Magie des Schreibens, Mythos oder Notwendigkeit?

  • Zitat

    Original von Nudelsuppe
    Das macht es doch aus, eben kein funktionierender Popstar zu sein, sondern zwischen der Euphorie, einen verdammt guten Text gemacht zu haben, und Selbstzweifeln zu pendeln. Ohne die Euphorie, eine gewisse Selbstüberschätzung, würde man das Schreiben wahrscheinlich ganz aufgeben. Aber es geht (für mich) auch darum, zu kämpfen, sich nicht zu verbiegen, dem Erfolg alles zu opfern, denn damit (höchst subjektiv) stirbt auch das, was die Magie des Schreibens begründet.


    Hallo Marcel,


    da das ein sehr interessanter Diskussionsansatz ist, der nicht unbedingt das Rezensionstopic zu Özdogans Tourtagebuch weiter aufblasen muss, habe ich mir erlaubt mit dem Zitat von Dir einen eigenen Thread dazu aufzumachen.


    Gibt es diese Magie des Schreibens wirklich?
    Ich bin mir zur Zeit alles andere als im Klaren darüber. Natürlich haben wir alle diese Momente, in denen der Text sich geradezu aus den eigenen Finger zu ergießen scheint, in denen jedes Wort, jede Formulierung geradezu auf unheimliche Weise genau da sitzt, wo es sich am besten anfühlt, wo es schon immer hinzugehören scheint.
    Doch viel öfter sind es doch die Momente, in denen man über einem Text sitzt, sich Gedanken um den Handlungsablauf, die Figuren macht und zweifelt, ob die Perspektive etc. noch stimmt, ob das nicht alles viel zu banal, zu durchsichtig für den Leser sein wird? Gleich einem Filmemacher, der darauf hofft, dass die gemalten Kulissen hoffentlich nicht zu sehr auffallen und das Publikum nicht lachend auf die Lattenkonstruktion deutet, die da mit einem Mal irgendwo zum Vorschein kommt.


    Ich rede also in erster Linie von Handwerk. Zweifellos beherrschen viele ihr Handwerk. Tom gehört dazu, genauso wie Özdogan und selbstverständlich auch Du. Die von Dir angesprochene Magie empfinde ich im Moment als eher romantisch verklärte Beschreibung von in allen Punkten beherrschtem Handwerk. Es hat nichts magisch Unerklärliches an sich, wenn es ein Autor schafft mit seinem Text die Leser auf eine Reise zu schicken, ihnen eine Geschichte zu erzählen, die sie aufregt, die sie lachen oder weinen lässt, sie verträumt schwelgen lässt. Es hat natürlich etwas mit Talent zu tun, nicht jeder der vor einer Tastatur sitzt und Texte zusammentippt kann schreiben. Es hat aber vorallem mit Handwerk zu tun, mit einem Gespür für seine Figuren, für die zu erzählende Geschichte.


    Wenn ich einen Text lese, der mich auf irgendeine Weise gepackt hat, dann kann ich mich fragen: Wie hat der Autor das geschafft? Ich kann mir den Text vornehmen, um sozusagen hinter die Kulissen zu schauen. Und es macht unter einem analytischen Gesichtspunkt dann auch nichts aus, wenn man gegen die Lattenkonstruktion klopft und nach und nach versteht, warum der Text so gut funktioniert.
    Und auch wenn es ein noch so schönes Bild ist, einem weißen Hasen braucht man dazu nicht auf die andere Seite des Spiegels zu folgen. Genausowenig, wie man David Copperfield wirklich abnimmt tatsächlich einen Hasen aus dem Nichts heraus aus einem Hut zu ziehen. Er versteht einfach sein Handwerk, und das so gut, dass man gerne an Magie dabei glauben mag.


    Ob man sich nun als Autor einem kommerziellen Erfolg dabei unterordnet oder nicht, spielt mMn aus dieser handwerklichen Sicht keine so große Rolle. Wenn man die eine Geschichte unbedingt erzählen muss, dann wird man sie erzählen, ob sich dafür ein Verlag findet oder nicht.
    Wenn der Verlag von Dir verlangt hätte aus Mitsu eine japanische Sumo-Trainerin zu machen, die nach einer Affäre mit dem Inhaber einer Werbeagentur Trost bei Deinem Protagonisten sucht, dann hättest Du Dich dafür oder dagegen aussprechen können. Vielleicht wäre es ein ebenso tolles Buch geworden, wie es letztlich eines geworden ist? Das hat aber eben nichts mit Magie, sondern meinem subjektiven Empfinden nach mit außergewöhnlich gut beherrschtem Handwerk zu tun.


