Der Ausflug - Renate Dorrestein

  • Originaltitel: "Zolang er leven is"



    Kurzbeschreibung:
    Jeden Sommer treffen sich die Jugendfreundinnen Gwen, Beatrijs und Veronica mit ihren Familien auf dem Land, um gemeinsam eine Woche Ferien zu machen. Treffpunkt ist die romantische Imkerei von Gwen und ihrem Mann. Doch in diesem Jahr trügt die Idylle: Veronica ist vor kurzer Zeit völlig überraschend gestorben, und ihr Mann Laurens sowie die beiden Söhne sind gezeichnet von dem erlittenen Verlust. Beatrijs kommt mit ihrem neuen Freund, dem Seher Leander, und dessen verzogener Tochter Yaja. Als dann bei einem Ausflug Gwens Baby Babette verschwindet und trotz großer Suchaktion nicht wieder auftaucht, gerät das Leben der Freunde aus den Fugen. Keiner weiß, wie er mit dem Unerklärbaren umgehen soll. Gwen beschuldigt jeden. Schließlich lässt sie sich von Leander zu einer spiritistischen Suche überreden. Obwohl er von allen nur als Scharlatan betrachtet wird, hängen plötzlich an ihm alle Hoffnungen. Auch Laurens wird immer mehr von dem Gedanken beherrscht, mit Hilfe Leanders Kontakt zu der toten Veronica aufzunehmen.



    Über die Autorin:
    Renate Dorrestein, geboren 1954 in Amsterdam, wuchs in einer römisch-katholischen Familie auf. Ihre Jugend sei recht glücklich gewesen, sagt sie - das habe jedoch weniger an einer besonders harmonischen Familienatmosphäre als vielmehr an ihrer eigenen Fantasie gelegen, mit der sie ihrem Leben Farbe verlieh. Schon früh stand ihr Traum fest: Schriftstellerin werden. Heute ist die ehemalige Journalistin eine der holländischen Starautorinnen. Für ihre Romane, die u.a. sehr erfolgreich in Amerika, Großbritannien, Italien, Spanien, Finnland, Schweden und Frankreich erscheinen, wurde sie mehrfach ausgezeichnet



    Meine Meinung:
    Der Klappentext schildert die Ausgangssituation. Beschrieben wird das ganze aus der wechselnden Perspektive einzelner Protagonisten: Laurens, der seine Frau Veronika verloren hat und von Schuldgefühlen geplagt wird, muss sein Leben neu ordnen; sein Sohn Niels, der gerade die Welt der Erwachsenen entdeckt; Gwen, stark gefordert - überfordert - in ihrer großen Familie; Beatrijs, gerade frisch verliebt und somit blind.


    Die Autorin geht tief auf die Gefühle ihrer Personen ein. Durch Veronikas Tod und die dadurch veränderten Verhältnisse untereinander gerät ihr wohlgeordnetes Dasein, das Verständnis ihres Lebens, ins Wanken. Schuldgefühle spielen eine große Rolle. Renate Dorresteins Interesse gilt den fiesen kleinen Gedanken, die uns manchmal über geliebte Menschen durchs Hirn spuken. Hier ein böser Verdacht, da ein Zweifel an der Redlichkeit. Trotzdem ist es kein böses Buch, sondern ein zutiefst menschliches. Es ist schwer in Wort zu fassen, wie fein und klar die Autorin die Veränderungen der vormals klaren Gegebenheiten in Worte fasst. Veronikas Tod ist so eine Veränderung, ebenso Leanders schwer fassbare Person, mitsamt seiner unheilvollen Tochter, die die gesamte freundschaftliche Konstellation in Frage stellen. Wie diese Dinge, gekoppelt mit dem Verschwinden des Kindes, jeden in seiner Lebenssituation beeinflussen, ist die sehr spannende und dichte Handlung dieses Buches.


