Fragen an Nicole C. Vosseler

  • Die Fragen aller Fragen zuerst:


    Was ist dein laufendes Projekt? Was kommt bei einer Autorin bei der der Leser sich auf keine Schubladeneinteilung verlassen kann, als das nächste Projekt?

  • Was hat dich denn dazu bewegt, ein Buch über die Spionage in den englischen Königshäusern zu schreiben? Und wie bist du auf die jeweiligen Charaktere gestoßen?

  • @ beo


    Zitat

    Original von beowulf
    Was ist dein laufendes Projekt? Was kommt bei einer Autorin bei der der Leser sich auf keine Schubladeneinteilung verlassen kann, als das nächste Projekt?


    :grin


    Ich werde bei Lübbe erst einmal meiner dort eingeschlagenen Linie treu bleiben, d.h. "Britisches Empire - Reise - ferne Länder".


    Momentan sitze ich an einem Roman, der in Oxford 1853 beginnt und dann hauptsächlich in Arabien spielt, in der britischen Kronkolonie Aden und dem Hinterland; der Forschungsreisende Richard Francis Burton spielt darin eine eher kleine, wenn auch sehr wichtige Rolle, und es gibt kleine "Ausflüge" in den Krimkrieg.
    Geplanter Erscheinungszeitraum ist Sommer 2008.


    Danach wird's in den Sudan-Krieg in den 1880ern gehen.


    Für Arena werde ich auf jeden Fall noch ein zweites historisches Jugendbuch schreiben. Da ich aber noch kein definitiv grünes Licht vom Verlag für die Idee habe, die mir dafür auf den Nägeln brennt, möchte ich das Okay von dort erst abwarten, ehe ich etwas dazu sage (da bin ich ein wenig abergläubisch ;-) )

  • @ tinchen


    Zitat

    Original von Tinchen
    Was hat dich denn dazu bewegt, ein Buch über die Spionage in den englischen Königshäusern zu schreiben? Und wie bist du auf die jeweiligen Charaktere gestoßen?


    Die Tudor-Zeit war so mein Einstieg in die Beschäftigung mit Geschichte. Meine Mutter war sehr fasziniert davon, und diese Faszination habe ich von ihr übernommen. Ich wollte schon "irgendwann einmal" etwas über diese Zeit schreiben, aber es gab einfach Projekte, die mir wichtiger waren.


    Gegen Ende meiner Schulzeit, in meiner "Esoterik-Phase" :rolleyes stieß ich dann auf John Dee, und war erst einmal perplex, weil ich von ihm noch nie gehört hatte, trotz meiner intensiven Beschäftigung mit Elisabeth.
    Weil man sich ja immer zweimal im Leben trifft :grin, stolperte ich einige Jahre später wieder über ihn und begann zu recherchieren. Und von ihm war es auch nicht weit zu Sir Francis Walsingham und seinem Spionage-Netzwerk, und diese Verbindung fand ich so spannend, dass ich darüber unbedingt schreiben wollte. Geplant war ein Erwachsenen-Roman, aber meine Verlage waren davon nicht sonderlich angetan (was ich heute auch verstehe; als Roman für Erwachsene wäre die Idee nicht halb so gut gewesen). Also vergrub ich die Idee zu all den anderen in meiner "Ideen-Schublade", in der Hoffnung, dass die richtige Zeit dafür noch kommen würde.


    Im Oktober 2005 rief dann mein Agent an und fragte, ob ich nicht Lust hätte, ein Jugendbuch zu schreiben. Klar freute ich mich über das Angebot, hatte aber Bedenken, weil ich zuvor nie daran gedacht hatte, Jugendbücher zu schreiben. Als er dann aber sagte, er hätte dabei an den John-Dee-Stoff gedacht, machte es bei mir "klick!", und ich wußte sofort: das ist es! :hop


    Noch am selben Nachmittag tauchte Nicholas vor meinem inneren Auge auf, genau so, wie ich ihn auch beschrieben habe (woher diese Figuren immer kommen, ist das Magische am Schreiben!). Und weil ich unbedingt ein Mädchen an seiner Seite haben wollte, kam einen Tag später auch Leonora hinzu.


