Der Schlaf in den Uhren

  • Hi,


    kennt ihr den Romanauszug "Der Schlaf in den Uhren", verfasst von Uwe Tellkamp (in "Die Besten 2004"). Er bekam hier für den Ingeborg-Bachmann-Preis 2004.


    Habt ihr Interpretationsvorschläge? Ich habe es vor zwei Wochen gelesen, und echt Probleme den Auszug zu analysieren. Hier ein Link zum Auszug: http://bachmannpreis.orf.at/ba…reis/texte/stories/13752/


    Ich kann ja schonmal ein paar Sachen aufschreiben, die mir bzgl. der Interepretation zum Anfang des Auszugs einfallen...


    "Manchmal hör ich sie fließen unaufhaltsam. Manchmal steh ich auf, mitten in der Nacht, und laß die Uhren alle stehen."


    Möglicherweise befindet sich das lyrische Ich in einer schweren Situation - sie möchte, dass die Zeit nicht weitergeht (Zeit wird hier symbolisiert durch die Uhr), und sich die Situation vllt. verschlechtert.



    "Rosenkavalier: Monolog der Marschallin, mir ist, als ob ich sie hörte, die Stimmen, die Musik, Erinnerung –"


    Ich könnte mir vorstellen, dass mit "Rosenkavalier" eine Oper Richard Strauss' gemeint sein könnte. Das lyrische Ich denkt anscheinend an diese Oper. Ich kenne zwar die Oper nicht genau, aber möglicherweise ist eine der Figuren eine Marschallin. Das Personalpronomen sie bezieht sich wahrscheinlich auf diese Marschallin. Das lyrische Ich denkt außerdem an die Musik der Oper.


    "- aber die Uhren schlugen, Muriel, ich sehe dich, eingekapselt von Apparaten, die dich und deine Träume retten sollten, Träume, um die es im Grunde immer geht, erinnerst du dich, wie die Straßenbahn in den Schienen schlenkerte und Funken stoben, wenn sie, von der Haltestelle Leipziger Straße kommend, vor dem Bahnhof Neustadt um die Ecke bog,"


    Jetzt habe ich doch einige Probleme - eingeleitet wird mit "aber". Das Folgende muss also in einem Gegensatz zum Vorhergesagten (Oper) stehen. Es kommen erneut die Uhren ins Spiel. Das lyrische Ich hört die Uhren schlagen (im Prolog: fließen).
    Was es nun mit der Muriel auf sich hat, weiß ich incht exakt.
    Vielleicht habt ihr ja Ideen dazu und auch zu meinen Ausführungen.

  • Zitat

    Original von darchr
    Möglicherweise befindet sich das lyrische Ich in einer schweren Situation - sie möchte, dass die Zeit nicht weitergeht (Zeit wird hier symbolisiert durch die Uhr), und sich die Situation vllt. verschlechtert.


    Welches lyrische Ich?
    Scheint mir eher ein Erzähler zu sein. So unprosaisch es klingen mag, so prosaisch ist es aber.

  • Hi Darchr,
    ich habe diesen Romanauszug letztes Jahr im Deutschunterricht behandelt (12.Klasse).
    Waldlaeufer hat ganz Recht, da es sich um Prosa handelt, ist der richtige Begriff Erzähler und nicht lyrisches Ich. Das sagt man nur bei Gedichten ;-)


    Nun zu deinen Auszügen:

    Zitat

    "Manchmal hör ich sie fließen unaufhaltsam. Manchmal steh ich auf, mitten in der Nacht, und laß die Uhren alle stehen."


    Ich meine mich zu erinnern, dass Zeit das Hauptthema in diesem Romanauszug ist. Geschichtsbewältigung spielt für den Erzähler eine große Rolle, deswegen auch die Zeitreise mit der Straßenbahn in die Vergangenheit (DDR - 2.Weltkrieg - 1.Weltkrieg sind die verschiedenen "Stationen").


    Zitat

    "Rosenkavalier: Monolog der Marschallin, mir ist, als ob ich sie hörte, die Stimmen, die Musik, Erinnerung –"


    Ja, damit ist die Oper gemeint und die Marschallin ist eine Figur darin. Mehr kann ich dir dazu auch nicht sagen, dafür müsste ich die Oper kennen.


    Zitat

    "- aber die Uhren schlugen, Muriel, ich sehe dich, eingekapselt von Apparaten, die dich und deine Träume retten sollten, Träume, um die es im Grunde immer geht, erinnerst du dich, wie die Straßenbahn in den Schienen schlenkerte und Funken stoben, wenn sie, von der Haltestelle Leipziger Straße kommend, vor dem Bahnhof Neustadt um die Ecke bog,"


    Muriel scheint, glaube ich, die Schwester des Erzählers zu sein. Ich bin mir aber nicht sicher :gruebel
    Es ist kein Gegensatz zum Vorhergenannten, denn durch den Bindestrich wird deutlich, dass der Erzähler hier einen Gedankensprung macht.