    Gruss,


    Doc

  • Zitat

    Original von Doc Hollywood
    Gibt es diese Magie des Schreibens wirklich?
    Ich bin mir zur Zeit alles andere als im Klaren darüber. Natürlich haben wir alle diese Momente, in denen der Text sich geradezu aus den eigenen Finger zu ergießen scheint, in denen jedes Wort, jede Formulierung geradezu auf unheimliche Weise genau da sitzt, wo es sich am besten anfühlt, wo es schon immer hinzugehören scheint.


    Ich bin gar kein Autor.


    Aber meiner Meinung nach gibt es das wirklich. Es gibt sogar eine Theorie dazu: Flow-Erleben von Mihály Csikszentmihályi (in der Prüfung durften wir ihn "Tschick" nennen :grin).


    Zitat

    Eine Person, die nun weiß, "was" und "wie" sie etwas zu tun hat (Ziel- und Handlungsklarheit) und deren Fähigkeiten den Anforderungen der Tätigkeit gerecht werden, kann sich ganz auf das Ausführen der Tätigkeit einlassen, also in der Tätigkeit aufgehen. Die volle Aufmerksamkeit kommt dem Lösen der Aufgabe zugute. Die Person ist nicht mehr abgelenkt durch sozialpsycholgisch relevante Gedanken wie "was denken die anderen über mich", "wie komme ich an, wenn ich A oder B mache", sondern hat die Chance, sich positiv rein auf die Aufgabenbewältigung zu konzentrieren, ein Tun zu entfalten, in dem eine hohe Übereinstimmung äußerer Anforderungen und innerer Wünsche und Ziele besteht.


    Mein Prof. würde, glaub ich, sogar soweit gehen, dass man manche Dinge nur tut, um Flow zu erleben, weil es ein angenehmes Gefühl ist, das sich allerdings nicht bei jeder Tätigkeit einstellt.


    Bin schon wieder weg. Das fiel mir nur grad ein. :wave


    lg Iris

  • Hallo Delphin,


    den Begriff und das Erleben von Flow kenne ich. Zum einen vom Motorradfahren und zum anderen vom Schreiben. Das habe ich ja auch mit einer Formulierung am Anfang meines Beitrages auszudrücken versucht: "Natürlich haben wir alle diese Momente, in denen der Text sich geradezu aus den eigenen Finger zu ergießen scheint, in denen jedes Wort, jede Formulierung geradezu auf unheimliche Weise genau da sitzt, wo es sich am besten anfühlt, wo es schon immer hinzugehören scheint."


    Ich glaube aber nicht, dass Marcel den Flow gemeint hat, als er die Magie des Schreibens ins Spiel gebracht hat, sondern eher eine romantisierte Sichtweise von schlicht extrem gut beherrschtem Handwerk meint. Aber deswegen habe ich ja das Topic eröffnet, um mehr zu erfahren und seine und andere Sichtweisen dazu kennenzulernen. Auch die Deinige, als Nicht-Autor. ;-)


    Gruss,


    Doc

  • Ich schreibe nicht sehr oft und wenn dann nur ganz amateurhaft, aber mich erinnert das Zitat von Nudelsuppe an Walter Moer's Orm.


    Aus dem Lexikon der erklärungsbedürftigen Wunder, Daseinsformen und Phänomene Zamoniens und Umgebung von Professor Dr. Abdul Nachtigaller:
    Orm, das
    Das sogenannte "Orm" ist ein Phänomen, eine Art gestalterische Machtenergie, die jedes wahrhaft künstlerisch schaffende Wesen durchzieht und es zu immer neuen Höchstleistungen antreiben kann. "Orm" ist das Öl auf das Mitternachtslicht, die Fahrkarte vom Genie zum Wahnsinn und wieder zurück.
    Nicht jeder selbsternannte "Künstler" besitzt das Orm, ja, es wird von vielen minderen Artisanen und Jungdichtern, die es nie verspürt haben, für eine Fabel gehalten, in Witzen verspottet und ins Reich des Nicht-Existenten verwiesen. Für den jedoch, der seiner Wirkung auch nur ein einzigesmal erlag, steht seine Existenz felsenfest.
    Leider gelingt es den wenigsten Kunstschaffenden, das Orm festzuhalten oder es auch nur als regelmäßigen Gast ins Atelier oder in die Schreibstube zu bekommen. Wo Kreativität sich in Gelderwerb wandelt, wo die Inspiration dem Schaffensdruck weichen muss, wo die Phantasie auf dem Altar der unbezahlten Rechnung geopfert wird, da flieht nach Ansicht erfahrener, durch-ormter Künstler diese Kraft; und wenn man Pech hat - auf Nimmerwiederspüren.

