Einer meiner Lieblingsfilme aus den Sechzigern ist "Hausboot" mit Sophia Loren. Nein, nicht wegen der feurigen und üppig ausgestatteten Italienerin. Sondern wegen des Hausboots selbst. Ich fand das schon als Kind schön, wie sie da auf Deck sitzen und in die Sonne blinzeln, während Sophia Kinderlieder singt.
Als wir, meine Frau und ich, im Frühjahr überlegten, was wir im Sommerurlaub tun sollten, wobei schon früh feststand, daß uns die Termine zu einer sehr kurzen Auszeit zwingen würden, kam diese Idee irgendwann auf. "Hey, man kann doch führerscheinfrei Boote mieten, auf der Müritz oder so", sagte sie. Wir klickten ein wenig durchs Netz, und tatsächlich: Bis zu 15 Meter lange Hausboote darf man chartern und dann - nur mit der Charterbescheinigung - führerscheinfrei fahren, auf den Brandenburger und Mecklenburger Gewässern, zwischen Müritz und Oberhavel. Das wäre doch eine tolle Alternative zu Neckermannferien mit Landungen beklatschenden Pauschaltouristen, die morgens um vier Liegen am Pool reservieren, in Griechenland Schnitzel bestellen und sich am kalten Buffet anrempeln. Rasch fanden wir einige Anbieter, und einer gefiel uns besonders gut. Die Boote sahen aus wie kleine Frachtkähne, irgendwie niedlich und gemütlich. Okay, in der Hauptsaison wäre das nicht gerade billig. Aber wir hätten sowieso nur eine Woche. Also buchten wir.
Mit der Bestätigung kam ein "Bordbuch". Großer Gott. Wir würden Schleusen durchfahren müssen, wir würden ankern und anlegen müssen, und auch "auf See" gibt es eine Art Straßenverkehrsordnung. Aber, hey, das würden wir schon hinkriegen.
Im vergangenen Jahr haben wir wettermäßig mächtig in die Jauche gefaßt, vorsichtig gesagt. Während im Juli, zur WM, noch pausenlos über 30 Grad waren und die Sonne auf Ballack & Co. strahlte, als gäbe es keine Italiener, brach pünktlich zum Urlaubsbeginn ein Kältetief über Westeuropa herein. Und auch in diesem Jahr standen die Zeichen auf Sturm. Ständig regnete es, und kurz vor Urlaubsantritt wechselten die Prognosen im Minutenrhythmus. Aber als wir am Freitagmittag die Marina erreichten, auf der wir das Boot übernehmen würden, kam die Sonne raus. Und sie blieb draußen, bis zum letzten Tag.
Wir hatten Vorräte gekauft und natürlich viel zu viele Klamotten eingepackt, aber unsere "MS Wannsee", ein knapp zehn Meter langes und dreieinhalb Meter breites Hausboot, hatte genug Platz: Naßzelle, Klo, Küchenzeile, fünf Schlafplätze, ein langes Sonnendeck vorne, ein kurzes hinten, sogar Fahrradständer - und ein Schiebedach über dem Steuerstand. Es war schon aufregend, die Kahn zu beladen, aber es wurde noch viel aufregender. Dann nämlich wurden wir zur Einweisung gerufen. Man darf nur führerscheinfrei fahren, wenn man ein Boot chartert (man darf nicht etwa ein Boot von einem Kumpel leihen und damit herumschippern!), und man muß in die Schiffahrtsordnung eingewiesen werden. Eigentlich würde das die ganze Nacht dauern, sagte der Hafenmeister, aber nach einer Stunde war der Spuk vorbei. Vorfahrtsregeln, Betonnung, Ausfahrtbaken, Mindesthöhen, weiß der Geier. "Steht alles im Bordbuch", erklärte der Mann grinsend, und dann ging's auf zur Probefahrt. "Vorwärts kann man die Boote gut manövrieren", erklärte er und preßte den Gashebel nach vorne. "Versuchen Sie besser nicht, rückwärts zu fahren." Klar doch. Wir probten eine Wende, dann das Anlegen. "Vorne festmachen, Ruder nach backbord einschlagen, dann leicht Gas geben. Sehen Sie, wie es das Heck heranzieht?" Klar doch. Keinen Schimmer, was er gerade getan hatte, aber wir würden das früher oder später herausfinden, dachte ich. Es war früher.
