Was haltet ihr von Hermann Hesses Kritik an die Vielleser?

  • huch! geht ja am wochenende hier ganz schön ab...muss wohl doch mal in der neuen wohnung anschluss bestellen! :-)


    also ich gebe mal janslay recht: die leute, die überhaupt lesen - und wenn es nur triviales zeug ist - sind mir schon mal lieber als nichtleser. man kann es ja als 'droge' sehen! das ist halt der einstieg...und warum soll der leser dann nicht nach der devise 'viel hilft viel' darüber den zugang zu etwas anspruchsvollerem finden? wenn nicht, dann nicht....aber jedenfalls ist damit die chance gegeben...


    bo

  • Hi!


    Historikus:

    Zitat

    Das meine ich doch schon die ganze Zeit. Ich gebe nicht der Trivialliteratur die schuld, sondern deren Lesern, die das Niveau dieser Spate durch ihre eigene Anspruchslosigkeit ins Bodenlose sinken hat lassen ...


    Und da haben wir schon wieder so ein wunderschönes Pauschalurteil: Leser von Trivialliteratur sind anspruchslos und deswegen schuld an der Misere des Buchmarkts.


    Iris:

    Zitat

    Aaaaaaaaaaargh! Da isser wieder, der U/E-Schmarrn! Warum wird dieser Quatsch immer wieder aufgebauscht, um das Triviale aufzuwerten?


    Du mußt mir schon verzeihen, aber ich behalte mir das Recht vor, meine eigenen Ausdrücke und Definitionen zu verwenden. Und ich unterscheide zwischen - jetzt rattert meine Gebetsmühle - purer Unterhaltungsliteratur und dem Rest. Und ich verurteile das Lesen ersterer nicht, und schon gar nicht deren Leser. Und das ist eigentlich alles, was ich von Anfang an zu diesem Thema ausdrücken will.


    Bye,


    Grisel

  • Hi all!
    Ihr könnt wirklich fürchterlich aneinander vorbei posten! :grin
    Dass Autoren befürchten, noch mehr unter Druck zu geraten, Schund schreiben zu müssen, weil angeblich alle Leser das nunmal so wollen, das müsste doch jedem einleuchten.
    Und wenn ich einen mit ollen Landserheftchen oä rumlaufen sehe, denke ich auch nicht, boah toll, wenigstens liest er. :grin
    Ich finds auch übel, das sich Mcdonnalds überall breitmacht: das zeug macht nun einmal vor allem fett und fast süchtig, ruiniert die Ernährung und das obwohl es eigentlich nur Nahrungsmittel sind.
    Mal ist ja okay, aber ausschließlich.....?


    Sollte man wirklich mal drüber nachdenken, bevor man alles Gedruckte und wenns noch so beknackt ist verteidigt, weils was gedrucktes ist......... :wave


    Grüßlis!

  • Hi Grisel,


    Zitat

    Leser von Trivialliteratur sind anspruchslos und deswegen schuld an der Misere des Buchmarkts.


    Warum aus jeder Aussage eine Pauschalierung interpretieren? Kann man denn nicht einmal etwas sagen, ohne, dass jemand mit "Pauschalierung" daher kommt?


    Sorry, ich bin nun einmal der Meinung, dass deshalb so viel Schund derzeit an Büchern da ist, weil das auch die Leute logischerweise kaufen. Und da MUSS Anspruchslosigkeit der Leser vorherrschen, oder wie kann es denn sonst sein, dass Bücher auf die Bestenliste kommen, die jeden Dreck erzählen?


    mfg

  • Zitat

    Original von Antiope
    Und wenn ich einen mit ollen Landserheftchen oä rumlaufen sehe, denke ich auch nicht, boah toll, wenigstens liest er. :grin


    oha! an sowas wie landserheftchen hatte ich da nun nicht gedacht...naja, ich glaub mit dieser leserschaft könnt ich auch nix anfangen...


    bo :-)

  • Hi Historikus!


    Zitat

    Warum aus jeder Aussage eine Pauschalierung interpretieren? Kann man denn nicht einmal etwas sagen, ohne, dass jemand mit "Pauschalierung" daher kommt?


    Weil ich solche allgemeinen Aussagen einfach für fragwürdig halte, weshalb ich sie kritisiere. Es hat nun mal jeder einen anderen Diskussionsstil.


