Eine Frage der Zeit - Alex Capus

  • Verlag Knaus, Gebundene Ausgabe, 304 Seiten
    Erschienen: August 2007


    Handlung laut Klappentext:
    Drei norddeutsche Werftarbeiter werden 1913 von Kaiser Wilhelm II beauftragt, ein Dampfschiff in seine Einzelteile zu zerlegen und am Tanganikasee südlich des Kilimandscharo wieder zusammenzusetzen. Der Monarch will damit seine imperialen Ansprüche unterstreichen.
    Die drei Männer reisen nach Deutsch-Ostafrika mit der Aussicht auf guten Verdienst, lassen sich bezaubern von der exotischen Kulisse
    und der schönen Gouverneurin, lernen aber auch die Brutalität des kolonialen Alltags kennen. Was der Kaiser und die drei rechtschaffenen
    Handwerker nicht wissen: Zur gleichen Zeit beauftragt Winston Churchill den exzentrischen, aber liebenswerten Oberleutnant Spicer Simson, zwei Kanonenboote über Land durch halb Afrika an den Taganikasee zu schleppen. Als der erste Weltkrieg ausbricht liegen sich Deutsche und Briten an seinen Ufer gegenüber. Keiner will, aber jeder muss Krieg führen vor der pittoresken Kulisse des tropischen Sees.
    Alle sind sie Gefangene der Zeit in der sie leben, und jeder einzelne hat seine eigene Methode, unter der unausweichlichen Macht der Umstände sein Leben in Anstand und Würde zu führen.


    Zum Autor laut Klappentext:
    Alex Capus, geboren 1961 in Frankreich, lebt als freier Schriftsteller in der Schweiz.
    Seine Bücher werden von der Kritik hoch gelobt und sind in zehn Sprachen übersetzt worden.
    Zuletzt erschienen bei Knaus Reisen im Licht der Sterne und Patriarchen.


    Meine Meinung:
    Capus benutzt eine bildreiche Sprache voller Atmosphäre und macht es sich auch mit der Erzählstruktur nicht zu leicht. Die Fakten der Geschichte sind belegt, mit Leben gefüllt werden sie durch Capus unaufgeregtem Stil. Anhand des Schiffbaumeisters Anton Rüter, beginnend auf der Papenburger Meyer-Werft und endend im Hochland Ostafrikas, erzählt Capus ein Stück Zeitgeschichte.


    Zu Anton Rüters Team gehören der Handwerkerbursche Hermann Wendt und der Nieter Rudolf Tellmann, die auch eine wichtige Rolle spielen.


    Ihr Auftrag das Kanonenboot Götzen (nicht etwa Graf Götzen, wie auch im Netz oft zu finden) nach Afrika zu transportieren und dort wieder zusammenzubauen.


    Leichte Assoziationen zu Werner Herzogs Fitzcarraldo mögen bei einem so unglaublichen Vorhaben kurz aufblitzen, greifen aber nicht, denn ein irrer Klaus Kinski taucht nicht auf. Die Personen dieses Romans sind normale, bodenständige Menschen. Die Atmosphäre auf der Werft ist nach meinen persönlichen Erfahrungen, wenn auch 70 Jahre später, treffend und glaubwürdig geschildert.


    Die Reiseroute der 3 umschließt Papenburg - Marseille - Mittelmeer - Port Said - Im Rotem Meer - Sansibar - Bagamojo - Bucht von Dar Es Saalam in Deutschostafrika des Jahres 1913.
    Diese Reiseroute wird schnell absolviert, es handelt sich nicht um einen Reiseroman, was bei Alex Capus natürlich auch nicht überrascht hätte.
    Der Roman besitzt auch einen gänzlich anderen Stil als Uwe Timms Morenga, der ja auch zu einem ganz anderen Ort und Zeit handelt, aber Vergleiche zu einem kolonialen Leben in Afrika kann man ziehen.


    Das Reizvolle lässt sich schon an den Kapitelüberschriften erkennen:
    - Nachts kommen die Flusspferde
    - Bitterer Honig
    - Giraffenhälse und Telegraphenstangen
    um nur ein paar Beispiele zu nennen.


    Mit dem britischen Oberleutnant Geoffrey Spicer Simson gibt es eine parallele Handlung, die die ähnlich kuriose englische Vorgehensweise vor und während des ersten Weltkrieges abbildet.