Weil es zu spät war, um richtig loszufahren, übernachteten wir in der Marina, und am Morgen danach ging es los. Ab Fürstenberg in Richtung Templin. Sechs Schleusen, viel Natur. Sagte der Hafenmeister. Sechs Schleusen! Als Kind hatte ich immer Angst, wenn wir auf dem Dampfer durch die Schleuse Spandau fuhren, unter uns das dunkle, gluckernde Wasser, das den Kahn anhob, der kaum in die Schleusenkammer paßte. Und nun sollten wir das alles ganz alleine machen.
Und das machten wir auch. Wir überfuhren mit immerhin 12 km/h den "Stolpsee" und bogen in die Havel ein. Immerhin hatten wir die Ausfahrtbake entdeckt und die Betonnung korrekt durchfahren. Jetzt noch drei Kilometer bei 8 km/h durch ein wirklich beschauliches Stückchen des Flusses, der hier nur ein Flüßchen ist, und dann kam sie ins Sichtfeld: Die Schleuse Bredereiche. Vor Schleusen muß man anhalten - festmachen - und abwarten, bis das Signal grün wird. Dann fährt man langsam ein und legt auf der Seite an, die angezeigt wird oder die der Schleusenwärter anweist. Juhu. Wir waren nur zu zweit, was hieß, daß meine Frau vorne, wenn der Bug die Schleusenwand berührt, irgendeine Stange oder Krampe mit dem Seil erreichen muß, und dann zieht man das Heck an die gleiche Wand. Möglichst. Mir lief der Schweiß, aber, hey, plötzlich waren wir drin, hielten die Seile, der Motor war aus, und wir warteten auf die Talschleusung. Wichtig in Schleusen ist, daß man nicht festmacht. Man zieht die Leine nur einfach durch eine entsprechende Befestigung - schon eine Schlinge ist gefährlich. Zieht die sich nämlich fest, bleibt der Kahn an der Wand hängen. Der Hafenmeister hatte Horrorstorys erzählt, und damit auch erreicht, was geplant war: Wir waren vorsichtig. Minuten später verließen wir unsere erste Schleuse, war doch ganz lustig, oder, und drei Kilometer später kam die nächste in Sicht.
Insgesamt waren es fast vierzig. Zum Schluß freuten wir uns beinahe darauf, weil wir viel besser zurechtkamen, als die Freizeitkapitäne auf ihren riesigen Yachten mit Bugstrahlrudern und all diesem Quatsch.
Was soll ich sagen? Es war einer der schönsten Urlaube, die ich je gemacht habe. Grandioses Wetter, faszinierende und unbeschreibliche schöne Natur, pittoreske Kanäle und ruhige Seen, auf denen man für die Nacht ankert und in der Morgensonne an Deck frühstückt. Wir sind nach Templin gefahren, dann nach Rheinsberg, Neustrelitz und zurück nach Fürstenberg. Wir haben nur eine weitere Nacht in einem Hafen verbracht, um die Abwassertanks absaugen und die Trinkwassertanks befüllen zu lassen. Außer an Schleusen, an denen man zwangsläufig mit den anderen Wassersportlern, ob auf Yachten, in Hausbooten oder Paddelbooten, in Kontakt kommt, waren wir für uns und haben die Ruhe und die Natur genossen. Wir haben Reiher, Adler, Biber, Schlangen, Frösche und jede Menge Enten gesehen. Wir haben gebadet und uns gesonnt, vor allem aber haben wir geschaut. Großer Gott, diese Gegend ist zauberhaft. Und zum Schluß hatten wir keine Angst mehr vor Schleusen, auch nicht vor den Automatikdingern, die man selbst bedienen muß. Am Abgabetag waren wir traurig, aber nur ein bißchen, denn wie auf Bestellung schlug das Wetter um.
Ich gerate nicht oft ins Schwärmen, wenn es um Ferien geht, aber dieses Mal. Hey.
Bild: Tom auf dem Sonnendeck der "MS Wannsee", wartend auf die Schleuseneinfahrt.