    Zitat

    Sorry, ich bin nun einmal der Meinung, dass deshalb so viel Schund derzeit an Büchern da ist, weil das auch die Leute logischerweise kaufen. Und da MUSS Anspruchslosigkeit der Leser vorherrschen, oder wie kann es denn sonst sein, dass Bücher auf die Bestenliste kommen, die jeden Dreck erzählen?


    Weil es offenbar sehr viele Menschen gibt, die diesen "Dreck" gerne lesen und es wohl auch nicht so empfinden.


    Schau, wir sind in dieser Frage offenbar kilometerweit auseinander. Ich finde ganz einfach, daß man niemanden wegen seiner Lesevorlieben kritisieren oder verurteilen sollte, egal welcher Art. Und das liegt nicht daran, daß ich so ein wahnsinnig liberaler Mensch bin, sondern ganz einfach weil ich es selbst hasse, wenn jemand meine Vorlieben kritisiert. Also tue ich es auch nicht.
    So einfach ist das für mich. Können wir uns einfach darauf einigen, nicht einig zu sein?


    Bye,


    Grisel

  • Zitat

    Schau, wir sind in dieser Frage offenbar kilometerweit auseinander. Ich finde ganz einfach, daß man niemanden wegen seiner Lesevorlieben kritisieren oder verurteilen sollte, egal welcher Art.


    Auch nicht rechtsextremes, ideologisch bedenkliches Material? ;-)


    Um eines klar zu stellen: Jeder soll das lesen, was er für richtig hält.


    Ich möchte jedoch betonen, dass ich es dramatisch finde, in welcher Richtung wir hingehen, wenn anscheinend nur mehr Unterhaltung hochgejubelt wird und der Inhalt angeblich egal ist ...


    mfg

  • Will jetzt auch mal meinen Senf dazugeben. Kann sein, dass meine Interpretation schon gesagt wurde, hab nicht alle Postings gelesen.


    Ich dachte zuerst, er meint, wenn man viel liest, liest man auch Bücher schlechter Qualität, die den Geschmack verfälschen und die Ansprüche niedriger werden lassen, sodass auch viele Bücher mittlerer Qualität usw. als gut angesehen werden, a la`"Jedenfalls besser als das Letzte".
    Aber dann hab ich überlegt: Analphabeten lesen ja überhaupt keine Bücher. Wenn die dann doch mal lesen lernen und ein Buch lesen, denken sie doch dann gleich, es ist gut.
    Die, die viel lesen hingegen lesen ja auch viele gute Bücher, die sie dann als Mindestmaß einsetzen. Außerdem nehmen sie dann vielleicht die Mängel aus schlechten Büchern, vergleichen sie mit den Büchern, die sie grad lesen und denken beim kleinsten Anzeichen dieses Mängels, dieses Buch sei auch schlecht. Damit wachsen die Ansprüche und Vielleser erkennen gute Bücher nicht mehr, weil sie einen zu hohen Mindestwert haben.


    Eine andere Möglichkeit wäre, dass Viellesen soviel lesen, dass sie den Stoff gar nicht mehr richtig verarbeiten, es also als Nebenbeschöftigung tun und deshalb ein gutes Buch nicht zu schätzen wissen.


    Jaja, Interpretationen...:rolleyes

  • Hallo zusammen,


    ich komme zwar hinterher wie die alte Fasnacht (sagt man bei uns so), aber dennoch möchte ich meinen Senf noch loswerden.


    Zitat

    Gedankenloses, zerstreutes Lesen ist geradeso wie Spazierengehen in schöner Landschaft mit verbundenen Augen.


    Offen gestanden mußte ich mich erst mit Farben und Malerei auseinandersetzen, um anders durch die Natur zu gehen. Deshalb ist es aber trotzdem nicht schlecht durch die Natur zu gehen und keinen Blick dafür zu haben, was letztens den verbundenen Augen entspricht. Wobei Hesse hier im Grundsatz mit dem Vergleich m. E. recht hat.


    Zitat

    Wir sollten auch nicht lesen, um uns und unser tägliches Leben zu vergessen, sondern im Gegenteil, um desto bewußter und reifer unser eigenes Leben wieder in feste Hände zu nehmen.