    Ich hoffe, ich konnte dir helfen :wave

  • Es handelt sich nicht um Hausaufgaben.


    Morgaine : Vielen Dank für deine Hilfe - Ich habe den Auszug noch nicht zu Ende gelesen, aber mir sind die Stationen DDR und 2. Weltkrieg schon aufgefallen. Kommt der 1. Weltkrieg hier erst später?
    Sehe ich das richtig, dass die Straßenbahn hier einen Unfall hatte ("in den Schienen schlenkerte" und "Funken stoben"), und das der Grund dafür ist, dass Muriel anscheinend krank ist ("Apparaturen").


    Weißt du zufällig, wer die Person "Fabian" in dem Auszug ist?

  • Der 1.Weltkrieg wird szenisch glaube ich nicht beschrieben. Da kommt aber eine Andeutung drin vor: "Der Kronprinz wurde erschossen" oder ähnlich.


    Dass die Straßenbahn einen Unfall hatte, glaube ich nicht. Zumindest kann ich mich nicht daran erinnern. Wenn du mir sagst auf welcher Seite du das entdeckt hast, kann ich mal nachschauen.


    Fabian ist, vermute ich, der Erzähler.

  • Der Text hängt sich an ein Gedicht von Hugo von Hoffmannsthal. Es ist Teil des Librettos des Rosenkalaviers von Strauss. Das Libretto kann man hier nachlesen.
    Dresden, die Heimatstadt von Tellkamp und der Ort der Erzählung, ist eine Opernstadt und Ort der Uraufführung des Rosenkavalier.


    Zeit vergeht und es geht daraum, zu spüren, "wie alles zerläuft zwischen den Fingern, wie alles sich auflöst, wonach wir greifen, alles zergeht wie Dunst und Traum." (Ausschnitt aus dem Rosenkavalier, etwas weiter vorn)


    Der Romanausschnitt vereint Erinnerungen mit Orten einer Bahnfahrt. Erinnerungen angesichts abgelaufener Zeit - angesichts des Todes der Schwester. Die Zeit fließt, gestaltet, verändert und läßt sich nicht halten.


    Entsprechend breit gefächert sind die Anspielungen. Sie im Einzelnen aufzudröseln und zu erklären führt hier sicher zu weit.


    Die Straßenbahn jedenfalls hatten keinen Unfall, sie eierte einfach um die Ecke, wobei die Wagen etwas schlingerten und die Räder an den Schienen Funken schlugen - das war laut und auffällig, aber nicht weiter bedenklich...

  • Hallo "licht",


    könntest du oder ihr mir bei der Interpretation des Titels helfen?


    Ich habe zwar - so denke ich - den Roman verstanden (wenngleich ich noch mit der Intention Tellkamps etwas hadere), aber schaffe es nicht so recht, den Titel in Verbindung zu bringen. Zum Ende hin lässt der Erzähler die uhr der Marschalling schlagen. Er will doch nun, dass sein Vater die Oper abspielt (und sein Vater soll aufpassen, dass er die Schallplatte dabei nicht zerstört).


    Aber weshalb "Der Schlaf in den Uhren"? Man erfährt als Leser doch nicht, ob die Oper abgespielt wird, oder?


    Kurz vor dem Ende hat sich ja an den Gebäuden einiges geändert, auch ist von "Luxus" die Rede - ist dies schon die Zeit nach dem Mauerfall?


    Was will Tellkamp mit dem Zitat, "er lasse die Uhren in der Nachts manchmal alle stehen", sagen? Möchte er die Zeit stehen lassen? Aber eigentlich funktioniert das doch auch nicht, da ihn seine Erinnerungen doch nur so überrennen.

  • Zitat

    Original von darchr
    Kurz vor dem Ende hat sich ja an den Gebäuden einiges geändert, auch ist von "Luxus" die Rede - ist dies schon die Zeit nach dem Mauerfall?


    Nein, in dem Auszug macht er eine Reise in die Vergangenheit wie ich schon oben geschrieben habe. Am Ende ist er kurz vor dem 1. Weltkrieg angekommen.


    Zitat

    Was will Tellkamp mit dem Zitat, "er lasse die Uhren in der Nachts manchmal alle stehen", sagen? Möchte er die Zeit stehen lassen? Aber eigentlich funktioniert das doch auch nicht, da ihn seine Erinnerungen doch nur so überrennen.


