Der dritte Schimpanse. Evolution und Zukunft des Menschen - Jared Diamond

  • Ich spare mir an dieser Stelle die überaus umfangreiche Inhaltsangabe aus der Amazon.de-Redaktion, die wirklich lesenswert ist und der es auch mehr oder weniger gut gelingt diesem voluminösen Werk gerecht zu werden.


    Anfangs habe ich mich sehr schwer getan einen Einstieg zu finden. Sehr lang und breit doziert Diamond da über die Unterschiede der Primatenarten, den Mensch eingeschlossen, und wie eine mögliche Menschwerdung stattgefunden haben könnte. Nach dem zähen Beginn steigert sich aber die Rasanz und auch Brisanz der einzelnen Kapitel. Das Buch wird Seite um Seite intensiver und macht sehr nachdenklich.
    Der Autor macht beispielsweise mehr als glaubhaft deutlich, dass es ein goldenes Zeitalter, in dem der Mensch im Einklang mit der Natur gestanden hat, wohl nie gegeben hat. Er zeigt auf, dass mit der Ausbreitung der Menschen über den Globus in den bisher unbesiedelten Teilen der Welt stets ein Massensterben von Tierarten (z. B. Großsäugern im heutigen Amerika) und Pflanzen (durch den Beginn systematischer Landwirtschaft) einherging und natürlich immer noch einhergeht. An verschiedenen Beispielen wie Polynesien und der Ausrottung der Moas (großen, flugunfähigen Vögeln) durch die polynesische Bevölkerung selbst - nicht etwa durch spätere, weiße Kolonisten - stellt er dar, dass eben auch angeblich naturverbundene Völker, wie verschiedene Stämme nordamerikanischer Indianer sich durchaus ihrer Existenzgrundlage selbst beraubten, in dem exzessiv Wälder gerodet oder Großtiere (wie das amerikanische Riesenfaultier oder auch Riesenkamele) ausgerottet wurden, und das tausende von Jahren vor der Inbesitznahme durch Europäer.


    Doch auch das ist nur ein kleiner Ausschnitt aus Diamonds vielschichtigem Werk. Man merkt ihm den Evolutionsbiologen an, wenn er über die erstaunliche Penisgröße des Menschen und seine mögliche Ursache berichtet. Oder warum es anscheinend nicht von Anfang an ein Klimakterium bei der Frau gegeben hat. Kapitel um Kapitel präsentiert der Autor einen Aha-Effekt nach dem anderen. Das Buch ist tatsächlich eine Zusammenfassung bisheriger menschlicher Evolution. Diamond zeigt, dass viele Entwicklungen fehlgeleitet und nur auf den ersten Blick vorteilhaft für die Gattung Mensch ist/war. Am Beispiel von Landwirtschaft macht er klar, wie komplexe ökologische Abläufe durch das Eingreifen von Menschenhand letztlich zu Mangelerscheinungen und auch zum selbstgemachten Genozid geführt haben und noch führen werden.


    Diamond beschließt sein Werk aber nicht in Weltuntergangsstimmung. Zwar belegt er anschaulich, dass die offizielle Zahl der täglich aussterbenden Tier- und Pflanzenarten aller Wahrscheinlichkeit viel zu niedrig ist und nicht einmal ansatzweise die Wirklichkeit wiedergibt, aber er lässt auch Platz für Hoffnung. Für ein Umdenken ist es noch nicht zu spät, auch wenn erst viele Generationen nach uns ein spürbarer Effekt nachzuweisen wäre. Der Mensch kann aus vergangenen Fehlern lernen und tut das bereits.


    Ein empfehlenswertes Buch, mitnichten leichte, populärwissenschaftliche Kost, auch wenn es zu keiner Zeit den Leser überfordert. Sympathisch ist, dass der Autor keines seiner Statements als in Stein gemeißelt verkauft. Er macht dem Leser Schwächen und Stärken bekannter und unbekannter Thesen zur Evolutionsgeschichte des Menschen und seinen Einfluß auf die Entwicklung von Tier- und Pflanzenreich deutlich. Diamond lässt Raum für eigene Gedanken, und die wird es bei der Lektüre des Buches zuhauf geben. Es macht nachdenklich, es macht dem Leser (vielleicht wieder) bewusst, welche herausragende Stellung und damit Verantwortung der Mensch für sich und seine Umwelt innehat. Lesenswert!


    Gruss,


    Doc

  • Huhu,
    danke Doc für die Rezension.
    Klingt interessant.Werde mir das Buch mal notieren.
    Bin imoment noch am gucken welches Sachbuch ich als nächstes lese,dieses hier wäre schon mal eine Möglichkeit.


    Mfg sYs

  • Danke für die Rezi, Doc. Hört sich gut an. Werde mir das Buch zulegen und als Begleitlektüre für meine Evolutionsbio Vorlesung bereit legen. :-]

    LG, Uhu :katze


    Bücher bergen mehr Schätze als jede Piratenbeute auf einer Schatzinsel... und das Beste daran ist, daß man diese Reichtümer an jedem Tag im Leben aufs neue genießen kann. (Disney, Walt)

  • Ja, der Rezension ist wohl nicht mehr viel hinzuzufügen. Ich habe das Buch gelesen und geliebt! Es wirft ein interessantes neues Licht auf manche Aspekte der Menschwerdung und hat für mich teils sogar Fragen beantwortet die ich mir nie gestellt habe.
    Ich empfand den Anfang allerdings nicht als zu schleppend, sondern habe mich direkt von der ersten Seite an direkt reingestürzt.


    lieben gruß
    aj

  • Oh ja, das Buch ist klasse.
    Ich habe es auch nicht als zu schleppend empfunden, an keiner stelle. Aber ich bin auch anthroplogisch sehr interessiert, könnte daran liegen.
    Faszinierend ist wirklich der etwas unübliche Blick auf die Entstehungsgeschichte des Menschen. Er greift auch Themen auf, die in anderen Büchern der Humanbiologie zu kurz kommen... zB erörtert er die Frage, warum der Mensch wohl einen so großen Penis besitzt oder wie bzw warum der versteckte Eisprung zustande gekommen sein mag.
    Jared Diamond ist eine Ikone in der Evolutionsbiologie und wird gerne als Referenz auch von anderen großen Biologen genutzt. Und das zu recht.
    Wie Doc fand ich es auch sehr erfrischend, dass er in der Tat keine Meinung aufzwängen will, sondern Theorien darstellt und offen (und mit Betonung) seine Einschätzung gibt ohne den Leser einzuengen. Das findet man leider nicht so oft, selbst (oder gerade) unter guten Wissenschaftlern.


    Ich habe mir auch "Kollaps" von ihm gekauft, aber leider nicht nicht gelesen


    lieben gruß
    aj


    edit: ich habe festgestellt dass ich mich schon mal mit dem Nick Bücherfresser hier angemeldet hatte *ups* ...das da oben bin also auch ich, sorry

  • Zitat

    Original von Delphin
    Danke für die Rezi, Doc. Ich schleiche schon seit Monaten um sein anderes Buch "Guns, Germs and Steel" herum. Ich glaube, es ist das hier auf Deutsch:
    .


    Habe ich ebenfalls gelesen. Das kommt aber bei weitem nicht an "Der dritte Schimpanse" heran. Vieles davon beinhaltet der "Schimpanse" bereits, und mMn sogar besser, da einfach aufs Wesentliche beschränkt.


    Gruss,


    Doc