    Diesem Satz kann ich nur zum Teil zustimmen. Wenn ich nach einem wirklich langen Arbeitstag (12 - 14 Stunden) vor dem Schlafen nochmal ein Buch in die Hand nehme, dann will ich zwar nicht mein tägliches Leben vergessen, aber ich möchte durchaus davon Abstand gewinnen, um meinen Kopf zu befreien und im Anschluß nicht von der Arbeit zu träumen. Ich greife dann zwar nicht zu Trivialliteratur, ich bin aber durchaus in der Lage eine schöne Geschichte mit wenig sprachlicher Finesse und wenig inhaltlichem Anspruch zu genießen. Allerdings eben auch mit der kritischen Distanz zu wissen, daß das was ich lese, nicht unbedingt der Realität entspricht. Entspannung heißt nicht, sich ständig mit sozialen, kulturellen oder politischen Problemen auseinanderzusetzen und wenn ich einen netten Krimi lesen will, dann darf das ruhig eine ganz gewöhnliche Geschichte á la Miss Marple sein. Andere schauen zu diesem Zweck fernsehen, manche Zappen eine halbe Stunde einfach hin und her, wovon ich überhaupt nichts halte.


    Zitat

    Die Zahl der Leser, welche für dichterische Eigenschaften eines Buches empfänglich sind und einen gut geschriebenen Satz von einem klischeehaften zu unterscheiden wissen, ist klein.


    Diesen Satz von Hesse muß ich leider unterstreichen. Nichtsdestoweniger bin ich der Ansicht, daß die Auseinandersetzung mit Themen zum verstehen führt und nicht die Vermeidung. Insofern besteht beim Vielleser doch zumindest die Chance, daß irgendwann der Groschen fällt (und vielleicht auch schon ganz früh der Groschenroman :lache)


    Zitat

    Denn die Feinde der guten Bücher und des guten Geschmacks überhaupt sind nicht die Bücherverächter oder Analphabeten, sondern die Vielleser.


    Hesses Aussage ist zwar eine schöne Diskussionsanregung und Provokation, aber eben auch sehr unkonkret. Was ist denn ein Vielleser? Zunächst einmal ein Mensch, der viel liest, Da Hesse im Kontext nur Bücher erwähnt, eben viel Bücher liest. Das heißt aber doch nicht automatisch, daß ein Vielleser viel "Schrott" liest!


    Des weiteren bin ich der Ansicht, daß es zur kritischen Auseinandersetzung mit Literatur, mit Ideologien etc. sogar notwenig ist auch schlechte Bücher zu lesen, zumindest Teile davon! Sicher würdet keiner von uns "Mein Kampf" als gutes Buch bezeichnen. In der Auseinandersetzung mit dem dritten Reich fand ich es aber sehr hilfreich mich durch dieses Buch durchzuquälen. Gerade Vielleser wie auch Hesse beschäftigen sich häufig auch mit den Originalquellen.


    Man kann diesen Satz jetzt natürlich auch nach dem wirtschaftlichen Aspekt beurteilen. Und da ist es leider wie in vielen Branchen und sogar wie in der Politik. Leider gewinnt meistens nicht der beste Politiker die Wahl, da die Gunst der Wähler nicht ausschließlich von der Kompetenz des Bewerbers bestimmt wird. Genauso ist es nun mal auch beim Leser.


    Für sich allein stehend wirkt Hesses Satz also arrogant und ignorant aufgrund der Interpretierbarkeit und der undifferenzierten Betrachtung.


    Das für's Erste zu Hesse.
    Pelican :wave

  • Hallo zusammen,


    und jetzt noch ein paar Anmerkungen zu einigen Kommentaren.


    Zitat

    His schrieb: Ich interpretiere Hesses Aussagen so, dass er meint, einige Vielleser viel zu viele Bücher kaufen, die gerade "in" sind, auf Bestsellerlisten stehen, die einfach nur Erfolg haben aus den verschiedensten Gründen auch immer, ohne dabei zu bedenken, welcher Schrott ihnen vorgesetzt wird.


    Darüber, daß Bestsellerlisten kein Qualitätsurteil sind, besteht doch denke ich Einigkeit. Man denke nur an Bohlen, Effenberg...


    Zitat

    Grisel schrieb: Weil es für mich, zumindest alleinstehend, wie eine Herabwertung des puren Unterhaltungslesens klingt. Und im Zusammenhang mit dem langen Zitat so, daß nur die Bücher wert sind, die einen etwas lehren.


