Abrechnung eines Schriftstellers
“Wandlungen einer Ehe” ist der zweite Roman von Márai den zu lesen ich die Ehre hatte.
Auf den ersten Blick die Geschichte zweier Ehen aus drei Perspektiven :Die der Ehefrau, sie erzählt als erste das Geschehene aus ihrer Sicht; die Perspektive des Mannes folgt darauf und schließlich die des Dienstmädchen, beziehungsweise der zweiten Ehefrau. Ich sagte auf den ersten Blick, denn in diesem Buch steckt so viel mehr als nur eine typische ménage à trois.
Der Roman, so kann man einer editorischen Notiz am Anfang entnehmen, besteht aus drei eigenständigen Teilen, die sogar zu verschiedenen Zeiten veröffentlicht wurden, später wurden die Teile erst zur endgültigen Form zusammengefügt.
Der Kampf einer Kleinbürgerlichen
Im ersten Teil schildert die Ehefrau einer gesichtslosen Bekannten ihre Sicht vom Leben und ihrer gescheiterte Ehe.
Sie stammt aus kleinbürgerlichen Verhältnissen, lebt mit den Eltern in einer kleinen Mietwohnung, bis sie in die betuchte großbürgerliche Industriellenfamilie ihres Mannes einheiratet. Schnell lernt die schöne Frau sich in dieser Welt zurecht zu finden und doch wird es immer den Unterschied machen, dass sie nicht in die Welt der Reichen hineingeboren wurde wie ihr Mann. Dieser ist zuvorkommend zu seiner Frau, auch liebt er sie offenkundig, und doch spürt sie, dass er sie nicht so bedingungs- und vorbehaltlos liebt, lieben kann. Sie beginnt eine Suche nach der Ursache und einen Kampf um ihre Ehe, parallel zu ihrem unterschwelligem Kampf um die Akzeptanz und den Respekt einer anderen Welt, doch es ist keine simple Affäre auf die sie stößt.
Reichtum und Schuld
Der zweite Teil, er wird aus der Perspektive des Ehemanns geschildert, war mir persönlich der Unangenehmste. Gedanken, Grübeleien, teils auch Gejammer eines Mannes, der in seiner Klasse tief verwurzelt ist, für den der Weg von Geburt an in Wohlstand und großbürgerlichem Leben vorgezeichnet ist. Er erfüllt seine Pflicht, hält sich an die gesellschaftlichen Konventionen, doch gleichzeitig verabscheut er dieses gleichförmige, langweilige Leben, diesen selbstverständlichen Reichtum, die innere Einsamkeit, die besitz von ihm ergreift.
ZitatIch habe mir das Leben, das ich aus der Nähe betrachten konnte, sehr genau angeschaut… … Auch ich hatte gedacht der Fehler liegt bei mir. Ich erklärte es mir mit Gier, mir Egoismus, mit Genußsucht, mit den gesellschaftlichen Schranken, mit dem Lauf der Welt… was? Na eben, den Bankrott. Die Einsamkeit, in die früher oder später jedes Leben hineinfällt wie der nächtliche Wanderer in die Grube. … Wir sind Männer, wir müssen allein leben und über alles genau abrechnen, wir müssen schweigen und die Einsamkeit, unseren Charakter und das Gesetz des Lebens ertragen.
Seite 156
Die Richtige für ihn scheint Judit, das Dienstmädchen, zu sein, anzunehmen gerade weil sie aus einer bitterarmen Familie stammt, er macht ihr einen Antrag. Von ihr erhofft er die Linderung der Einsamkeit, aber auch hier erweist er sich als zu feige, um mit den Konventionen zu brechen. Judith, die dies spürt, weist ihn zurück. Er heiratet schließlich die oben erwähnte bürgerliche Ehefrau, bekommt mit ihr ein Kind, welches früh stirbt. Kurz darauf stirbt auch die Ehe.
Die dritte Klasse
Im dritten Teil kommt dann das Dienstmädchen Judit zu Wort. Hier findet man durch Judits Mund die ehrlichsten, gesundesten Worte des Romans. Dieser Teil des Buches ist von Márai später als die ersten beiden fertiggestellt worden. Ich finde dies ist deutlich zu spüren, es ist der gehaltvollste Teil. Hier finden sich die echten Probleme: Krieg, Verlust, Hunger, Angst, Tod. Natürlich auch ihre Schilderungen der vorgenannten Ereignisse, die Sicht des Proletariats und doch die präzisesten Beobachtungen; aber dies fast nur am Rande. Judit rechnet mit dem Bürgertum an sich ab.
Noch wichtiger, oder bewegender ist im dritten Teil, die nähere Betrachtung der Nebenfigur des Schriftstellers Lázár und ihrer tragischen Wendung. Denn in dieser Nebenfigur hat Márai selbst offenbart. Man versteht Marai, seine Gedanken und seine Tragik sehr gut, wenn man Lázárs Lebensgeschichte betrachtet.
Bitter hier seine Abrechnung mit Faschisten und Kommunisten in Ungarn, die ja seine Werke nicht nur verboten, sondern auch vernichtend beurteilten, was ihn schrecklich verletzte und ihn veranlasste sich immer mehr aus der Welt zurückzuziehen.
ZitatVerstehen Sie nicht? Schönheit wird eine Beleidigung sein. Begabung eine Provokation. Charakter ein Attentat. Denn jetzt kommen sie, aus allen Richtungen kriechen sie hervor, Hunderttausende und noch mehr. Von überall her. Die Grobschlächtigen. Die Unbegabten. Die Charakterlumpen. Und sie werden das Schöne mit Vitriol übergießen. Und Und die Begabung mit Pech und Schwefel und übler Nachrede verfolgen….
Seite 446
Zuweilen das Schicksal der Begabung
Es war also letztlich auch das Schicksal des begnadeten Erzählers Márai, aus der Heimat verstoßen und herabgewürdigt zu werden, das ihn so verbittert hat. Man kann es beim Lesen sehr gut nachvollziehen, denn Márai versteht es wunderbar Gefühle zu vermitteln. Darüber hinaus hat er mit “Wandlungen einer Ehe” ein bildhaftes und einprägsames Portrait der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts gezeichnet.
Negativ wären für mich einzig die teilweise doch sehr langen Exkurse über dieses und jenes zu erwähnen, die schon einige Geduld zuweilen erfordern. Doch vermag es das Buch locker solche Längen mit seiner famosen Erzählung auszugleichen.
“Wandlungen einer Ehe” hat, wie ich finde, mit “Die Glut” wenig gemein und sollte daher auch nicht direkt verglichen werden. “Die Glut” ist wesentlich lockerer und runder, auch nicht ganz so kritisch.