    Bei diesem Buch kann ich ausnahmsweise und vollständig den zu Werbezwecken auf der Rückseite abgedruckten Zitaten nur vollkommen zustimmen:


    " Über die Jahre habe ich festgestellt, dass meine Helden gewöhnliche Menschen sind, die ungewöhnliche Dinge tun.
    Was mich beschäftigt, ist immer der Mensch, der sein Leben in Würde zu leben versucht."
    Alex Capus


    "Was Alex Capus interessiert, sind ganz alte Themen: die Verheißungen und Hindernisse des Glücks" FAZ

  • Oh nein - mein SUB ist so elend voll, und gerade habe ich "Reisen im Licht der Sterne" vom gleichen Autor aus der Reihe "GEO Hörwelten" gehört und war so gefangen, daß es mich jetzt wirklich in den Fingern juckt, mir auch "Eine Frage der Zeit" zu kaufen.
    Naja, schauen wir mal :-) Auf jeden Fall trotzdem Danke für die Rezi!

    Ich weiß nicht, was das sein mag, das ewige Leben.
    Aber dieses hier, das diesseitige, ist ein schlechter Scherz. (Voltaire)

  • Guten Tag!


    Das Buch lese ich demnächst, ich hatte schon die Ehre Herrn Capus persönlich zu sehen, er ist eine absolut faszinierende Person. Ich habe sogar eine Geschichte ihm zu Ehren geschrieben.


    Viel Freude beim Lesen!


    lesefieber

  • Zitat

    Original von lesefieber
    hatte schon die Ehre Herrn Capus persönlich zu sehen, er ist eine absolut faszinierende Person.


    lesefieber, ich habe ihn auch einmal bei einer Lesung gesehen. Netter Kerl! :-)
    Er war sehr locker und normal. Das hat mich mehr beeindruckt als die Starallüren mancher Literaturstars.
    Außerdem gab er auch sehr schnell und kompetent Auskunft über sein Buch.


    Zitat

    Original von grottenolm
    und gerade habe ich "Reisen im Licht der Sterne" vom gleichen Autor aus der Reihe "GEO Hörwelten" gehört und war so gefangen...


    Am komenden Montag, 26.11.2007, kommt im Fernsehen auf Arte eine Dokumentation mit dem Titel "Die Schatzinsel" über Alex Capus Buch Reisen im Licht der Sterne über Robert Louis Stevenson.

  • Herr Palomar :


    danke für den Hinweis. Kannst du mir auch sagen, wann genau die Sendung kommt? Ich habe nämlich im Fernsehprogramm von Arte für morgen nichts gefunden... Oder kommt es vielleicht auf einem anderen Dokukanal?

    Ich weiß nicht, was das sein mag, das ewige Leben.
    Aber dieses hier, das diesseitige, ist ein schlechter Scherz. (Voltaire)

  • @ Herr Palomar:


    das war vielleicht eine prompte Reaktion! Danke.
    Ich werde gleich mal den Rekorder programmieren :-]

    Ich weiß nicht, was das sein mag, das ewige Leben.
    Aber dieses hier, das diesseitige, ist ein schlechter Scherz. (Voltaire)

  • Hallo Herr Palomar,


    ich weiß nicht, ich weiß nicht, mir gefällt das Buch schon auch, schreiben kann der Monsieru Capus ohne jeden Zweifel, ich würde sogar soweit gehen zu sagen, ich habe in letzter Zeit bei deutschen Originalautoren selten eine so geschmeidige Sprache gelesen. Das Thema ist interessant und wunderbar skurril in Szene gesetzt (die Seeschlachten auf dem Tanganikasee sind einfach nur groß).
    Aber am Ende... ich weiß nicht. Das Buch hört einfach nur auf. Vielleicht muss es so sein, vielleicht verträgt der Roman keinen Knalleffekt, keine überraschende Wendung, nicht einmal eine klare Aussage zu dem, was wenigstens mit den Hauptfiguren geschieht. Irgendwie wirkt mir das unrund, als hätte Capus sich gesagt, lieber so ganz unspektakulär auslaufen lassen, als am Ende meinen schönen Erzählbogen durch irgendwas Grelles in die Luft zu jagen. Ich bin mir auch drei Wochen nach Beendigung noch nicht sicher, welche Meinung ich dazu habe, neige aber inzwischen tatsächlich eher zu einem: suboptimal.
    Was das Buch insgesamt runterzieht, aber nicht zu einer totalen Katastrophe werden lässt.


