Sie nannten ihn Kafka

  • So, ich dachte ich stelle die Geschichte mal online. Hierbeit handelt es sich um eine Kurzgeschichte, die ich eigentlich für einen Wettbewerb geschreiben hatte, aber nicht eingereicht hatte. Das ganze ist im Winter 2005 entstanden. Ich weiß bis heute nicht warum ich ihn ausgerechnet Kafka genannt hab, aber wahrscheinlich weil ich wusste das Kafka ein Jude war und als Autor nicht von allen Geschätz wurde... Wie auch immer ^^ Seid nicht zu hart, ist wie gesagt etwas älter die Geschichte


    Sie nannten ihn Kafka


    Sie nannten ihn Kafka. Ratte nannten sie ihn; Ratte, Streuner, Ungeziefer. So nannten sie ihn.
    Sein dunkles Haar war von grauen Strähnen durchzogen, dabei sah er nicht älter aus als 20.
    Er ist Jude, schimpften sie.
    Keiner wusste ob Kafka wirklich sein Name war.
    Seine Mutter war eine Hure, empörten sich die Frauen.
    Sein Vater ein reicher Jude, ein Tunichtgut, pflichteten die Männer ihnen bei.
    Er sprach nie.
    Verschwinde, riefen sie, wenn er auf dem Kirchenplatz erschien.
    Sie fragte sich manchmal ob er stumm war.
    Wenn er nicht ging warfen sie Steine nach ihm.
    Nein, sprechen tat er nie.
    So ein Gesindel in unserem Dorf, schimpfte ihr Vater oft.
    Er hatte kein Zuhause.
    Er ist sicher krank im Kopf, sagte ihre Mutter.
    Er klaute zu Essen, nie mehr als er brauchte.
    Ein Dieb, ein Dieb, schrieen die Marktweiber wenn sie ihn sahen.
    Er ist ein Sohn des Teufels, predigte der Pfarrer des Sonntags.
    Die Raben kamen zu ihm geflogen.
    Er redet mit ihnen, munkelten die Mädchen in ihrer Klasse.
    Die alte, schwarze, einäugige Katze des toten Bäckers folgte ihm immer.
    Er ist ein Hexer, flüsterte ihre Tante nach der Messe.
    Abends traf man ihn oft auf der Straße.
    Geh abends nie allein raus, sonst nimmt er dich mit, drohte ihr Bruder.
    Sie hatte ihn einmal getroffen, abends.
    Aber seine Augen sind so freundlich, sagte sie dann.
    Er ist der Teufel selbst, die Ratte, riefen sie dann empört.
    Und sie schwieg.
    Wer hat Angst vorm schwarzen Mann, wer hat Angst vor Kafka, riefen die Jungen ihrer Klasse.
    Wenn er sie das spielen sah, schwieg er.
    Wieso kommt keine Katze, die die Ratte frisst, fragte ihre Großmutter.
    Er ging den Menschen aus dem Weg.
    Wieso hasst ihr ihn, erwiderte sie dann.
    Aber zur Last viel er doch eigentlich niemanden.
    Er ist ein Jude, riefen dann alle.
    Nachts schlief er oft im Straßengraben.
    Die Juden haben Jesus ans Kreuz genagelt, erklärte ihr Großvater.
    Einmal war er krank und lag auf der Straße.
    Wieso verreckt er nicht einfach, sagten sie im Pfarrheim nach der Sonntagsmesse.
    Helfen tat ihm keiner.
    Der Streuner ist nur ein Schandfleck für unser Dorf, sagte der Lehrer.
    Dann schlief er des Winters in der Scheune.
    Er bringt Unglück über meinen Hof, schrie der Bauer entsetzt.
    Man warf ihn raus.
    Sie sah ihm nur mitleidig nach, als er im Winternebel verschwand.
    Hoffentlich erfriert er, sprachen die Leute.
    Hoffentlich nicht, dachte sie.
    Als sie ihn damals getroffen hatte, lächelte er.
    Er ist nicht böse, ganz bestimmt nicht, flüsterte sie abends zu ihrer Freundin.
    Seine Augen waren immer freundlich und ein kleines bisschen traurig.
    Er ist Kafka, die Ratte, natürlich ist er böse, antwortete diese.
    Dann sprachen sie nicht mehr über ihn.
    Hoffentlich ist er bis Weihnachten verschwunden, flüsterte ihre Mutter eines Abends.
    Doch der Advent kam und die Ratte war noch da.
    Können wir nicht wenigstens in der heiligen Zeit ruhe haben, fragte die Frau des Bürgermeisters beim Gemeindetreff.
    Dann kam der heilige Abend und er war noch da.
    Mach nicht die Tür auf, es könnte Kafka sein, ermahnte ihre Mutter bevor die Familie zur Kirche ging.
    Sie war krank, so dass sie nicht mit in die Messe konnte.
    Gott erlöse uns von allem Unheil, beteten sie in der Kirche.
    Ihr Unheil war der Jude, Kafka.
    Gott schütze uns, predigte der Pfarrer.
    Es war so dunkel, dachte sie zu hause.
    Und mach, Herr, dass Kafka nicht meine Tochter holt, betete ihre Mutter.
    Sie ging ins Wohnzimmer.
    Wird Kafka in die Hölle kommen, fragte ihre Freundin ihre Mutter.
    Die Kerzen vom Adventskranz würden schön brennen.
    Ganz bestimmt, mein Liebes, antwortete diese.
    Sie holte die Zündhölzer und entfachte sie.
    Bald wird man ihn holen, flüsterte man, nach der Kirche.
    Plötzlich brannte der ganze Tisch.
    Es brennt, es brennt, schrie die Haushälterin des Pfarrers als sie aus der Kirche traten.
    Dann hatten die Flammen sie eingeschlossen.
    Das ist unser Haus, rief ihr Bruder.
    Mama, flüsterte sie und kauerte sich zusammen.
    Meine Tochter ist noch zu Haus, weinte ihre Mutter.
    Alle rannten zum Haus.
    Rette sie doch jemand, rief ihr Bruder.
    Keiner bewegte sich.
    Wieso straft uns Gott so, fragte ihr Vater verzweifelt.
    Die Flammen waren ganz nah bei ihr.
    Tu doch einer was, schrie der Bauer.
    Auf einmal stand er hinter ihnen.
    Kafka hat das Haus angesteckt, schrieen die Frauen.
    Der Saum ihres Kleides fing Feuer.
    Sei verflucht Kafka, fluchten alle.
    Er schwieg und ging auf das Feuer zu.
    Er ist ein Hexer, ein Hexer, riefen die Mädchen.
    Dann war er im Feuer verschwunden.
    Soll er verbrennen, als Strafe für seine Sünden, sagte der Pfarrer.
    Jemand hob sie hoch.
    Aber meine Tochter, flüsterte ihre Mutter und brach zusammen.
    Sie hatte ihre Augen geschlossen, doch sie merkte, wie es kühler wurde.
    Was macht er da, flüsterten einige überrascht.
    Er gab sie ihrem Vater und ging.
    Er... Er hat sie gerettet, flüsterte ihr Bruder.
    Das Haus brannte vollkommen ab.
    Mein Liebling, flüsterte ihre Mutter als sie sie hochhob.
    Doch er war in der Dunkelheit verschwunden.
    Kafka, Kafka hat sie gerettet, berichteten die Frauen am nächsten Tag.
    Sie wohnten vorerst bei ihren Großeltern.
    Aber hat sich keiner bei ihm bedankt, fragte ihr Cousin aus der Stadt.
    Sie war nur leicht verletzt.
    Er ist nicht mehr da, antwortete man bedrückt.
    Sie sah ihn dort nie wieder.
    Kafka, die Ratte, das Ungeziefer, wie sie ihn nannten, Kafka, der Streuner, Kafka... Der Weihnachtsengel.
    Sie nannten ihn Kafka.