    „Furcht führt zu Wut, Wut führt zu Hass. Hass führt zu unsäglichem Leid.“

    - Meister Yoda

  • @Doc


    in meinen Augen knabberst Du an der Kernfrage von Kunst.
    Verfangen bist Du in der Vorstellung vom Kunsthandwerk.
    Kunsthandwerk hat das Ziel, unser Leben schöner zu machen.
    Kunst ist Auseinandersetzung mit den Gegebenheiten, fundamental.


    Schreiben als Kunst beginnt vor dem Geschichtenerzählen. Etwas zu erzählen ist weder Kern noch Ziel von Schreib -Kunst.
    Es bedeutet, eine neue, eigene Welt zu schaffen. Es ist Schöpfertum, Schöpfung. Da entsteht grundsätzlich Neues. Nicht unbedingt aus dem allumfassenden Nichts, aber weil die Schreibenden eine Lücke fühlen. Etwas fehlt, man hat das Bedürfnis, etwas in Worte zu fassen, das es bislang nicht gab.
    Angezielt ist zunächst kein Publikum. Es geht zuallererst einmal darum, sich selbst Luft zu verschaffen.
    Zu schreiben (oder malen oder komponieren etc. pp.), weil man muß.
    Wer sagte den berühmten Satz, Schönberg? Kunst kommt nicht von Können, sondern von Müssen?


    Die Magie ist nicht der Flow, sondern der Schöpfungsfunke.


    Das Handwerk zu beherrschen, ist dafür einerseits unabdingbar, andererseits von untergeordneter Bedeutung.



    Delphin


    danke für die Ausführung zum Flow. Klar schreibt man wegen des angenehmen Gefühls. Das Bild des Künstlers, der Haareraufend und stets schluchzend über dem Manuskript hängt, kann man gern durch das Bild von jemandem ersetzen, der mit seligem Idiotengrinsen auf dem Gesicht den Kuli übers Papier rauschen läßt.


    Wenn ich mir allerdings so vergegenwärtige, was Schrifststellerinenn im Lauf der Zeit über ihr Schaffen geäußert haben, sind die Probleme größer als das Glück mit dem Schreiben Müssen.

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • @ Doc


    Handwerk braucht's, keine Frage. Ich würde sogar soweit gehen, es als "Routine" zu bezeichnen - das schließt für mich ein, wann und wo ich schreibe, wo ich meine Recherche-Informationen herbekomme, wie ich diese für mich aufbereite. Wie ich plotte. Wissen, welche Formulierungen was an Assoziationen auslösen können. Dass ich bestimmte Gesetzmäßigkeiten des Erzählens beherrsche.
    Ganz banal ist das.
    Und je besser ich die Routine beherrsche, je weniger an Bewußtheit ich dafür aufwenden muß - umso mehr Raum habe ich für die Magie. Das was an Szenen, Bildern, Geräuschen, Emotionen, Worten fließt. Die eigentliche KUNST nämlich.
    (Auch der Maler muß Gesetzmäßigkeiten über Farbe, Perspektive etc. beherrschen und wissen, wie er mit dem Pinsel umgeht - auch das ist das zugrindeliegende Handwerk für jedes Meisterwerk)
    Klar kann ich mir das alles damit erklären, dass das (nach C.G. Jung) aus dem kollektiven bzw. meinem persönlichen Unbewußten stammt.
    Will ich aber nicht.
    (Auch wenn irgendwie beruhigend zu wissen, dass es eine gute psychol. Erklärung dafür gibt.)


    Denn der Augenblick, wenn ich nichtsahnend vor der Glotze lümmel, einen Film sehe, und urplötzlich fällt mir eine Romanidee in den Schoß...oder ich gehe spazieren und mir schießt ein guter Satz durch den Kopf... oder ich "weiß" einfach, das Zigeunermädchen muß Leonora heißen, das ist der einzige Name, der zu ihr passt... oder ich sitze bang vor einer weißen Seite der Word-Datei, weiß nur, ich muß eine bestimmte Szene schreiben, damit die Handlung logisch weitergeht, habe aber keine Ahnung, was, und drei Stunden später ist von "irgendwo her" eine Szene geflossen, bei der ich weiß, daß sie gut ist -
    dann hat das etwas absolut Magisches.