    Du beantwortest dir die Frage schon selber. WEIL seine Erinnerungen ihn geradezu überrennen und weil die Zeit unentwegt fortschreitet und weil ständig neue Dinge geschehen, wünscht er sich, dass er auch mal für einen Moment die Uhr stehen lassen könne.

  • Die Rahmenhandlung könnte so zu sein, dass der Ich-Erzähler, der auch eine Frau sein könnte, am Krankenbett der Schwester Muriel sitzt. Vielleicht spricht er zu ihr oder wir erfahren seinen Bewusstseinsstrom (stream of consciousness) in dem er sich an eine Bahnfahrt erinnert.
    Mir kommt es so vor: Der zeitliche Rahmen seiner Gedanken - der Ich-Erzähler kann sich wohl nicht selbst an die Zeit vor seiner Kindheit erinnern (Anlass für I. WK) - umfasst 1914 bis ca 1989.
    In seinem Bewusstseinstrom tauchen reale Begenheiten auf, aber auch Bezüge zur Literatur. Z.B. ist Fabian ein Roman von Kästner - auf den könnte er anspielen.
    Interessant erscheint mir neben der lyrischen Sprache - weswegen das lyrische Ich auch etwas passt - die äußere Darstellung der Dinge. Meines Erachtens soll dies auf die innere Situation der Erzählers, Muriels oder der Menschen aus der DDR hinweisen, für die die Zeit aus der heutigen Perspektive auch stehen geblieben war - oder sie wünschen sich, die Zeit anzuhalten, damit ihre Erinnerungen im Rausch der Widervereinigung nicht untergehen. Das könnte dann ein Bezug zu Muriel im Krankenbett sein, deren Träume weggehen. Das Leben würde mir auch keinen Spaß mehr machen, wenn ich keine Träume aus der Vergangenheit oder für die Zukunft mehr habe.
    Und sei es auch der Traum, dass diejenigen, die in Niedersachsen die Themen für das Abitur festlegen, bessere und zugänglichere Texte und Themen auswählen.

  • Der Ich-Erzähler ist männlich und heißt Fabian (wie oben schon genannt).
    Es gibt neben Muriel und Fabian auch noch zwei weitere Figuren, die Lucie und Arno heißen und neben den beiden Geschwistern während ihrer Kindheit wohnten. Die Erinnerungen aus der Schokoladenfabrik gehören zu Lucie, die gerade Arno und dem kleinen Fabian (vielleicht auch der kleinen Muriel) davon erzählt. Muriel ist wahrscheinlich kurz vor dieser Bahnfahrt gestorben
    – aber die Uhren schlugen, Muriel, ich sehe dich, eingekapselt von Apparaten, die dich und deine Träume retten sollten

  • Hi,
    Lahmanns Sanatorium liegt heute brach, ist nach den Sowjets nicht wieder saniert oder restauriert worden.
    Eigentlich lohnt sich ein Stadtrundgang in Dreden.
    Interessanterweise spricht der Ich-Erzähler einmal von der Otto-Buchwitz-Strasse (S.2) - die nach der Wende in Königsbrücker Strasse umbenannt wurde - und dann wieder mit der heutigen Bezeichnung (S.3). Daran erkennt man, als Dresdner, wann er in welcher Zeitebene ist. Manche Strassen und Plätze gibt es heute mit dem Namen nicht.
    Z.Bsp: (früher = heute)
    Otto-Buchwitz-Strasse = Königsbrücker Strasse
    Platz der Eineit = Albertplatz
    Dr.-Kurt-Fischer-Allee = Staufenbergallee (dort gab und gibt es die Garnisionskirche, auch ehemalige Kaserneneinheiten und die Kommandatur)



    Infos: Am Waldschlößchen - da hatte der damalige KGB in Dresden seinen Sitz. Im sogenannten Preußischen Viertel von Dresden hatten die Sowjets - Offiziere, die eben für den Dienst arbeiteten - vorwiegend Wohnungen (meist Villen) mit ihren Familien bezogen. Daher stiegen die russischen Frauen (mitreisende Ehegattinnen) dort eben aus.

  • Ich bin mir nicht sicher, aber ich glaube, in Uwe Tellkamps Romanauszug geht es vor allem um die Darstellung der Zeit und ihre Stellung in Erinnerungen. Durch die Wiedergabe der Erinnerungen des Ich-Erzählers Fabian (die eignen und die ihm von Muriel, Lucie und Arno erzählten) soll dies verdeutlicht werden, an sich spielen aber glaube ich nur die Zeit, der Rosenkavalier und die Uhr der Marschallin, und am Ende auch der Schlaf eine Rolle.

