Nocturna - von Jenny-Mai Nuyen

  • Das Mädchen 'Apolonia' musste erst den Tod ihrer Mutter verkraften und anschliessend dabei zusehen, wie ihr Vater dem Wahnsinn erliegt. Ihre Tante nimmt sie in ihr Haus auf und kümmert sich um Apolonia. Die wird immer mehr in einen Zirkel von Menschen gezogen, die sich 'Motten' nennen. Das sind Menschen mit besonderen magischen Kräften, die in zwei Gruppen gespalten sind. Die eine Gruppe nennt sich die 'Dichter' und die Andere 'TBK', was für 'Treuer Bund der Kräfte' steht. Beide Gruppen bekämpfen sich, denn jede Partei will die Oberhand über die Menschen gewinnen. Es dauert nicht lange bis Apolonia herausfindet, dass eine der Gruppen sowohl für den Tod ihrer Mutter als auch für den Wahnsinn ihres Vaters verantwortlich ist. Beide Parteien weisen die Verantwortung von sich und schieben es auf die Gegner, denn beide Gruppen wollen Apolonia und ihre Motten-Kräfte für sich gewinnen. Eine Prophezeiung besagt nämlich, dass die Gruppe, der Apolonia sich zuwendet und die sie mit ihren Kräften unterstützt, die Oberhand gewinnt. Kein Wunder, dass das Mädchen sich mit einem Mal grosser Beliebtheit erfreut.
    Sie muss sich entscheiden und wählt zunächst einmal nicht besonders weise. Nachdem sie ihren Irrtum bemerkt, ist es fast schon zu spät und sie muss sich etwas einfallen lassen, damit die Menschen nicht von machtgierigen Motten kontrolliert werden.



    Da ich das Buch nicht gelesen habe, sondern nur die gekürzte Lesung kenne, weiss ich nicht, ob meine Enttäuschung an der Kürzung des Stoffes liegt. Die Geschichte fängt gut an und steigert sich allmählich. Doch irgendwo in der Mitte des Hörbuchs ist ein Bruch, und zwar an der Stelle, da Apolonia sich auf die Seite der 'Dichter' schlägt. Das Mädchen, mit dem viel gepriesenem 'messerschafen Verstand' wird plötzlich 'dumm wie Brot', anders kann ich mir ihre Handlungsweise nicht erklären. Offenes Unrecht erkennt sie mit einem Mal nicht mehr und getretene Menschenrechte scheint sie, die vorher als so sensitiv beschrieben wird, nicht mehr zu bemerken. Im Gegenteil, sie hat ganz plötzlich keine Hemmungen mehr selber ein Verbrechen zu begehen, indem sie ein wehrloses Mädchen Namens 'Lorelei' in eine Art Wahnsinn treibt, denn sie stiehlt ihr ihre Vergangenheit und schliesst sie in ein Buch. Dies erreicht Apolonia (die plötzlich gar nicht mehr so sensitiv ist), indem sie in den Geist des Mädchens eindringt und die Seiten des Buches mit Szenen aus Loreleis Vergangenheit füllt, die sie mit dem Blut des Mädchens schreibt. Eine Tat übrigens, für die Apolonia nie zur Rechenschaft gezogen wird - zumindest nicht in der Hörbuch-Version. Die Buchheldin wurde mir mit jedem Kapitel immer unsympathischer. Schliesslich schreckt sie sogar nicht davor zurück, ihren unbewaffneten Bewunderer, Marinus, von dem sie sehr wohl weiss, dass er ein Opfer der sog. 'Dichter' ist, seinen Feinden auszuliefern und somit sein Schicksal zu besiegeln. Auch wenn die Autorin seinen Tod noch so erlösend darstellt: ein gestohlenes Leben ist ein gestohlenes Leben. Das zu beschönigen und seinen Tod letztendlich als eine Erlösung darzustellen - dafür kann ich mich nicht begeistern. Nur weil er keine Vergangenheit hat, heisst das noch lange nicht, dass er keine Gegenwart bzw. Zukunft vor sich hat.
    Auch wenn es 'nur' eine Geschichte ist, finde ich einen gewissen moralischen Anspruch wichtig. An welcher Stelle trägt Apolonia die Verantwortung für ihr Handeln? Ist es wirklich in Ordnung, dass sie Menschen etwas antut und nie dafür Rechnung tragen muss? Immerhin verschwendet die sog. 'Heldin' keinen Gedanken mehr an ihre Opfer. Und: ist es wirklich so toll, dass sie am Ende ihre Tante in den Wahnsinn treibt, aus Rache für ihren Vater? Ich finde diese Haltung und die damit verbundene Botschaft ehrlich gesagt bedenklich.
    Möglicherweise findet sich im Buch eine komplexere Auseinandersetzung mit diesem Thema; in der Hörbuch-Version vermisse ich diese Auseinandersetzung sehr.


    Davon einmal abgesehen, fand ich die Geschichte gut- und spannend geschrieben. Teilweise ist es sehr spannend, deswegen würde ich das Hörbuch auch nicht Kinder unter 12 Jahren hören lassen, was auch der empfohlenen Altersbegrenzung entspricht. Die Dramatik wird von der Sprecherin, Anna Thalbach tatkräftig unterstützt, die mir mit am besten gefallen hat.



    Zum Schluss noch etwas Formales: Warum ist es der Produktion nicht möglich, die CDs digital zu beschriften? Keine einzige CD hatte einen Titel (nicht einmal der CD Titel war vorhanden). Es hat mich ein Stunde gekostet, sämtliche Eingaben manuell vorzunehmen, also die Kapiteleingabe, die Angabe der Autorin, das Genre und die Sprecherin - und das auf 6 CDs, sonst hätte ich das Ganze nicht über mp3 hören können.



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