    Ich habe immer Angst, nicht mehr schreiben zu können, wenn ich es nicht mehr Magie nenne. Denn letztlich will ich diese ja auch weitergeben und die Leser verzaubern, in die Geschichte entführen.


    Vielleicht keine Gedanken und Formulierungen, die man im Jahre 2007 haben und machen sollte, wo doch alles so rational und erklärbar ist (glaubt man zumindest). Aber dafür sind wir ja Künstler. :-]


    @ magali


    Zitat

    Original von magali
    danke für die Ausführung zum Flow. Klar schreibt man wegen des angenehmen Gefühls. Das Bild des Künstlers, der Haareraufend und stets schluchzend über dem Manuskript hängt, kann man gern durch das Bild von jemandem ersetzen, der mit seligem Idiotengrinsen auf dem Gesicht den Kuli übers Papier rauschen läßt.
    Wenn ich mir allerdings so vergegenwärtige, was Schrifststellerinenn im Lauf der Zeit über ihr Schaffen geäußert haben, sind die Probleme größer als das Glück mit dem Schreiben Müssen.



    maaaahhh, Vorsicht. Es gibt so eine lange Tradition des Künstler-Masochismus. "Gute Kunst ist nur die, die unter Qualen entstanden ist, und Künstler sind per se nicht zu einem glücklichen Leben geboren". Was da Realität war und Selbststilisierung ist oft nicht auseinander zu halten.


    Letztlich kann ich nur von mir sprechen: und ja, ich ringe sehr sehr oft damit, und ich will im Jahr ungefähr 143mal alles hinschmeißen.
    Und wenn es dieses Gefühl des Flow nicht gäbe, hätte ich das auch schon gemacht. Dieses Flow-Erfahrungen sind durchaus mit ganz oben auf der Liste, warum ich den Beruf ausübe.


    @ Delphin


    dass Ihr die Theorie in der Prüfung hattet, macht mich schwer neidisch. Sowas war bei uns tabu! :wow


    @ Paradise Lost


    das hat Moers genial ausgedrückt! :anbet

  • Zitat

    Original von Doc Hollywood
    Gibt es diese Magie des Schreibens wirklich?
    Ich bin mir zur Zeit alles andere als im Klaren darüber. Natürlich haben wir alle diese Momente, in denen der Text sich geradezu aus den eigenen Finger zu ergießen scheint, in denen jedes Wort, jede Formulierung geradezu auf unheimliche Weise genau da sitzt, wo es sich am besten anfühlt, wo es schon immer hinzugehören scheint.


    Für mich gibt es diese Magie (auch wenn man mich ansonsten mit allem, was irgendwie esoterisch ist oder so klingt, jagen kann ;-) ).
    Es ist wie ein Zauber, wenn ich mich an den PC setze und mein Word-Dokument öffne, ist das einfach ein wunderschönes Gefühl. Ich tauche in die Geschichte ein, bin Bauerstochter oder altägyptische Königin.
    Ich lebe mit und durch meine Figuren in der jeweiligen Story, fühle, was sie empfinden, halte - stumme - Zwiegespräche mit ihnen, um sie besser kennen zu lernen. Sie sind wie reale Personen, wie ein dreidimensionaler Film erscheint die Handlung, die ich aufschreibe.


    Zitat

    Original von Doc Hollywood
    Doch viel öfter sind es doch die Momente, in denen man über einem Text sitzt, sich Gedanken um den Handlungsablauf, die Figuren macht und zweifelt, ob die Perspektive etc. noch stimmt, ob das nicht alles viel zu banal, zu durchsichtig für den Leser sein wird? Gleich einem Filmemacher, der darauf hofft, dass die gemalten Kulissen hoffentlich nicht zu sehr auffallen und das Publikum nicht lachend auf die Lattenkonstruktion deutet, die da mit einem Mal irgendwo zum Vorschein kommt.


    Beim Überarbeiten, ja. Aber nicht beim Runterschreiben. Wenn ich wie eine Wilde tippe, korrigiere ich nicht einmal Tippfehler. Die Perspektive habe ich ganz gut drin, das ist mir so in Fleisch und Blut übergegangen, dass ich da höchstens Bezugsfehler drin habe.