    Hallo Grisel, hier kommt Unterstützung. Ich kann Deiner Aussage nur zustimmen. Es ist ja schön für Hesse, wenn er wo phantastisch war, daß er sich den ganzen Tag ausschließlich mit hochgeistigem (nein, doch nicht Alkohol, wo denkt Ihr wieder hin) beschäftigen konnte. Das entspricht aber doch nicht der Realität der meisten Menschen. Ich finde es durchaus in Ordnung, wenn ein Leser, um sich zu entspannen, einfach mal eine nette, seichte Geschichte lesen will. Die Frage ist viel mehr, was der Leser als Empfänger davon annimmt. Wenn ich einen Krimi lese, der auf einem englischen Landsitz spielt, dann ist es mir offengestanden egal, ob das Umfeld zu klischeehaft gestaltet ist, sondern dann lege ich Wert darauf, daß die Lösung des Falls schlüssig ist und ich relativ lange im Dunkeln tappe, ob es nun der Gärtner, die Haushälterin, der Butler, der Hund etc. war. Deshalb bilde ich mir aber noch lang nicht ein, daß England so ist.


    Übrigens gilt gleiches ja auch für alle anderen Medien.


    Btw: Ich habe schon hochintelligente Menschen getroffen, die eingestanden haben ein Faible für Rosamunde Pilcher zu haben. Ich teile dieses zwar nicht, ich finde es aber trotzdem ok.


    Zitat

    Iris schrieb: Interessanter und erfolgversprechender ist die weitaus schwierigere Kunst, den Leser eben an besagtem Bahnhof abzuholen und mit ihm eine Reise zu machen, bei der er am Ende ein paar ganz neue Bilder im Kopf hat.


    Liebe Iris. Deine Aussage stimmt vom Grundsatz her. Aber manchmal hat auch ein Leser mal Lust am Ende einer Geschichte das Buch zuzuklappen und keine neuen Bilder im Kopf zu haben. Wenn das nicht in der Überzahl der Fall ist, finde ich das auch ok und insofern haben auch solche Bücher Ihre Berechtigung.


    Zitat

    His schrieb: Qualität statt Quantität, dass ist mein Motto.


    Im Prinzip hast Du recht. Allerdings heißt der Satz für mich, ab und zu auch ein schelchtes Buch zumindest in Teilen zu lesen, um mich damit auseinanderzusetzen. Die kritische Distanz des Lesers zu dem, was er liest, ist meines Erachtens das Entscheidende. Und wenn man das Bewußtsein hat, wann man (frei nach Grisel) zur puren Unterhaltung liest, dann ist das vollkommen in Ordnung. Und dann kann man auch einen Dan Brown lesen, ohne hinterher den Vatikan nach seinen Büchern einzuschätzen.


    Btw: Schlecht ist natürlich, wenn ein Autor die Wahrheit seiner Aussagen propagiert, obwohl er weiß, daß sie nicht wahr sind, lediglich um den Absatz seiner Bücher zu forcieren.


    Zitat

    Jorinde schrieb: Reine Unterhaltung? Warum nicht. Warum guck ich "Tatort"? Zur reinen Unterhaltung. Warum les ich Krimis? Zur reinen Unterhaltung. Und es macht mir Spaß, auch wenn ich bei manchen die Welt um mich vergesse.


    Ich stimme Dir voll zu.


    Zitat

    Jansplay schrieb: So manch einer hat schon mit der Päpstin angefangen und ist erst dann beim Tribun gelandet


    Ich stimme Dir voll zu.


    Zitat

    His schrieb: Mal eine unschuldige Frage: Warum ist es verboten, hier Kritik zu üben?


    Warnen und kritisieren finde ich gut. Verdammen finde ich schlecht. Das Problem ist, daß in einer schriftlichen Diskussion vieles nicht rüberkommt und so bewegt man sich immer auf dem Grad, daß die eigene Meinung zu provozierend rüberkommt.


    Das passiert mir vielleicht auch grad. :cry


    Zitat

    Balduinente schrieb: aber wenn ich den ganzen tag angestrengt auch geistig arbeite, gönne ich mir gerne eine entspannung und lese genau und bewußt das, das nicht an meinen ansichten kratzt und wo ich einfach auch mal nur träumen kann.


    Und träumen ist gut für den Menschen. Es erhöht tatsächlich die Kreativität und stärkt das Immunsystem. Unglaublich, aber noch stand der wissenschaftlichen Erkenntnis.


