Atrium-Verlag, 2007, Gebundene Ausgabe: 336 Seiten
Rückseite:
Als Borka ihren Zwillingsbruder Palko verliert, bricht für sie eine Welt zusammen. Verzweifelt versucht sie, die Rolle ihres Bruders einzunehmen, damit die Erinnerung an ihn nicht verblasst. Aber auch die Welt um sie herum steht vor Veränderungen...
Ein außergewöhnlicher Debütroman über das Schicksal einer Familie im großen Gefüge einer dramatischen Zeit vor der malerischen Kulisse Budapests.
Zur Autorin:
Léda Forgó, 1973 in Ungarn geboren, wuchs in Budapest auf. 1994 zog sie nach Stuttgart, studierte dort Geschichte und anschließend Figurentheater. Später studierte sie "Szenisches Schreiben" an der Universität der Künste in Berlin. Ihr Stück Onkel Gol und die Wespen wurde im Jahr 2000 im Rahmen der Göttinger Dramatikerwerkstatt unter der Regie von John von Düffel aufgeführt. Léda Forgó lebt mit ihren drei Kindern in Berlin.
Meine Meinung:
Der Roman wird in einem quasi autobiografisch gehaltenen Stil als Familiengeschichte erzählt.
Dabei ist das ungewöhnliche, dass die Autorin ihre Erinnerungen als Neugeborenes und als junges Mädchen so erzählt, als hätte sie das Bewusst erlebt, z.B. auch die Geburt.
Hinzu kommt, dass die Erzählweise ironisch gebrochen ist, obwohl die Tragik im Vordergrund steht.
Es geht vor allem um Verlust, exemplarisch am Bruder gezeigt, das ganze besonders durch die äußeren Begleitumstände in Ungarn Anfang der 50ziger Jahre beeinflusst wird.
Der Blickwinkel der Erzählerin deutet unerbittlich auf die Schwächen der Mutter und des Vaters. Dadurch erlangen die Figuren, besonders die Mutter Mo, eine realistische Darstellung in großer Intensität und ihre Tragik wird verdeutlicht.
Der Stoff selbst ist nicht immer leicht zu verdauen.
Die ausführlichen Abschnitte aus der unerfreulichen Schulzeit und der zunehmenden Gewalt vermitteln eine düstere Atmosphäre, die den Leser runterziehen kann.
Wie die Autorin selbst schreibt:
Es blieb nur Sodbrennen übrig statt Träume.
So ging es mir teilweise auch ein wenig mit diesem Roman.
Um aber die außergewöhnliche Sprache noch einmal zu erwähnen: es fiel mir folgender Abschnitt, den die Erzählerin über Mais sagt, auf:
Ich stopfte gerne eine Handvoll in den Mund, damit das Salz sich auf der ganzen Zunge und in der Mundhöhe verteilt. In meinem Mundwinkel wurde die Haut aufgerissen.Als das Salz dahin kam, tat es weh. Ich versuchte es abzulecken, aber die Zunge war auch voller Salz.
Das könnte auch für die Sätze der Autorin gelten. Das Salz sind die Worte, die Zunge der Stil und mir ging es beim Lesen ganz ähnlich.
Immer wieder versucht die Autorin ungewöhnliche Satzschöpfungen zu bilden, die mal mehr und mal weniger gefallen, aber immer verblüffen.
Beispiel:
Der Kaffee schmeckte wie in schmutzigem Wasser schwimmende Blumenerde.
Für mich hat sich das Leseinteresse aus diesem riskanten, besonderen Stil gezogen, aus dem eine neue, eigenständige Sprache entstehen kann.
Ansonsten kann ich inhaltlich dem leicht plakativen Klappentext zustimmen, der von der außergewöhnlichen Intensität und der pittoresken Kulisse Budapest schwärmt und erwähnt, dass die politischen Ereignisse zur Folie für Mikrokosmos einzelner Menschen im großen Gefüge einer dramatischen Zeit werden.