    Für mich haben Schriftsteller schon immer eine sehr große Faszination besessen und das ist auch jetzt noch so, obwohl ich selbst schreibe und Veröffentlichungen habe; weil sie in der Lage sind, Welten zu erschaffen und mir beim Lesen so wunderschöne Phantasien und Träume zu schenken.
    Und wenn ich selbst Leserfeedback bekomme und mein Roman gefällt, die Leser hat eintauchen lassen in die Geschichte, dann ist das auch ein wunderschönes gefühl.

  • Ich glaube, man hat als Schriftsteller beim Schreiben sehr viel weniger Kontrolle über das, was geschieht, als gemeinhin angenommen wird. Manchmal ist es, als würde man sich selbst beobachten, wie bei einer Nahtoderfahrung (vermutlich jedenfalls, ich hatte noch keine). Irgendwas schreibt, natürlich gibt es leitende Aspekte, Zielführung, Idee und Plot, Notizen und vieles mehr. Aber zwischendrin, während man einen Absatz baut, eine Formulierung findet, etwas geschehen läßt, manchmal über mehrere Seiten hinweg, ist es, als hätte man überhaupt nicht darüber nachgedacht, was man gerade tut, als hätte ein Teil der Person gehandelt, über den man eben nur wenig Kontrolle hat. Vermutlich ist damit die "Magie des Schreibens" gemeint. Mir geht es jedenfalls häufig so, nicht immer, aber doch sehr oft. Der handwerkliche Aspekt hat damit wenig zu tun. Ich denke auch nicht über meine Finger nach, während ich diesen Text, jetzt, mit zehn Fingern blind tippe. Schreiben wird zu einer intuitiven Tätigkeit, und das ist auch nötig, meine ich, um wirklich gut zu schreiben. Und genau an dieser Stelle trennt sich m.E. auch der ambitionierte Laie von jemandem, der wirklich begabt ist (was jetzt nicht heißen soll, daß ich sonderlich begabt wäre). Mit Handwerk hat das nur marginal zu tun. "Müssen" ist allerdings auch das falsche Wort. Es geschieht einfach. Nicht immer. Aber es geschieht. Wenn man will.

  • Zitat

    Original von Doc Hollywood
    Gibt es diese Magie des Schreibens wirklich?


    Das ist nicht die Frage, die ich mir stellen würde. Die Sache mit der "Magie" wäre mir zu flüchtig. Und wie du schon selber geschrieben hast, hielt ich mich nach so manchem Kapitel für die Königin der Buchstaben. Tatsächlich war dieses Gefühl EXTREM wichtig, wie ich heute weiss, denn hätte ich diese Magie nicht gefühlt, wäre ich keinesfalls weitergegangen. Mit dem nüchternen Blick eines Sekptikers, hätte ich nicht mehr als eine Postkarte zustande gebracht. Und das wäre schade, denn ich wäre stehen geblieben und hätte nicht weiter gemacht, mich nicht weiter entwickelt. Beim ersten Mal bin ich vielleicht noch darauf reingefallen. Heute weiss ich diese "Magie" besser einzuschätzen, was mich zu deinem nächsten Punkt bringt.



    Zitat

    Original von Doc Hollywood
    Wenn ich einen Text lese, der mich auf irgendeine Weise gepackt hat, dann kann ich mich fragen: Wie hat der Autor das geschafft? Ich kann mir den Text vornehmen, um sozusagen hinter die Kulissen zu schauen. Und es macht unter einem analytischen Gesichtspunkt dann auch nichts aus, wenn man gegen die Lattenkonstruktion klopft und nach und nach versteht, warum der Text so gut funktioniert.
    Und auch wenn es ein noch so schönes Bild ist, einem weißen Hasen braucht man dazu nicht auf die andere Seite des Spiegels zu folgen. Genausowenig, wie man David Copperfield wirklich abnimmt tatsächlich einen Hasen aus dem Nichts heraus aus einem Hut zu ziehen. Er versteht einfach sein Handwerk, und das so gut, dass man gerne an Magie dabei glauben mag.


    Ich glaube, dass das Eine ohne das Andere nicht wirklich funktioniert. Mag ja sein, dass man einen Verlag findet, wenn man ein begnadeter "Techniker" ist. Aber ich denke, wenn du Menschen wirklich berühren möchtest, solltest du neben dem Handwerk auch ein bisschen "Feenstaub" verstreuen. Zumindest ist es das, was ich mir als Leserin wünsche. Eine gut geschriebene Geschichte ist eines. Aber eine Geschichte die mich fesselt, so sehr, dass ich sie nicht mehr aus der Hand legen kann, ist ein anderes Spiel. Und ohne ein bisschen "Magie" stelle ich mir das sehr schwierig vor.