    Renate Dorrestein beleuchtet das Innere ihrer Protagonisten aufs genaueste ohne sie zu sezieren. Zwar klingt der Klappentext ein wenig aufregend - ein verschwundenes Kind, ein zwielichter Hellseher - aber das sind nur die äußeren Umstände, an denen die Autorin aber nicht interessiert ist. Ihr klarer und schnörkelloser Schreibstil passt wunderbar zu dem Thema.


    Als Fazit bediene ich mich eines Zitates von Random House: ""Renate Dorresteins Bücher fordern heraus: Ihre Geschichten sind voller harter, verstörender Details, die unter die Haut gehen."

  • @ Darcy: Danke dür die tolle Rezi, das hört sich an, als müsste es auf meine Wunschliste.


    Vorher werde ich mir aber "Das Erdbeerfeld" vornehmen, das seit letzter Woche auf meinem SUB liegt. :-)

  • Nach euren beiden begeisterten Rezis habe ich heute bei ebay zugeschlagen, und ein anderes, bereits vergriffenes Buch der Autorin ergattert.


    Für 2,50 konnte ich ja schließlich nicht warten, wie mir "das Erdbeerfeld" gefällt ;-)

  • Die drei Freundinnen Veronica, Gwen und Beatrijs hatten in jedem Jahr eine Woche gemeinsam verbracht. An das Dreiergespann wurden die Partner und Kinder der Frauen irgendwann angedockt. Inzwischen ähnelt das jährliche Sommertreffen eher einem kleinen Festival auf dem Grundstück von Gwen und Timo. In diesem Jahr wissen die Beteiligten nicht, wie sie die Woche gemeinsam überstehen sollen; denn vor kurzem ist Veronica gestorben. Gwen ist seit der Geburt ihrer fünften Tochter noch neben der Spur; denn zuvor hatte sie zweimal Zwillingsmädchen zur Welt gebracht. Irgendetwas stimmte da nicht. Gwens Mann Timo ist Imker, Gwen stellt Kerzen her, die Artikel werden im Hofladen von Timos leicht geistig behinderter Schwester verkauft, die mit der Familie zusammenlebt. Zu Besuch kommen Laurens, der junge Witwer mit zwei kleinen Söhnen, Beatrijs mit ihrem neuen Lover Leander und der gemeinsamen "Leasing-Tochter" Yaya, 13 Jahre alt und Gothic-Lady. Dreizehn, die wandelnde Unglückszahl, denkt Beatrijs. Yaya mit ihrem Interesse für Untote und Wiedergeburt ist sicherlich nicht die Gesprächspartnerin, die Eltern sich für zwei kleine Jungs wünschen, deren Mutter gerade gestorben ist. Laurens kommt eben so über die Runden mit Beruf und Haushalt. Dass sein Ältester sonderbaren Gedanken nachhängt, ist dem jungen Witwer noch gar nicht aufgefallen.


    Die Familienbande veranstaltet ein gemeinsames Picknick, an dessen Ende das wenige Wochen alte Baby Babette verschwunden ist. Wer ist für das Verschwinden der kleinen Babette verantwortlich? Wer hat zuvor merkwürdige Bemerkungen gemacht? Sollte die behinderte Bobby damit zu tun haben - oder der große Unbekannte? Dass Leander Gläser-Rücken kann und mit Kontakten zum Jenseits seinen Lebensunterhalt verdient, macht die verworrene Geschichte nicht gerade leichter. Schuldgefühle, Misstrauen und unüberlegte Anschuldigungen vergiften plötzlich die Beziehungen.


    Das Verschwinden eines Babys hat mich lange davon abgehalten, das Buch zu lesen, nun fand ich die Szene und die darauf folgende Handlung doch erträglich.


    Renate Dorrestein schildert die leicht chaotische Idylle bei Timo, Gwen und ihren wenig engelsgleichen Töchtern mit Wärme und Sinn für Situationskomik. Sie erzählt mit großer Warmherzigkeit von der Zerbrechlichkeit des Lebens und mit der Weisheit einer Person, die genau weiß, wie man sich mit dreizehn fühlt oder mit fünf oder wenn gerade die Mutter gestorben ist. Ein hinreißender Familienroman!