    Weil John Dee ja ein langes Leben hatte, in dem viel passiert ist, musste ich mich auf eine bestimmte Episode beschränken. Da boten sich für mich die "Engelsbotschaften" an, das wohl größte Rätsel von Mortlake. Und dabei fiel mir ein, dass es um dieselbe Zeit herum eine Verschwörung gegeben hatte, über die ich mal gelesen hatte und die im Gegensatz zur berühmteren Komplotten als Roman meines Wissens noch nicht bearbeitet worden war. Das passte alles so wunderbar zusammen, und vor allem passte Nicholas als Nachwuchs-Spion so herrlich in die historischen Ereignisse. Diese Geschichte wollte ich dann unbedingt erzählen, weil ich sie spannend fand, weil sie für mich eine tolle Mischung aus Fakten und Fiktion bot und weil es vom historischen Aspekt her eine gewaltige Herausforderung war.


    Mortlake, Walsinghams Spionagenetz und die Verschwörung haben von sich aus ein ganzes Arsenal an wunderbaren Charakteren. Angefangen von Dee und Kelley, über Walsingham und Phelippes, bis hin zu den Verschwörern und Agenten. Allein "Throckmorton" - einen besseren Namen hätte ich gar nicht erfinden können! :lache


    Die fiktiven Charaktere aus Nicholas' Welt wie die Hardcastles oder Will Cheddar kamen so nach und nach dazu; sie sollten quasi Prototypen für die damalige Zeit und Lebensart sein, dazu noch ein bisschen schräg und mit ausgefallenen Namen. :-)

  • Auch wenn man als Autor nicht unbedingt eine Zielgruppe haben muß: ich denke, spätestens wenn man ein Jugendbuch schreibt, hat man dann doch mal eine.


    Mußtest Du Dir bei der Arbeit am Buch irgendwelche, hm, ich nenn's mal Grundsätze immer wieder vor Augen halten bzw. beachten, um dieser Zielgruppe gerecht zu werden?

  • @ Pelican


    eigentlich recht wenige, aber die hatten's in sich: Einfachheit und Klarheit, bei aller "Verspieltheit", die das Buch in den Details haben sollte.


    Ich habe dieses Buch mit einer stärkeren Aufmerksamkeit auf präzise Sprache geschrieben - da mußte einfach alles ganz genau auf den Punkt sein, noch einige Grade mehr als bei einem Erwachsenenbuch. Die dürfen (meiner Ansicht nach) etwas "schnörkeliger" , "breiter gestreut" sein. Aber Jugendliche haben einfach ein anderes Aufmerksamkeits- und Konzentrationsverhalten als Erwachsene.
    Und ich durfte keine Schachtelsätze mehr schreiben! :lache
    Auch was die historischen Hintergründe anging, musste ich die Fakten und Zusammenhänge sehr "herunterdestillieren" und möglichst klar und einfach in Worte fassen - ohne etwas Wichtiges wegzulassen oder etwas zu verfälschen. Bei einem Erwachsenenbuch hätte ich mir dafür mehr Raum geben und das sprachlich auch etwas komplexer gestalten können.


    Zusätzlich hatte ich mir selbst zum Ziel gesetzt, im Sprachstil einen Mix aus altertümlichen, der Zeit angemessenen Worten einerseits und saloppen, eher modernen Formulierungen andererseits zu schaffen - wobei letztere für die junge Leserschaft eine Brücke zu den ersteren bilden sollten.


    Und bestimmt habe ich auch bewußter als sonst darauf geachtet, dass sich die jugendlichen Leser mit mindestens einem der beiden Protagonisten gut identifizieren können - weil ich glaube, damit steht und fällt auch das Interesse an dem Roman.