    Herzlich: Bartlebooth.

  • Nachdem ich neulich einen Bericht in Lesezeichen gesehen habe, recherchierte ich gleich mal bei unserer Bücherei, ob die dieses Buch in der Ausleihe hat. Der Beitrag im Fernsehen hat mich gleich fasziniert, sowohl das Thema als auch der Autor waren mir auf Anhieb sympathisch.


    Durch das Nachspiel am Anfang des Buches weiß man spätestens, dass das Buch nicht gut ausgeht. Auch der Klappentext lässt nicht auf einen positiven Ausgang blicken. Rüter, Wendt und Tellmann sollen ein Schiff, welches gerade die Schiffstaufe erlebt hat, wieder in seine Einzelteile zerlegen und von Papenburg nach Afrika bringen. Die Männer reisen zu Wasser und mit dem Zug an ihr Ziel, mit an Bord die vielen Teile des Schiffes. Sie veranschlagen für den Aufbau ein gutes Jahr, fern von daheim, getrennt von Familie und Verwandten. Während dieser Zeit bricht der 1. Weltkrieg aus und sie wissen nicht mehr wer es gut mit ihnen meint und wer nicht. Es ist eine harte Zeit, die die Männer in Afrika verbringen. Die gewissenhaften Werftarbeiter werden unschuldig zu Kriegern. Die Zuteilung von Macht erfolgt an Personen, die nicht damit umgehen können und diese missbrauchen.


    Der Autor schafft es, den Leser mit einer wunderbaren Sprache nach Afrika zu entführen. Die Gefühle der Beteiligten sind spürbar, die herrschende Stimmung wird lebhaft vom Autor beschrieben. Schockierende Szenen bleiben dem Leser noch lange Zeit im Gedächtnis haften.


    Ich bleibe ein wenig wehmütig zurück, denn auch wenn es sich um einen Roman handelt, verbirgt sich dahinter eine wahre Geschichte.


    Es war mein erstes Buch von Alex Capus, aber ganz sicher nicht mein letztes. Ich vergebe 9 Punkte.

  • Ich habe nun endlich auch "Eine Frage der Zeit" gelesen (in der wunderschönen Club-Ausgabe- ich habe mich großzügig für den letzten Quartalskauf meiner Mutter geopfert :grin).
    Schon als Kind war ich begeistert vom Film-Klassiker "African Queen" mit Humphrey Bogart und Katherine Hepburn. Erst als Erwachsene habe ich dann erfahren, daß das deutsche Schiff, welches im Film versenkt wird, an ein tatsächlich existierendes Schiff angelehnt war und v.a. daß es immer noch fährt!
    Aber ich schweife ab...mag wohl an der Hitze liegen.


    Das Buch hat sich wirklich gelohnt. Ich mag die Sprache Capus´ und die ruhige, sachliche Art, mit der er erzählt. Er bringt zwar die emotionalen Konflikte seiner Personen gut rüber, behält aber dennoch soviel Distanz, daß sich auch die drastischeren Szenen ertragen lassen (auch wenn sie nicht desto weniger zum Nachdenken anregen).
    Seine handelnden Personen sind immer Menschen, mit Fehlern und Selbstzweifeln - dennoch behandelt er sie mit Respekt.
    Das Ende kommt für mich nicht zu plötzlich. Capus´erzählt ja nur einen kleinen Ausschnitt der Geschichte.


    Insgesamt bin ich froh, doch noch zugegriffen zu haben.

    Bilder

    • 080205.jpg

    Ich weiß nicht, was das sein mag, das ewige Leben.
    Aber dieses hier, das diesseitige, ist ein schlechter Scherz. (Voltaire)

  • Lange, viel zu lange, lag das Buch auf meinem Sub. Ich bin wirklich schwer begeistert: nicht nur, dass hier eine wahre und vor allem sehr interessante Geschichte aus der Kolonialzeit nacherzählt wird, auch der Stil von Alex Capus ist wirklich etwas Besonders. Dieser leicht ironischen Zungenschlag passt einfach hervorragend zum Irrsinn dieser ganzen Aktion. Ich konnte das Buch gar nicht mehr so recht aus der Hand legen.



    nun sind die anderen Bücher von Alex Capus auch auf meiner WL gelandet, ich bin gespannt, wie die so sind!