    Zitat

    Grizzly schrieb: was ist gut? Literatur, die zum Denken anregt, die den Diskurs fördert, die stilistischen Ansprüchen gerecht wird, die inhaltlich informiert und nebenbei auch unterhaltsam ist. Kurzum: Literatur, die verändert.


    Eigentlich kann jegliche Literatur zum Denken anregen, wenn man das will.


    Zitat

    Iris schrieb: Konzernleitungen. Leute, die vor lauter Erfolgsdruck keine Zeit zum Lesen haben


    Iris, mit solchen Leuten habe ich derzeit oft zu tun. Und weißt Du was: oft haben die sich das Lesen als einziges Hobby erhalten. Und interessanterweise lesen sie nicht nur Handelsblatt, FAZ, Welt und ManagerMagazin.




    Übrigens bestimmen nicht die Vielleser den Buchmarkt, sondern eigentlich die Vielbuchkaufer (jaaaaaaaaaa, mein SUB ist auch furchtbar groß). Ich denke, dieser Unterschied ist hier noch gar nicht betrachtet worden.


    Zitat

    Antiope schrieb: Das Leben ist zu kurz für schlechte Bücher ...


    Ich denke, Ihr hab an meinen Ausführungen gesehen, daß ich dieser Aussage nicht zustimmen kann.



    Vielleicht machen wir manchmal in unseren Diskussionen den Fehler, einen anderen unbedingt überzeugen zu wollen, statt auch mal seine Meinung stehen und gelten zu lassen. Ich nehme mich da auch gar nicht aus, das passiert mir nämlich immer wieder.


    Auf jeden Fall finde ich, man sollte niemand wegen seiner Lesevorlieben verurteilen (warnen, kritisieren ja, aber nicht verurteilen). Und gehe damit wahrscheinlich mit Grisel in den Klub der Liberalen ein.


    Uffz, ob das alles überhaupt einer liest...


    Herzliche Grüße
    Pelican :write

  • Zitat

    Original von Pelican
    Warum hat "pure Unterhaltung" denn einen derart hohen Marktanteil. Warum fordert die Masse der Buchkäufer (vielleicht auch Leser) danach


    Vielleicht einfach deshalb, weil wir in einer sehr stressigen Zeit leben und einfach einmal etwas zum abschalten und entspannen brauchen? :gruebel

    "Nicht wer Zeit hat, liest Bücher, sondern wer Lust hat, Bücher zu lesen, der liest, ob er viel Zeit hat oder wenig."

    - Ernst Reinhold Hauschka

    Zitat

  • Hallo Pelican!


    Zitat

    Original von Pelican
    Auf jeden Fall finde ich, man sollte niemand wegen seiner Lesevorlieben verurteilen (warnen, kritisieren ja, aber nicht verurteilen).


    Und warum -- um eine wahrhaft ketzerische Frage zu stellen -- wird das Warnen und Kritisieren von euch Liberalen sofort als "Verurteilen" angeklagt?
    Warum wittert ihr hinter jeder Warnung und jeder Kritik am Gegenstand sofort eine Verurteilung seiner Benutzer?


    non sequitur.
    Verwunderte Grüße, :gruebel


    Iris

  • Hallo Morgana!


    Zitat

    Original von Morgana
    Vielleicht einfach deshalb, weil wir in einer sehr stressigen Zeit leben und einfach einmal etwas zum abschalten und entspannen brauchen?


    Ich möchte die Bedeutung des Stress in der heutigen Zeit nicht herunterspielen, möchte aber zu bedenken geben, dass wir in einer verhältnismäßig stressarmen Zeit und Region leben.
    Verglichen mit dem heutigen Afghanistan oder den deutschen Landen des 30jährigen Krieges haben wir es super-gemütlich. :grin


    Liebe Grüße,


    Iris

  • Zitat

    Original von Iris:
    Verglichen mit dem heutigen Afghanistan oder den deutschen Landen des 30jährigen Krieges haben wir es super-gemütlich.


    Hallo Iris, da magst Du sicherlich recht haben, aber ich lebe nicht in Afghanistan, sondern hier. Und hier empfinde ich das für meine Verhältnisse zum Teil als viel Streß. Ich persönliche habe eine (mindestens) 40-Tage-Woche auf der Arbeit, einen Haushalt zu führen, einen Hund und einen Mann zu versorgen und noch einiges mehr und will dann auch noch ein wenig Zeit für mich haben und ein wenig abspannen. Da kommt mir ab und an diese 'pure Unterhaltung' ganz recht. Damit kann ich dann ein wenig abschalten... ;-)

    "Nicht wer Zeit hat, liest Bücher, sondern wer Lust hat, Bücher zu lesen, der liest, ob er viel Zeit hat oder wenig."