    Deshalb wollte ich inhaltliche Anknüpfungspunkte für Leser im Jugendalter schaffen - so wie Leonoras Faible für das Theater und die Schauspieler, das ich ähnlich wie unsere heutige Begeisterung für das Kino schildern wollte
    (und das Theater damals war ja nichts anderes). Oder ihre Schwärmerei für einen älteren Burschen und ihre Selbstzweifel dabei - und natürlich das Verhältnis zwischen Nicholas und Leonora, ihr Umgang miteinander - das ist aus meiner Sicht so typisch für das Alter (soweit ich mich erinnere und es ab und zu beobachten kann ;-) ).
    Ich wollte zeigen: hey, das mag vierhundert Jahre her sein - aber SO viel anders war manches damals doch nicht... :-)

  • Ich habe meinem demnächst 13-jährigen Neffen, der wirklich viel liest und vor allem historische Romane, "Die Farben des Teufels" von Mary Hoffman gegeben. Ein eigentlich schönes historisches Jugendbuch und war dann über die Mängel, die er mir genannt hat, weshalb ihn das Buch langweilt, im ersten Moment überrascht, im zweiten Moment erschien mir das aber ganz klar.


    Mary Hoffman hat zwei Hauptfiguren in ihrem Roman, die an zwei Orten leben und sich nur gelegentlich treffen. Bei jedem Kapitel muß man sich erst in den jeweiligen Ort und die jeweilige Figur einfinden. Das fand meine Neffe verwirrend. Sprachlich hat's ihm dann auch nicht so gefallen ("so lieblos runtergeschrieben" :wow).


    Ich werde ihm sicher Dein Buch geben und bin gespannt, was er sagt. Es ist aufgrund seines Detailreichtums zwar komplex, aber wie ich meine dennoch, wie Du auch sagst, einfach geschrieben. Und ich könnte mir vorstellen, daß Nicholas schon eine Identifikationsfigur für ihn ist, was nach meiner Beobachtung bei Jugendlichen doch nötig ist.


    Zitat

    Und ich durfte keine Schachtelsätze mehr schreiben!


    Ich gebe zu: die vermisse ich ein wenig. Aber das ist klar, sonst wäre es kein Jugendbuch mehr... Ich freue mich einfach auf Dein nächstes mit Schachtelsätzen! :-] Und in der Zwischenzeit darf ich ja auch noch DHüD lesen. :-)

  • @ Nicole


    Da ich ja eine Mitleserin aus der „Zielgruppe“ habe, kann ich nur bestätigen, daß Du mit dem Buch und Deinen Intentionen ins Schwarze getroffen hast. (Wenngleich ich auch die Schachtelsätze sehr vermisse, ich mag einfach lange und verschlungene Sätze. :-) .) Es ist für mich auch deshalb interessant, weil es der erste historische Roman ist, den wir gemeinsam lesen.

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • @ Pelican und SiCollier


    keine Sorge, ich bleibe in den nächsten Erwachsenen-Romanen den Schachtelsätzen treu! :grin
    Grundsätzlich fand ich diese Abwechslung aber ganz schön, und ich habe das Gefühl, dieser Ausflug hat meinem Schreiben gutgetan.


    Ich bin auch sehr gespannt, wie Dein Neffe es finden wird, Pelican - und bei Mimi bin ich auch sehr neugierig, wie es ihr gefällt, wenn sie damit fertig ist.
    Klar: das ist dann so die richtige Feuerprobe für das Buch, wenn es die eigentliche Zielgruppe in den Händen hat und es sich da herausstellt, ob es funktioniert oder nicht. :-)

  • @ Mondstein100


    Die Gepflogenheit mit den Binsen stammte noch aus dem Mittelalter. Teppiche waren selbst für sehr reiche Leute noch ein solcher Luxus, dass man sie lieber an die Wände hängte denn auf den Boden legte, um sie zu schonen.
    Die Böden waren damals entweder aus festgestampfter Erde, Holz oder Stein, und von den wirklich widerlich schmutzigen Straßen brachte man mit den Schuhen und Stiefeln nicht nur Staub, sondern meist feuchten Unrat ins Haus. Binsen nehmen diesen Dreck gut auf und binden ihn; alle paar Tage oder Wochen (je nach Reinlichkeit des Haushaltes und Geldbeutel :grin ) wurden die siffigen Binsen dann einfach zusammengekehrt, weggeworfen und durch frische ersetzt. Wer das nötige Kleingeld hatte und etwas auf sich hielt, streute quasi als "Lufterfrischer" zwischen die Binsen noch Kräuter oder Blüten, z.B. Lavendel, Salbei oder Kamille.