    Zitat

    Original von Doc Hollywood
    Doch viel öfter sind es doch die Momente, in denen man über einem Text sitzt, sich Gedanken um den Handlungsablauf, die Figuren macht und zweifelt, ob die Perspektive etc. noch stimmt, ob das nicht alles viel zu banal, zu durchsichtig für den Leser sein wird? Gleich einem Filmemacher, der darauf hofft, dass die gemalten Kulissen hoffentlich nicht zu sehr auffallen und das Publikum nicht lachend auf die Lattenkonstruktion deutet, die da mit einem Mal irgendwo zum Vorschein kommt.


    Meiner Erfahrung nach gehört das dazu. Das lerne ich selber gerade. Ich habe just festgestellt, dass meine Geschichte keinen festen Rahmen hat, der sie hält. Ich war so mit dem Inhalt und dem Erzählen beschäftigt, dass die Story aus dem Ruder lief. Jetzt stehe ich vor einem riesen Berg Arbeit und weiss noch gar nicht, wo ich anfangen soll. Mit sog. "Magie" kam ich ein Stück weit. Jetzt muss ich mich schleunigst mit dem Handwerk beschäftigen, sonst sehe ich alt aus.




    Zitat

    Original von Doc Hollywood
    Es hat nichts magisch Unerklärliches an sich, wenn es ein Autor schafft mit seinem Text die Leser auf eine Reise zu schicken, ihnen eine Geschichte zu erzählen, die sie aufregt, die sie lachen oder weinen lässt, sie verträumt schwelgen lässt. Es hat natürlich etwas mit Talent zu tun, nicht jeder der vor einer Tastatur sitzt und Texte zusammentippt kann schreiben. Es hat aber vorallem mit Handwerk zu tun, mit einem Gespür für seine Figuren, für die zu erzählende Geschichte.


    Na ja - magisch-unerklärlich wohl nicht. Aber es hat vielleicht eher etwas mit Empathie zu tun und wie nah ich die Geschichte an mich heranlasse. Wie viel von "mir" gebe ich hinein. Schreibe ich distanziert - kommt es auch so rüber, und die Geschichte wird es schwer haben zu berühren, meine ich.




    Zitat

    Original von Doc Hollywood
    Ob man sich nun als Autor einem kommerziellen Erfolg dabei unterordnet oder nicht, spielt mMn aus dieser handwerklichen Sicht keine so große Rolle. Wenn man die eine Geschichte unbedingt erzählen muss, dann wird man sie erzählen, ob sich dafür ein Verlag findet oder nicht.
    Wenn der Verlag von Dir verlangt hätte aus Mitsu eine japanische Sumo-Trainerin zu machen, die nach einer Affäre mit dem Inhaber einer Werbeagentur Trost bei Deinem Protagonisten sucht, dann hättest Du Dich dafür oder dagegen aussprechen können. Vielleicht wäre es ein ebenso tolles Buch geworden, wie es letztlich eines geworden ist? Das hat aber eben nichts mit Magie, sondern meinem subjektiven Empfinden nach mit außergewöhnlich gut beherrschtem Handwerk zu tun.


    Aber ist denn im Grunde nicht alles subjektives Empfinden? Ob mir ein Buch gefällt oder nicht, auch wenn ich es gestochen scharf begründen kann? Das Handwerk zu beherrschen ist eine Voraussetzung, ohne die geht es meiner Erfahrung nach nicht. Aber ohne "Magie" fehlt etwas. Obwohl ich das Wort "Magie" in diesem Zusammenhang ein bisschen unglücklich finde. Denn wie viel hätte die Geschichte noch mit ihm zu tun, wenn er sie nach "Verlagsbelieben" verbiegt? Und wie gut kann sie dann noch sein, wenn ein Autor nach diesem Kriterium schreibt? Nach marketingtechnischen Gesichtspunkten. Das kommt sicherlich vor, aber wie erfolgreich kann so etwas dauerhaft sein? Ich kann es mir nicht so wirklich vorstellen.

  • In truly good writing no matter how many times you read it you do not know how it is done. That is because there is a mystery in all great writing and that mystery does not dis-sect out. It continues and it is always valid. Each time you re-read you see or learn something new.
    Ernest Hemingway


    Ich sitze hier gerade etwas ratlosl. Es wurde schon sehr viel sehr gut gesagt.


