Die Sache mit Christoph - Irina Korschunow (ab ca. 14 J.)

  • Irina Korschunow gehört zu meinen bevorzugten Autorinnen. Ihre ruhige Art zu erzählen, sorgfältige Sprache und die Originalität, die sie aus ganz einfachen Themen hervorholt, beeindrucken mich jedes Mal aufs Neue. Ihre Jugendbücher - sie gehört zu den wichtigsten Jugendbuchautorinnen hierzulande - habe ich noch keines gelesen von ihr. Bis mir ‚Die Sache mit Christoph’ aus einer Antiquariatskiste entgegenlugte, die gebundene Ausgabe von 1978.


    Das Buch ist also dreißig Jahre alt, im Vergleich zu den zeitgenössischen Jugendbüchern mag es ein wenig altmodisch erscheinen. Waren Eltern damals wirklich so streng und so wenig diskussionsbereit? Hat man damals überhaupt miteinander gesprochen? Aber Korschunows Fähigkeiten als Autorin kommen auch hier zum Tragen, die Geschichte klingt nicht nur echt, sie könnte in weiten Teilen auch hier und heute spielen. Schließlich geht es um eine Frage, die zeitlos ist, nämlich: was ist das Leben?


    Der 17jährige Christoph ist tot, er stürzte auf einer abschüssigen Straße vom Fahrrad. Ein Unfall. War es einer?
    Diese Frage muß sich der gleichaltrige Ich-Erzähler stellen, Martin, Christophs bester Freund. Der Roman beginnt am Tag von Christophs Beerdigung, der größte Teil davon sind Rückblicke und Reflexionen.


    Christoph war einer jener jungen Menschen, die es nie geschafft haben, sich auch nur eine der Schutzhäute wachsen zu lassen, die ein Mensch zum Leben braucht. Die schrecken des bloßen Daseins trafen ihn stets direkt. Er ist dem Leben ausgeliefert. Sensibel, grüblerisch, hochmusikalisch, war für Christoph alles nur Leid. Und am Ende sinnlos?


    Einen Gutteil dieser Gefühle kann Martin nachempfinden, sie waren es, die ihn zu Christoph hingezogen hatten, kaum daß dieser neu an die schule gekommen war. Sie waren ins Gespräch gekommen, hatten zusammen Musik gemacht, Martin spielt Gitarre, Christoph Klavier. Ein wenig später gesellt sich Ulrike dazu, die Geigerin. Ulrike, in die Martin verliebt ist, entscheidet sich für Christoph. Aber Christoph bleibt auch ihr gegenüber verschlossen, wird mehr und mehr zum Rätsel. Was immer sich ereignet, empfindet er nur noch als Druck, er flüchtet zunächst in sich, läuft dann einige Male davon. War der Unfall die letzte Flucht?


    Grund hatte er, zum Davonlaufen. Christoph war ein Opfer. Verständnislose Eltern, die nur gute Noten sehen wollen, weil man nur mit guten Noten etwas wird im Leben, die Musik als lässige Freizeitbeschäftigung ansehen. Lehrer, die Christophs inneren Trotz spürten und es ihn spüren ließen, was es heißt, sich Autorität auch nur in Gedanken zu widersetzen. Es fallen keine Schläge, wir befinden uns in den späten 70er, in den Schulen wird nicht mehr geprügelt. Es war eine Zeit, die bewies, daß man keinen Rohrstock brauchte, nicht mal eine erhobene Hand, um Kinder zu demütigen und klein zu halten. Wozu der Aufwand, wenn Worte genügen.
    Das Leben in dem kleinen Dorf bei München wird, gleich ob es um die Familien oder die Schule geht, eindringlich genug beschrieben, um Christophs Blick in Vielem zu bestätigen. Die Welt ist alles andere als ein schöner Ort.
    Erzählt wird sehr ruhig, selbst die quälendsten Momente sind stille Momente. Wie immer bei Korschunow soll man sich kein Wort entgehen lassen.


    Die Verstehenshilfen für ‚Die Sache’, die im letzten Drittel des Buchs Stück für Stück gegeben werden, gefallen mir persönlich nicht. In Fragen um Leben und Tod Parameter wie ‚stark’ und ‚schwach’ einzuführen, bringt das Problem in meinen Augen auf einen mehr als schwankenden Boden. Ebenso diskreditiert es tatsächlich Martin wie auch Ulrike. Aber das ist Ansichtssache. Und trotzdem verflixt gut erzählt und geschrieben.


    Das Buch ist eine Entdeckung wert, auch wenn es längst zur Lektüre für mehr oder minder unwillige Schülerinnen und Schüler verkommen ist. 1980 erhielt es übrigens des Jugendbuchpreis ‚Silberne Feder’.


    Ein Bild der alten Ausgabe gibt es leider nicht, daher hier die bunte, moderne Tb-Ausgabe.

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Ich habe von Irina Korschunow hauptsächlich ihre Erwachsenenromane gelesen, aber Die Sache mit Christoph habe ich auch gemocht. Ich finde deine Rezension ziemlich zutreffend (altmodische Sprache, aber gut), soweit ich noch weiss. Es geht mir ein wenig wie Rosenstolz, dass ich mich nicht mehr an alle Details (besonders den Schluß) erinnern kann.


    Ich fand es ähnlich gut wie "Ein Anruf von Sebastian".

  • O, fein! Noch ein Fan!
    :-)


    Ihre Sprache finde ich aber nicht altmodisch, sie ist bloß nicht zeitgenössisch. Eher klassisch. Ungewohnt.
    Kommt sicher darauf an, was man sonst so liest.

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus