'Normaler'weise befinden sich Schlösser doch auf lichten Bergeshöhn!? Das 'Tal-Schloss' jedoch, ich nenne es
so, liegt weit ab der bekannten Wanderrouten in einer Niederung, von Bergen umstanden. Zufällig hatte ich es
einst gefunden, vor einigen Jahren, dann nie wieder. Der einzige Weg, der dorthin führte, war schmal, ein
Tierpfad eher, kaum erkennbar und Sommers fast unzugänglich, da der Boden feucht und der Talzugang dann
zugewuchert ist. Der diffuse Beginn dieses Pfades verbarg sich dazu noch hinter der 'Front' eines lang-
gestreckten, dichten Fichtenwaldes.
Wie ich oft Menschenmassen auszuweichen suche, die zu einem bestimmten 'Ereignis' hinströmen, so wähle ich
bei Wanderungen an Weggabelungen oft die jeweils weniger betretene Strecke und bekomme so gelegentlich
Dinge zu Gesicht, die einem, auf eingefahrenen Routen wandelnd, womöglich ein Leben lang verborgen blieben.
Mir war aufgefallen, dass der Klee auf den Wiesen dieser Gegend an manchen Flecken aussergewöhnlich üppig
zu gedeihen schien. Mit dem Blick nach weiteren Besonderheiten bin ich dann wohl an diese Schneise geraten
und fand so zufällig den verloren geglaubten Ort wieder.
Merkwürdige Pflanzen mutierten auch hier; sie schienen regelrecht in ihrem Wachstum zu 'schwelgen' und böten
wohl auch in der kalten Jahreszeit als trockenholziges Gestrüpp einen dickichtartigen Verwuchs. Ein wider-
borstiger, fülliger Teppich langer Klettenpflanzen schlang sich einem hier mit jedem Schritt nachhaltiger um die
Beine und schliesslich bis zum Oberkörper hin, was ein Vorwärtskommen immer beschwerlicher machte.
Der junge Hund, seit einigen Wochen an meiner Seite, hielt sich tapfer im Schlepptau. Irgendwann begann ich
zu fluchen: die Hitze nahm zu und ich spürte deutliche Rinnsale entlang der Wirbelsäulenfurche. Eine Machéte
gehört hierzulande kaum zum Wandergepäck, in diesem Moment jedoch wünschte ich mir ein solches Hilfs-
mittel sehnlichst.
Selten ging ich einen Weg direkt zurück und ungern würde ich auch hier 'unverrichteter Dinge' wieder um-
kehren, besonders da ich wusste, was uns erwartete: Ein paradisisch unberührter Ort, den wohl kaum ein Mensch
kannte, fürwahr etwas Seltenes mitten im gut ausgeschilderten Zentraleuropa.
Nach einer halben Stunde etwa hatten wir uns durchgeschlagen. Das Flechtwerk löste sich zu einer von Birken
umstandenen Lichtung hin auf und voraus war das teilweise überwachsene Gemäuer auszumachen. Während wir
auf die verfallene Treppe am Eingang der Ruine zusteuerten, konnte ich schon im Näherkommen diesen
sonderbar organisch anmutenden 'Klumpen' auf den Stufen ausmachen. Dort lag ein teilweise bemoostes 'Etwas',
verquollen und zugleich auf eine Art verblichen schimmernd.
Plötzlich fiel es mir wie Rostplatten von den Erinnerungsknoten. Gleich dem aufgeschlagenen Wälzer einer
'Heiligen Schrift' lag ES vor mir. Meine Gedanken flogen zurück in das Jahr der ersten zufälligen Ankunft.
Damals war am Nachmittag ein Gewitter über diesen seltsamen Ort hereingebrochen und ich hatte, zur Rast auf
diesen Stufen, versonnen in einem Buch lesend, eilig die Plane aus dem Rucksack über mich gezerrt und den Ort
über jenen nun als Rückweg halbwegs nutzbaren Pfad verlassen. Stunden später erst, unterkühlt die bürgerliche
Behausung erreichend, musste ich an jenem Tage das Fehlen des Buchs bemerken.
Augenscheinlich war seit damals niemand hier gewesen. Wie ich den Ort verlassen hatte, so fand ich ihn nun
wieder, von den kleinen Veränderungen 'der Zeit' einmal abgesehn. Mein Unterbewusstsein ahnte wohl in
diesem Augenblick, dass sich mir der Rückweg auch diesmal NICHT einprägen würde. Während der Hund
begann, das sonderbare Gelände für sich zu erobern, liess ich mich, im aufziehenden Unwetter ein mitgebrachtes
Buch aufblätternd, zur Rast auf einem der breiten, wie aus den Felsen gehauenen, Stufensteine nieder ..
PeT - Peter Thiersch - http://www.latal.de