    Eigentlich ist es ganz einfach: man schreibt einen Text, so gut wie man kann. Aber damit erfasst man nicht das Wesentliche. Vielleicht ist das Geheimnis der Hunger. Hunger nach Leben, Liebe, Sex usw. Das Gegenteil wäre Sättigung, eine lauwarme Zufriedenheit.


    Grübelnde Grüße,
    Marcel

  • Wir reden hier immer noch über zwei Paar Stiefel.


    Das eine ist das Geschichtenerzählen, das sich grundlegend aus der Frage nach dem Publikum speist.


    Das andere ist Schreiben als Auseinandersetzung eines Individuums mit dem, was dieses Individuum als 'Welt' begreift. Und in dem Bereich ist das Moment des Müssens wesentlich. Es bedingt die Form des Ausdrucks, das man sich also z.B. mit Worten äußern muß. Oder in Tönen.
    Das Publikum ist bei dieser Auseinandersetzung zunächst unwesentlich. Man wirbt höchstens um Verständnis für seine Interpretation der welt. Wenns fünzigtausend verstehen, ist es natürlich schöner, als wenn es bloß fünfzig kapieren oder fünf.
    Aber daran denkt man eher nicht beim Schreiben.



    Nicole


    aber sicher. Seit 'der Künstler' ins Bürgertum gefallen ist und sich der fabulöse Geniebegriff breit gemacht hat, sind Bild und Selbstbild der KünstlerInnen sicher zu hinterfragen.
    Ergänzend kann man noch hinzufügen, daß ein Teil des Ungenügens auch von der Vorstellung einer Perfektion herrührt, die man selbst hat, die man aber nie erreicht.
    Das geplante Werk im Kopf ist immer schöner, besser, strahlender, ist das Eigentliche. Auf dem Papier kommt es einem wie Pfusch vor.


    Nudelsuppe


    ja, es wurde schon soviel Treffendes dazu gesagt. Aber das Problem bleibt bestehen. Jede und jeder muß es für sich aufs neue lösen.
    Auch eine Art permanenter Katastrophe, wenn ich mal so gemein sein darf.
    ;-)

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Ohne die Magie des Schreibens gäbe es keine Literatur. Behaupte ich einfach mal.


    Die meisten Schreibenden kennen es: Man könnte am eigenen Text verzweifeln, fragt sich, ob man den eigenen Ansprüchen überhaupt gerecht werden kann, warum man sich dann doch immer wieder an den PC setzt und weiterarbeitet. Warum Schreibblockaden entstehen und wie man sie wieder überwindet. Und so manches Mal mag man sich fragen, warum man überhaupt schreibt und was man davon hat, mit einem Text an die Öffentlichkeit zu gehen (Ich meine hier nicht die wirtschaftlichen Beweggründe, sondern die rein künstlerisch ambitionierten).


    Was ist es, wenn man unterwegs in Geschichten denkt, Plots entwickelt, (eben) Erlebtes gedanklich in Geschichten umsetzt, sich in eine Handlung hineinfühlt, sich in Charaktere hineindenkt? Ganz abgesehen davon, was beim Schreiben an sich passiert - mit einem selbst und / oder den Figuren, die man erfindet und die ein Eigenleben entwickeln.
    Für mich ist es kaum vorstellbar, nicht von der Magie des Schreibens angezogen zu sein. Schreiben als reine Handwerksarbeit zu betrachten, würde mich nicht verleiten, einen Plot zu entwickeln bzw einen Roman zu schreiben. Das Handwerk zu beherrschen, sollte Voraussetzung sein. Jedoch nicht jede/r, die/der schreibt, muss es zwangsläufig beherrschen, was wiederum kein Garant für eine erfolgreiche Veröffentlichung sein muss.


    Zur Zeit lese ich "Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge" von Rainer Maria Rilke. Einen Satz, den ich immer wieder lese, weil ich ihn so schön und für diesen Thread passend finde, möchte ich zitieren:


    "Ich habe etwas getan gegen die Furcht. Ich habe die ganze Nacht gesessen und geschrieben, und jetzt bin ich so gut müde wie nach einem weiten Weg über die Felder von Ulsgaard."


    Wenn das nicht Magie des Schreibens ist - was dann?


    LG
    Corinna

  • Zitat

    Original von Tom
    Für mich ist das das selbe Paar Stiefel.


    Für mich auch. Natürlich muss das Handwerkliche stimmen, um eine Geschichte gut rüberbringen zu können. Eine schöne Sprache, ein guter Stil; das sind ganz wichtige Aspekte.
    Und beim Geschichtenerzähler die Art, wie er vorträgt.


