind nur einige der Dinge, die die Männer quälen. Man gerät in grausiges Staunen, was der menschliche Körper auszuhalten vermag, und geniesst nach dem Lesen sein warmes Bett wie niemals zuvor.
Alles in allem kann ich dieses Buch nur empfehlen. Es besticht nicht nur durch seine humorvolle Art, sondern weiß auch durch wundervolle Beschreibungen der eisigen Weiten zu fesseln. Die arktische Nacht wird lebendig, wenn der Autor von glitzerndem Eisregen, gespenstischen Nordlichtern und endlosen, im Mondlicht schimmernden Eisbergen erzählt. Verzweiflung, Grauen und unfassbare Schönheit gehen Hand in Hand. Man fiebert mit, wenn er uns vor Augen führt, wie die Männer ängstlich im dunklen Bauch des Schiffes liegen, während draußen stöhnend, kreischend und wimmernd gigantische Eismassen gegen die Planken drücken. Selbst unter der Decke auf dem Sofa wird einem dann kalt. Und nicht zuletzt erfährt man, wozu der menschliche Körper in der Lage ist - und welche Sorgen/Gedanken/Sehnsüchte den Menschen in schlimmen Notzeiten plagen. Nach wochenlangen Temperaturen von -36 Grad erscheinen den Männern -10 Grad wie eine Hitzewelle. Als auch noch schweißtreibende -2 Grad erreicht werden, entblößen sie sich und rollen sich nach Abkühlung suchend im Schnee. Anrührend sind die nächtlichen Gespräche in den Zelten, die irgendwann nur noch von Apfelpudding, Sahne und sonstigen Süßspeisen handeln. Die Männer schwören, jeden zu erschießen, der ihnen nach ihrer Rückkehr in die Zivilisation noch Fleisch anzubieten wagt.
Fazit: Spannend! Ausnahmsweise behält die Werbung auf dem Titelblatt Recht: "Unglaublich spannend. Eine der größten Abenteuergeschichten unserer Zeit." Dennoch bleibt ein merkwürdiger Nachgeschmack: Was tun Menschen nur alles, um Ruhm zu erreichen? Die Schlittenhunde hat vermutlich niemand gefragt.