  • Mensch, jetzt hatte ich hier einen langen Text erstellt. nun ist alles wieder weg...:(


    Also, das mit den Straßennamen ist sehr nützlich, irgendwie doof, dass man so viel Hintergundwissen benötigt, um den inhalt zu verstehen!


    Meine Fragen:
    Wie heißt der Vater nun? Es werden im Zusammenhang mit ihm 3 Namen genannt,
    1. Niklas Buchmeister
    2. Hans (Begrüßung)
    3. Herrn Dozent Blau Hoffmann (ist das Ironie?)


    Und wie ist es mit Muriel, kommt sie auch "zu Wort"?
    Habt ihr über die Signifikanz der Punkte was herausgefunden? Also mir scheint es so, als leite der 3. Punkt die Worte Muriels ein:


    3.Punkt.Dennoch, trotzdem er wie ein Tennisspieler – mit nackten, sommersprossenübersäten Armen – zwischen den Schlangenvitrinen und den Giftpflanzenreihen umherging, dennoch Vaters Wintergestalt, dennoch seine bleichen Züge unter dem japanisch schwarzen Haar, in das er links einen strengen, linealgeraden Scheitel gezogen hatte, die Energie verratende, im Profil klassisch geformte Nase über dem feingeschnittenen Mund, den ich Rauchwölkchen ausstoßen sehe, während Vater die Frontscheibe unseres »Trabant 601« mit einem Plastikkratzer von der Eisschicht befreit, die über Nacht gewachsen ist; den ich Es wird ein kalter Winter werden, feststellen höre, wobei Vater die Hand sinken läßt, mit der er kurz an das Barometer geklopft hat, was die Position der Nadel aber nicht ändern wird. Wenn er nach Hause kam, ging Mutter ihm öffnen, er beugte sich zu ihr: Tag, Iris – Tag, Hans, in der Rechten seinen Hebammenkoffer, den er seit dem Medizinstudium besaß und benutzte, in der Linken meist einen Beutel mit etwas durch Beziehungen Ergattertem, erinnerst du dich, Fabian: eine runde weiße Plastikdose mit orangefarbenem Deckel etwa, die ihm eine Fleischermeistersgattin, die seltene Orchideenschößlinge über das Toxikologische Labor am Botanischen Garten bezog, gefüllt hatte – »für Herrn Dozent Blau Hoffmann mit bestem Gruß an die Frau Gemahlin und die Kinder«; ein Buch: Kunstbände von »E. A. Seemann«, Leipzig; eines der reichbebilderten Naturwerke aus dem Prager »Artia«-Verlag; Schallplatten aus dem »Kunstsalon am Altmarkt«: der »Don Giovanni« unter Elmendorff, mit Mathieu Ahlersmeyer und Margarete Teschemacher, Staatskapelle Dresden, 1943; das Streichquartett von Debussy, gespielt vom Vlach-Quartett; eine Aufnahme des »Rosenkavalier«


    Überhaupt verstehe ich die letzten Seiten, in denen es über den Vater geht, nicht ganz...hier wird doch eigentlich wieder deutlich, dass der ich-Erzähler Fabian durch das Hören d. Rosenkavaliers in der tatsächlichen Gegenwart an alles erinnert wird. Also der Vater, der am Schallplattengerät herumwerkelt, ebenfalls eine Assoziation zum Rosenkavalier ist.


    Gruß, Erdbeere

  • also ich würde sagen, dass der Vater nicht Niklas Buchmeister ist. Er sagt doch, dass er es nicht sei, sondern der Vater, der in die Hocke geht.....


    Ich verstehe das Ende mit Bezug auf den Romantitel so, dass Fabian sich anhand der Musik auf die Gedankenreise in die Vergangenheit begibt und sich so eine schlaflose Zeit vetreibt, die gleichsamt stehen beleibt durch die Erinnerungen.
    Wenn er am Ende (wie die Marschallin) einschläft, hat die Zeit ihren "normalen" Lauf aufgenommen....er kehrt in die "Jetzt"-Zeit zurück........

  • @Schnuffel
    Ich hab den Text in diesem Buch gelesen. Ich dachte eiegtnlich, dass der Schlaf in den Uhren nur in dieser Ausgabe erhältlich ist :gruebel
    Hast du auch diese Ausgabe? Da müsste das mit dem Vater eigentlich drin sein.

  • ja die haben wir auch...ich habe heute die nderen au meinem kurs gefragt die meinten auch das da nichts mit dem vater dran kommt...und ich habe den text auch erst vor drei tagen noch mal gelesen ..und ich kann mich da ncith dran erinnern