    Ein guter Autor gibt seinem Text eine Seele, so dass der Leser diese Seele spürt und das Buch als etwas besonderes wahrnimmt.

  • Das ist jetzt ein bisschen abschweifend von der Kernfrage - aber ich habe mich dabei an einige Schreiberlebnisse erinnert, die man wohl als diesen Flow und Schaffensrausch bezeichnen könnte. Das Interessante daran - und ich hoffe, das ist jetzt nicht irgendwie zu biologisch entzaubernd oder vulgär für diese Plattform - war, dass ich die Phasen sehr oft in der Zeit des Monats hatte, wo mir als Frau gern mal die Hormone verrückt spielen. Nein, keine PMS :-], sondern die paar Tage, in denen man "fruchtbar" ist. Also in gewisser Weise geladen mit "kreativer" Energie. Die sich in diesem Fall nach meinem subjektiven Empfinden nicht in biologischer Kreation entlädt, sondern in geistiger. Das kann man jetzt esoterisch betrachten oder ganz nüchtern, das bleibt einem ganz offen - und damit ist da auch wieder Raum für Magie drin, finde ich. Dabei bin ich selbst eigentlich gar nicht esoterisch veranlagt.



    Ich will nicht behaupten, dass ich auf diese Weise je was Belletristisches fabriziert hätte, das man veröffentlichen könnte (veröffentlich wurden von mir nur Sachtexte, die mit eher handwerklicher Arbeit entstanden), ich finde es nur immer wieder spannend, sich über die Quellen der Kreativität Gedanken zu machen - auch wenn es darüber schon tausende von Diskussion gibt.


    Dass diese rauschhaften Schreibphasen praktisch nur in Kombination mit Routine, genug Talent und ein bisschen Selbst-in-den-Arsch-treten zu ordentlichem Material führen, würde ich auf jeden Fall unterschreiben.

  • Nudelsuppe


    :anbet


    DAS ist es.
    Und es ist ein neuer Satz zu einem alten Thema. Genial.


    Kann man jetzt sagen, daß das Forum den Närboden für Kunst bildet?
    :gruebel


    :lache


    Firesong


    ich glaube, das, was Du schreibst, fällt eher in den Themenbereich schreiben unter Einfluß von Alkohol und anderen Drogen.
    :grin


    habe ich doch glatt vergessen, bin leider auf dem Sprung (warum kommen hier immer die packendsten Themen zu Zeiten auf, zu denen ich keine Zeit zum Eulen habe???)


    Tom


    das ist genau der Punkt, über den wir uns nie verständigen können, seit wir vor, schätzungsweise zwei Jahren??, die erste PN gewechselt haben.
    Zwei Paar Stiefel.


    tbc


    :lache

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

    Dieser Beitrag wurde bereits 2 Mal editiert, zuletzt von magali ()

  • Zitat

    Original von Tom
    Manchmal ist es, als würde man sich selbst beobachten, wie bei einer Nahtoderfahrung (vermutlich jedenfalls, ich hatte noch keine). Irgendwas schreibt, natürlich gibt es leitende Aspekte, Zielführung, Idee und Plot, Notizen und vieles mehr. Aber zwischendrin, während man einen Absatz baut, eine Formulierung findet, etwas geschehen läßt, manchmal über mehrere Seiten hinweg, ist es, als hätte man überhaupt nicht darüber nachgedacht, was man gerade tut, als hätte ein Teil der Person gehandelt, über den man eben nur wenig Kontrolle hat.


    Ja, ja, ja, genau das ist der Zustand, den ich damals im "Schreibflow-Thread" versucht habe zu beschreiben:

    Zitat


    das ist bei mir ein tranceartiger Zustand, bei dem ich manchmal das Gefühl habe, meinen Körper von außen/oben zu betrachten, bei dem ich auf mehreren Ebenen gleichzeitig denke, bei dem ich die Figuren reden höre und die Szenen vor mir sehe wie einen Film und eigentlich nur noch mitzuschreiben brauche.


    Du kennst ihn also doch, den Flow! Als "Nahtod-Erfahrung" würde ich das nicht bezeichnen, aber ich glaube ich weiß, was du damit meinst.


    Als Magie würde ich das nicht bezeichnen. Unerklärlich und faszinierend ist es aber allemal, was der unbewusste und unterbewusste Teil unseres Gehirns da beim Schreiben für Verknüpfungen schafft.