Venezianische Geschichten
Claassen Verlag, September 2007, 216 Seiten
Auch als Hör-CD (4 CDs) gelesen von Ulrich Tukur bei Hörbuch Hamburg, ISBN 389903449X erschienen.
Der Verlag sagt:
Ulrich Tukurs Debüt als Erzähler ist eine bezaubernde Hommage an die Lagunenstadt, in der er seit vielen Jahren lebt. Seine fantasievollen Geschichten sind romantisch, komisch, absurd und voller liebenswerter Figuren.
Es gibt keine zweite, die so ist wie sie. Schöner als alle anderen, geheimnisvoller, leuchtender, melancholischer. Voll von Geschichte und Geschichten. Mit der Neugier des Fremden, der dennoch längst zu ihr gehört, entdeckt Ulrich Tukur in Venedig das Außerordentliche im Alltäglichen. Plötzlich offenbaren sich in der historischen Kulisse wie selbstverständlich die absonderlichsten Dinge. Da befindet sich am deutschen Konsulat ein Klingelschild, das an ein berühmtes Gesicht mit Schnauzbart erinnert – und damit zugleich an die faschistische Vergangenheit Italiens und einen anderen deutsch-italienischen Flirt, der sich zu jener Zeit in Venedig zugetragen haben soll. Oder es herrscht wieder mal Hochwasser in der Lagune, auf dem der Autor sich durch die Jahrhunderte treiben lässt, dabei auf seine eigene Familie stößt und schließlich selbst vor Anker geht. Mit unbändigem Vergnügen und einer tiefen Zuneigung nähert Ulrich Tukur sich den vielen Spuren in dieser Stadt und fügt sie zusammen zu einem poetischen Vexierspiel zwischen Vergangenheit und Gegenwart, Fiktion und Realität.
Über den Autor
Ulrich Tukur, 1957 in Viernheim geboren, studierte Germanistik, Anglistik und Geschichte, bevor er an die Staatliche Schauspielschule Stuttgart ging. Noch zu Studienzeiten spielte er in Michael Verhoevens Film Die weiße Rose, später wurde das Deutsche Schauspielhaus in Hamburg unter der Leitung von Peter Zadek zu seiner künstlerischen Heimat. Tukur bevorzugt die abgründigen, zerrissenen Figuren, er brillierte als Andreas Baader ebenso wie als Hamlet, Jedermann oder Bonhoeffer und zuletzt als Stasioffizier Anton Grubitz in dem mit einem Oscar ausgezeichneten Film Das Leben der Anderen. Der mit zahlreichen Preisen ausgezeichnete Schauspieler lebt mit seiner Frau, der Fotografin Katharina John, in Venedig.
Meine Meinung:
Wenn ein Schauspieler, der auch schon als Musiker aufgetreten ist, jetzt auch noch ein Buch veröffentlicht, ist das Vorurteil des Promi-Bonus groß. Und tatsächlich denke ich, dass die Geschichten unter anderen Namen nicht veröffentlicht worden wären.
Allerdings, um dem Vorurteil entgegen zu wirken, muss man schon erwähnen, dass die Geschichten geschickt konstruiert sind und nicht unliterarisch wirken.
Es sind eigentlich auch keine richtigen, klassischen Short Storys, sondern vielmehr Episoden von Tukur, um die Menschen und Orte, die er kennt, vor allem in Venedig.
Dem Buch sind zahlreiche (23 um genau zu sein) Photographien beigemischt, die von Katharina John, Tukus Ehefrau, die im Buch häufig als K. auftritt, stammen. Sie drücken viel Atmosphäre aus und legen einen Maßstab, an den sich Tukur mit seinen Geschichten messen muss. Das ganze Buch ist übrigens schön gestaltet, mit Lesebändchen und liegt gut in der Hand.
Und doch will es mir nicht bei allen Geschichten gelingen Zugang und Gefallen an ihren zu finden.
Die intellektuelle Ausstrahlung, die man von Tukur als Schauspieler kennt, ist in Form und Inhalt durchaus enthalten, auch wenn manche Sätze etwas prätentiös wirken.
Mir haben die Abschnitte gefallen, die Tukur in seinem Beruf als Schauspieler zeigen, z.B. in "Die Wolke", in der er für eine Rolle in Kontakt mit Regisseur Steven Soderberg steht oder die Beschreibungen des Beginns seiner Karriere mit dem Film Die weiße Rose.
Das Katharina John in den Geschichten oft als K. auftritt, erinnert mich an Thomas Mann Tagebücher, in denen seine Frau Katia auch als K. bezeichnet wird. Aber an Tod in Venedig reichen Tukus Geschichten noch nicht heran.
Manchmal macht Tukur, meiner Meinung nach, auch erzählerische Fehler. Bei ungewöhnlichen Geschichten, halte ich nicht für notwendig, mit Floskeln zu arbeiten wie "Was jetzt passierte, wird mir kein Mensch glauben".
Oft schafft der Autor es nicht, seine überaus interessanten Figuren zum Leben zu erwecken.
ich denke da z.B. an Arturo aus "Venedig liegt am Schulterblatt" oder die 96-jährige Rosa aus "La Bambola".
Tukur beschreibt sie, wie er sie kennt und zeichnet sie dabei genau, aber leider lässt er sie nicht entsprechend in Wort und Tat agieren. Sie bleiben dem Leser letztendlich fremd.
Mimma, Ersilia und Apollonia, die drei Schwestern aus "Das Cafe zur schönen Aussicht", sind auch so vielversprechende Figuren, deren Potenzial nicht voll ausgereizt wird. Trotzdem eine rührende Geschichte.
Das es auch besser geht, zeigt Tukur mit Angelina in der Geschichte "Der Schnauzbart am Konsulat", die durch Tagebuchauszüge aus den 30ziger Jahren besser erfasst wird.
Die Tagebücher, laut denen Angelina sogar Hitler traf und sie kannte auch Sauerbruch, sind höchstwahrscheinlich fiktiv. Ein gelungenes Spiel, dass Tukur da mit dem Leser treibt. Schade, dass nicht mehr Geschichten so sind.
Es gelingt Tukur auch leider nicht immer, den gewissen magischen Moment, den eine ungewöhnliche Geschichte enthält, freizulegen und dem Leser zu vermitteln und das halte ich für den größten Schwachpunkt am Buch.
Da half mir als Leser auch kein zweites Lesen mancher der Geschichten und sie glitten mehr oder weniger an mir ab. Schade, denn ein Potential ist zu erkennen und wer genug Interesse an Tukur und an Venedig mitbringt, dem werden die Geschichten wahrscheinlich sogar gut gefallen.