  • Einigen Passagen finde ich durchaus gelungen, bei einigen Passagen wiederum empfinde ich einiges als klischeehaft. Insgesamt aber ein sehr lesenswerter Text, der durch seine kleinen harten Satzschläge das Gesagte noch untermauert.
    Die Rettung am Schluß wirkt mir irgendwie zu konstruiert, es entsteht bei mir der Eindruck, als solle hier noch ein Extragewicht auf die Schuldgefühlwaage gelegt werden. Darauf hätte aber verzichtet werden können.


    Insgesamt in meinen Augen ein gelungener Text, mit einigen Einschränkungen allerdings. :wave

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Mir gefällt der Text. Sehr gut.
    Nur den Weihnachtsengel empfinde ich als zu übertrieben und als ungelenken bis unfreiwillig komischen Bruch.
    Werde mir alles nochmal in Ruhe durchlesen, weil an zwei, drei Stellen erging es mir wie Voltaire und es war etwas zu viel Puder.
    Was aber in diesem Falle oftmals einen gewissen Charme besitzt.

  • Hallo, mir gefällt die Geschichte ziemlich gut.
    Ich gebe Waldläufer allerdings recht was den "Weihnachtsengel" betrifft. Dieses Wort wäre an dieser Stelle schon fast nicht nötig gewesen. Durch die Frage des Cousin aus der Stadt und die Worte der Frauen sprichst du ja bereits die Reue/Schuldgefühle an.
    Sonst gefallen mir besonders die kurzen Sätze und der schnelle Wechsel von den kurzen Szenen, die du beschreibst. Schön, dadurch auch der schnelle Sicht- und Personenwechsel.
    Liebe Grüße:)