    - Ernst Reinhold Hauschka

    Zitat

  • Hi, Iris.


    PMFJI.


    Zitat

    Verglichen mit dem heutigen Afghanistan oder den deutschen Landen des 30jährigen Krieges haben wir es super-gemütlich.


    Äpfel und Birnen, mit Verlaub. Daß uns nicht pausenlos Bomben auf die Schädel fallen oder hinter jeder Ecke ein Brandschätzer, Vergewaltiger oder Mörder lauert, bedeutet nicht, daß unsere Zeit/Gegend ganz allgemein streßfreier wäre - sofern dieser Vergleich überhaupt zulässig ist. Natürlich müssen wir nicht pausenlos in Todesangst leben, jedenfalls nicht in solch mittelbarer Todesangst. Wir sterben später, wir sind selten wirklich hungrig, jedenfalls die meisten von uns, wir können uns relativ sicher innerhalb unserer Strukturen bewegen. Zugegeben, in dieser Hinsicht haben wir weit weniger "Streß".


    Aber. Der Druck, der auf uns lastet, speist sich aus einer anderen Quelle. Leistungsdruck, Wissensdruck, Durchsetzungsdruck, der Druck, gesellschaftliche Normen und fremdgesetzte Ansprüche zu erfüllen. Unsere Welt, unsere Zeit ist keineswegs "super-gemütlich". Längst haben wir uns der Arterhaltung und der Erhaltung des eigenen Lebens als Primärziel entledigt, stattdessen hasten wir, jagen von einem Ziel zum nächsten, vergessen schnell, haben, ganz allgemein gesagt, unsere Lebensqualität dem Wettbewerb geopfert - ökonomischem Wettbewerb, aber auch psychischem, unterhaltungstechnischem usw. usf. Ich glaube nicht, daß wir es wirklich "gemütlich" haben. Ich bin kein "Zurück-zur-Natur"-Verfechter, eher im Gegentum, aber von Gemütlichkeit ist das Leben in einer marktwirtschaftlichen Informations- und Leistungsgesellschaft weit entfernt. Wie gesagt, direkte Lebensbedrohungen sind vergleichsweise seltener, aber dafür haben wir uns andere ins Haus geholt, werden von daherrasenden Autos überfahren, holen uns Krebs, weil wir zum Ausgleich des Stresses vier Schachteln Zigaretten am Tag rauchen, verpesten die Welt mit Elektrosmog aus Händdies (und vielen, vielen, vielen anderen Dingen), fühlen uns unwürdig, wenn der Nachbar ein schöneres Auto fährt, kleiden unsere Kids in saudämliche, überteuerte Klamotten, die wir uns eigentlich nicht leisten können, heiraten Menschen, die anderen gefallen, nehmen stoisch oktroyierte Verschlechterungen hin, obwohl wir eigentlich Verbesserungen finanziert glaubten .... die Liste ließe sich tagelang fortsetzen. Okay, ein Afghane, der nicht weiß, ob er abends lebend nach Hause kommt, ein Iraker, der hinter jeder Straßenlaterne eine Bombe fürchten muß, ein Mensch zu Zeiten des 30jährigen Krieges, dessen fünfjährige Tochter vergewaltigt und hingerichtet wurde - solche Leute würden unsere "Sorgen" verlachen. Aber bezogen auf das Individuum, das einzelne Wesen und seine Lebensqualität, sind wir in vielerlei Hinsicht schlechter dran - das Leben ist so schnell und komplex geworden, daß sich der Spaß daran zuweilen deutlich in Grenzen hält.


    Ach so, Hesses Zitat. Dies hier ist der vollständige Text, der Titel lautete "Ferienlektüre":


    Ohne Zweifel geht man nicht in die Sommerfrische, um Bücher zu lesen. Trotzdem gibt es viele, die nur in dieser Zeit zu einer ruhigen Lektüre kommen, und manchen, der es nicht im Sinn hatte, zwingen Regentage und andre Umstände zum Lesen. Nach meiner Erfahrung gibt es für Ferienzeiten gar keinen schönrere Vorsatz als den, keine Zeile zu lesen, und nachher nichts Hübscheres, als bei guter Gelegenheit dem guten Vorsatz mit einem wirklich schönen Buche untreu zu werden.


