Den Hansjörg Martin-Preis, einen Preis für den besten Kinder - und Jugendkrimi, gibt es seit 2000. 2005 erhielt ihn die Kinderbuchautorin Sabine Ludwig für ‚Die Nacht, in der Mr Singh verschwand’.
Ich gebe zu, daß ich mißtrauisch war. Eine deutsche Kinderbuchautorin, die ihre Abenteuergeschichte in England bzw. Schottland ansiedelt, das klang doch nach Enid-Blyton-Nachahmungstäterin. Aber das ist die Autorin bei weitem nicht. Die Geschichte ist nicht nur eigenständig, sie wartet auch mit einigen Brüchen des sattsam bekannten ‚Fünf-Freunde’-Syndroms auf.
Wir lernen drei Kinder kenne, Joe Miller, der eigentlich Giovanni heißt, den Namen aber nicht ausstehen kann. Er lebt mit seiner Mutter zusammen, die ihn mit Essen vollstopft und in ihrer Überfürsorglichkeit fast erstickt. Joe aber spürt deutlich, daß seine Mutter im Grund unglücklich ist, deswegen wehrt er sich kaum. Er will sie nicht verletzten.
Miranda, die recht glücklich mit ihren Eltern lebt, wird von der Nachricht überrascht, daß ihre Mutter ein Kind erwartet. Plötzlich ist ihr Platz in der Welt nicht mehr sicher. Sie wird nicht mehr der Mittelpunkt der Familienwelt sein. Eifersucht ist nichts Schönes.
Cymbeline ist die neunjährige Tochter eines Shakespeare-Spezialisten und seiner Gesellschaftsdamen-Ehefrau. Cymbeline ist hochbegabt, technisch interessiert und mag andere Kinder nicht besonders.
Diese drei nun landen aus ganz unterschiedlichen Gründen im Ferienparadies Schloß Fairytale. Vier wunderbare Wochen mit Reiten, Spielen und vielen Parties liegen vor ihnen. Aber es kommt nicht ganz so märchenhaft, wie die Prospekte des Kinderparadieses es versprechen. Zunächst läßt sich alles gut an, aber dann verschwinden die Pferde, die Betreuer, die als lustige Clowns verkleidet herumlaufen, entpuppen sich als gar nicht so lustig, wenn man nicht aufs Wort gehorcht, das Essen wird schlechter und schließlich wird auch nicht mehr viel gespielt. Es wird gebastelt und unablässig sollen gleichförmige Porzellanfiguren bemalt werden.
Die einzige Abwechslung bringt ein bekannter Fernsehstar, Mr Singh, der Märchenerzähler. Abend für Abend erzählt er den Kindern Geschichten. Vor allem Miranda fühlt sich zu ihm hingezogen. Als den Kindern immer mehr Merkwürdigkeiten im Schloß auffallen, beschließt Miranda, sich Mr Singh anzuvertrauen. Kurz darauf verschwindet er. Und die Kinder befinden sich mitten in einem Verbrechen.
Der Roman ist nicht nur ein spannender Krimi, der streckenweise auch für Erwachsene keineswegs langweilig ist, sondern auch eine recht überzeugende Geschichte der drei Kinder. Anders nämlich als in den herkömmlichen Freundschafts-Abenteuergeschichten, schließen sich die drei keineswegs umgehend zusammen. Im Gegenteil. Joe hat eigentlich Angst vor anderen Kinder - er hat genügend schlechte Erfahrungen gemacht -- und versteckt sich meist im Gartenhaus. Cymbeline will eigentlich am liebsten lesen, Spiele mag sie nicht und basteln schon gar nicht. Miranda ist ein wenig Pferdeverrückt und hängt ansonsten an den Lippen von Mr Singh. Den wiederum Joe nicht mag.
Daß sie am Ende zusammen agieren, ist eher der Notsituation geschuldet, nicht dem üblichen ‚Einmal - gesehen - und - gleich - Freunde - fürs - Leben’ - Klischee. Die Spannung wird sehr langsam gesteigert, dafür aber umso sicherer. Die Clowns sind eine ausgezeichnete Beigabe, der blitzschnelle Wechsel zwischen Komik und Bedrohung wird sehr deutlich. Überhaupt spielt das Verkleiden eine große Rolle.
Die Sprache ist einfach, aber nie primitiv, die Witzeleien der Altersgruppe ab ca. 10 angemessen mehr slapstickartig als feinsinnig, die Leute benehmen sich alle ein wenig übertrieben. Die Geschichten, die Mr. Singh erzählt, sind farbenprächtige Märchen, genußreich zu lesen.
Die Beziehungen zwischen Eltern und Kindern wird zugleich sehr feinfühlig geschildert, im Grund bemühen sich alle um gegenseitiges Verständnis. Das Wichtigste ist nämlich Vertrauen, selbst im Leben von Kriminellen. Das lernen alle Personen in diesem Buch.
Der Schluß wartet dann mit einer zusätzlichen Überraschung auf.
Auch wenn mich die Ortswahl England und bei den Kindern vor allem der Name Cymbeline (das arme Mädel!!) gestört hat, so bleibt als Fazit doch, daß das hier ein wirklich gut gelungener zeitgenössischer Krimi für Kinder ist.