ZitatOriginal von Nudelsuppe
Das macht es doch aus, eben kein funktionierender Popstar zu sein, sondern zwischen der Euphorie, einen verdammt guten Text gemacht zu haben, und Selbstzweifeln zu pendeln. Ohne die Euphorie, eine gewisse Selbstüberschätzung, würde man das Schreiben wahrscheinlich ganz aufgeben. Aber es geht (für mich) auch darum, zu kämpfen, sich nicht zu verbiegen, dem Erfolg alles zu opfern, denn damit (höchst subjektiv) stirbt auch das, was die Magie des Schreibens begründet.
Hallo Marcel,
da das ein sehr interessanter Diskussionsansatz ist, der nicht unbedingt das Rezensionstopic zu Özdogans Tourtagebuch weiter aufblasen muss, habe ich mir erlaubt mit dem Zitat von Dir einen eigenen Thread dazu aufzumachen.
Gibt es diese Magie des Schreibens wirklich?
Ich bin mir zur Zeit alles andere als im Klaren darüber. Natürlich haben wir alle diese Momente, in denen der Text sich geradezu aus den eigenen Finger zu ergießen scheint, in denen jedes Wort, jede Formulierung geradezu auf unheimliche Weise genau da sitzt, wo es sich am besten anfühlt, wo es schon immer hinzugehören scheint.
Doch viel öfter sind es doch die Momente, in denen man über einem Text sitzt, sich Gedanken um den Handlungsablauf, die Figuren macht und zweifelt, ob die Perspektive etc. noch stimmt, ob das nicht alles viel zu banal, zu durchsichtig für den Leser sein wird? Gleich einem Filmemacher, der darauf hofft, dass die gemalten Kulissen hoffentlich nicht zu sehr auffallen und das Publikum nicht lachend auf die Lattenkonstruktion deutet, die da mit einem Mal irgendwo zum Vorschein kommt.
Ich rede also in erster Linie von Handwerk. Zweifellos beherrschen viele ihr Handwerk. Tom gehört dazu, genauso wie Özdogan und selbstverständlich auch Du. Die von Dir angesprochene Magie empfinde ich im Moment als eher romantisch verklärte Beschreibung von in allen Punkten beherrschtem Handwerk. Es hat nichts magisch Unerklärliches an sich, wenn es ein Autor schafft mit seinem Text die Leser auf eine Reise zu schicken, ihnen eine Geschichte zu erzählen, die sie aufregt, die sie lachen oder weinen lässt, sie verträumt schwelgen lässt. Es hat natürlich etwas mit Talent zu tun, nicht jeder der vor einer Tastatur sitzt und Texte zusammentippt kann schreiben. Es hat aber vorallem mit Handwerk zu tun, mit einem Gespür für seine Figuren, für die zu erzählende Geschichte.
Wenn ich einen Text lese, der mich auf irgendeine Weise gepackt hat, dann kann ich mich fragen: Wie hat der Autor das geschafft? Ich kann mir den Text vornehmen, um sozusagen hinter die Kulissen zu schauen. Und es macht unter einem analytischen Gesichtspunkt dann auch nichts aus, wenn man gegen die Lattenkonstruktion klopft und nach und nach versteht, warum der Text so gut funktioniert.
Und auch wenn es ein noch so schönes Bild ist, einem weißen Hasen braucht man dazu nicht auf die andere Seite des Spiegels zu folgen. Genausowenig, wie man David Copperfield wirklich abnimmt tatsächlich einen Hasen aus dem Nichts heraus aus einem Hut zu ziehen. Er versteht einfach sein Handwerk, und das so gut, dass man gerne an Magie dabei glauben mag.
Ob man sich nun als Autor einem kommerziellen Erfolg dabei unterordnet oder nicht, spielt mMn aus dieser handwerklichen Sicht keine so große Rolle. Wenn man die eine Geschichte unbedingt erzählen muss, dann wird man sie erzählen, ob sich dafür ein Verlag findet oder nicht.
Wenn der Verlag von Dir verlangt hätte aus Mitsu eine japanische Sumo-Trainerin zu machen, die nach einer Affäre mit dem Inhaber einer Werbeagentur Trost bei Deinem Protagonisten sucht, dann hättest Du Dich dafür oder dagegen aussprechen können. Vielleicht wäre es ein ebenso tolles Buch geworden, wie es letztlich eines geworden ist? Das hat aber eben nichts mit Magie, sondern meinem subjektiven Empfinden nach mit außergewöhnlich gut beherrschtem Handwerk zu tun.
Gruss,
Doc