    Die Herrschaften, die mit Kindern, Frauen und Dienstboten ins Bad oder in die Berge reisen, pflegen es sich wohl zu überlegen, was mitzunehmen sei. Es kommt kaum vor, daß eine Dame erst in Ostende bemerkt, es fehle ihr an einem neuen Abendkleid, und vmo Lederkoffer bis zum Zahnpulver bedenkt man das Unentbehrliche genau. Man sieht sich auch nach Gesellschaft um und reist lieber an denselben Erholungsort mit einem Vetter oder Freunde als mit einem Todfeind. Man wählt alsdann sein Hotel mit Bedacht und wählt darin die Zimmer mit Sorgfalt, und bald weiß man, wo es den besten Kaffee und das kühlste Pilsener gibt.


    Alle diese Sorgfalt in Ehren! Dieselbe Dame jedoch, die vom Hut bis zum Stiefelchen nichts Unüberlegtes an sich trägt, die in der Wahl ihrer Freunde so vorsichtig ist und sich durchaus keine Zimmer mit Nordfenstern gefallen läßt, dieselbe Dame bringt ihre Regentage gähnend mit schlechten Büchern hin, denn sie hat natürlich keine Bücher mitgenommen und ist nun auf das angewiesen, was ihr der Kurbuchhändler vorlegt. Der Kurbuchhändler aber setzt sich der Hetze seiner Saisonarbeit keineswegs in erzieherischen Absichten aus und kann ohnehin kein allzu großes Lager führen. Sein Interesse ist es, von einigen wenigen gangbaren Büchern möglichst große Partien abzusetzen. So kauft der Bankier und die Gouvernante, der Amtsrichter und der Chauffeur sich dieselben Memoiren einer flüchtig gegangenen Prinzessin, dieselbe Mordgeschichte und dieselbe Kasernensatire, weil eben das die "Bücher der Saison" sind. Dieselben Leute, die zu Hause den ganzen Goethe ungelesen stehen haben, nehmen niemals einen Band oder zwei davon auf die Sommerreise mit, sondern kaufen jedes Jahr eben immer wieder die Bücher der Saison, die mit wenigen Ausnahmen im Grunde immer genau dieselben sind und nur die Titel und Umschläge wechseln.


    Das ist nun, wie vor Weihnachten, für uns Rezensenten die Zeit der Hoffnung, da wir die Federn spitzen und unser Volk zu erziehen unternehmen. Und so will ich es versuchen, in der stillen Hoffnung, den prinzeßlichen Memoiren und dem Räuberroman etwa einige Kunden zu entreißen. Vorher aber rate ich jedem Sommerfrischler von Herzen zu jenem guten Vorsatz: diesmal gar nichts lesen! Denn die Feinde der guten Bücher und des guten Geschmacks überhaupt sind nicht die Bücherverächter oder Analphabeten, sondern die Vielleser.

  • Zitat

    Zitat von Pelican
    Eigentlich kann jegliche Literatur zum Denken anregen, wenn man das will.


    Nein, dem widerspreche ich entschieden. Du wirst auf einer Seite, entsprungen der Feder Manns, Goethes, Walsers oder Nietzsches, deutlich mehr Denkansätze finden, als in Browns Illuminati und sämtlichen Werken Hohlbeins zusammen. Lies' mal ein Gedicht Hölderlins und setze dich damit auseinander - du wirst erstaunt sein, was dir diese wenigen Verse zu sagen vermögen - da bleibt Browns Schmöker hechelnd auf der Strecke zurück. Deshalb ist das eine ein Klassiker und das andere ein Stück moderner Trivialliteratur, die nur unterhaltsam und informierend (Infotainment) sein möchte. Wenn ich Inhalte (impliziert Fakten) auf dem güldenen Teller serviert bekomme, muß ich nicht denken.


    Zitat

    Warum hat "pure Unterhaltung" denn einen derart hohen Marktanteil. Warum fordert die Masse der Buchkäufer (vielleicht auch Leser) danach.


    Brot und Spiele.

    »Wer die Dummköpfe gegen sich hat, verdient Vertrauen.«
    Sartre

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