  • Nachdem es auf der WL war, hatte ich am 22.09.2011 Gelegenheit, eine Lesung des Autors zu besuchen. Es ging zwar um sein neues Werk "Leon und Louise", aber dieses habe ich mir natürlich zwecks Signatur und weil es ja schon soooo lange auf er WL war, gekauft.


    Um es gleich vorweg zu sagen, der Autor hat mir bei der Lesung derart gut gefallen, daß ich ihn auch beim Lesen des Buches förmlich vor mir hatte und das konnte nur positiv für ihn werden.


    Zum Inhalt wurde ja schon alles gesagt.


    Die Sprache unaufgeregt, aber sehr lebendig und die Landschaft sehr gut vorstellbar. Die Hintergründe sehr gut recherchiert und die Geschichte selbst durchaus spannend, manchmal brutall und dann aber auch zum Schmunzeln, einfach wunderbar erzählt.


    Von mir 10 Punkte

  • "Alle sind sie Gefangene der Zeit, in der sie leben, und jeder Einzelne hat seine eigene Methode, unter der unausweichlichen Macht der Umstände sein Leben in Anstand und Würde zu führen."


    Auf Befehl von Kaiser Wilhlems II wurde im Jahre 1913 in der norddeutschen Papenburger Werft ein Kanonenboot mit dem Namen "Götzen" gebaut. Trotz Taufe kam es nie zum Stapellauf, denn das Dampfschiff wurde umgehend wieder in seine Einzelteile zerlegt und in fünftausend Holzkisten verpackt und per Schiff nach Daressalam nach Ostafrika verfrachtet. Mittels Bahn zu guter letzt sogar durch Menschen getragen kamen die Einzelteile in Kigoma an und drei tüchtige Deutsche Werftarbeiter hatten nun die Aufgabe das Schiff mit Hilfe lokaler Arbeitskräfte am Ufer des Tanganikasees wieder zusammenzubauen. Anton Rüter, Rudolf Tellmann und Herman Wendt stehen vor der grössten Herausforderung ihres Lebens...


    „Das Boot kam nur langsam vorwärts, denn die Dampfrohre waren undicht, die Antriebswelle war verbogen und die Schraube schrundig. Aber das war egal, denn Eile hatte keiner, und die Reise hatte wohl einen Zweck, aber kein Ziel und kein Ende“

    Zitat von Seite 24 dieses Buches


    Der europäische Kolonialismus in Afrika ist aus unserer heutigen Sicht gewiss nicht immer zu verstehen. Wenn dann noch die nicht vollziehbaren Entscheidungen von mächtigen Kriegsherren beim Ausbruch des 1. Weltkrieges dazukommen entstehen seltsame Blüten der Zeitgeschichte. Aus Nachbarn werden von einem Tag auf den anderen Feinde die es zu bekämpfen gilt, und sei es auch in einem weit entfernten und eigentlich unbedeutenden Fleckchen Erde am Fusse des mächtigen Berges Kilimandscharo. Der ganze Irrwitz des Krieges wird in diesem recht kurzen Roman geschildert und dem Leser bleibt zwischendurch ab den grotesken Entscheidungen der Generäle in Deutschland und England nur das Kopfschütteln und erinnert an Don Quijotes sinnlosen Kampf gegen die Windmühlen.


    Die Sprache von Alex Capus ist klar und er erzählt ganz rational und sachlich diese authentische Geschichte. Mir war die Erzählweise aber ein bisschen zu unterkühlt und ich hätte mir ein bisschen mehr Pep, Schwung Dynamik oder wie man immer es auch nennen will gewünscht damit bei mir als Leser mehr Emotionen geweckt werden. Die Personen sind fein gezeichnet und für mich war der verschrobene Spicer Simson die interessanteste Figur im Roman.


    Alles in allem ein guter Roman mit geistreichen Kapitelüberschriften den ich mit 8 Eulenpunkte bewerte.