Wie sie sich gefunden hatten? Durch Zufall, wie man sich so findet.. Wie sie hießen? Was geht Sie das an? Wo sie herkamen? Vom nächstliegenden Ort. Wo ihr Weg hinführte? Weiß man je, wohin ein Weg einen führt? Was sie sagten? Der Herr hatte nichts zu sagen; Jacques aber sagte, sein Hauptmann hätte gesagt, alles Gute, alles Böse, was uns hier unten begegnet, stehe da oben geschrieben.
Der Titel zeigt bereits die geltende Hierarchie zwischen den beiden Figuren. Jacques, Diener seines Herrn traut sich, verfügt über seinen Herrn durch seine Überlegenheit, Schlagfertigkeit und der Entschuldigung, dass er sich richten müsse nach dem, was „dort oben“ geschrieben stehe. Sein Herr steht dem ziemlich machtlos gegenüber, und ehrlich gesagt – es stört ihn auch nicht sonderlich. Er erfreut sich an der unterhaltsamen Erzählkunst seines Dieners. „Jacques, und deine Liebesgeschichte?“ fragt er, schaut auf seine Uhr, nimmt eine Prise Schnupftabak und lauscht. Kaum begonnen, unterbricht er diesen durch einen Kommentar oder eine Frage, woraufhin sich philosophische Gespräche entwickeln. Andere Geschichten werden eingeschoben, andere abgebrochen oder sie werden unterwegs durch Gegebenheiten aufgehalten. Nicht selten nutzt der Autor die Gelegenheit, das Gespräch zu unterbrechen um einige Worte an den Leser zu richten um diesem verständlich zu machen, dass er als Autor die Macht besitze, seine beiden Figuren in eine Katastrophe zu verwickeln, er habe die Fähigkeit, seinen Figuren dem Erdboden gleich zu machen. Allerdings fühlt er sich geradezu verpflichtet, bei der Wahrheit zu bleiben, da er nicht die Absicht habe einen Roman zu schreiben, jene von ihm verhassten fiktiven Ergüsse.
Der „freie Wille“ spielt die Hauptrolle in diesem Schauspiel. Jacques ist seinem Meister durch diese Eigenschaft überlegen, treibt wozu ihn die Lust packt, findet Gesprächspartner und Sympathien wo er geht und steht. Sein Herr ist ohne Jacques verloren, sitzt da mit seiner Tabakdose in der Hand und starrt Löcher in die Luft – trotz materiellen Reichtum und den daraus resultierenden Möglichkeiten eines aufregenden Lebensstils verschenkt er großzügig seinen „freien Willen“. Ja, sogar der Autor nutzt diese Option nicht, weil er sich ja an der Wahrheit gebunden fühlt.
Die Aussage, alles geschehe, weil es dort geschrieben steht, ist mir zu einfach. Jacques, der diese Floskel gerne übernimmt, wenn ihm Gefahr droht oder er seinem Herrn nicht gehorcht, ist beinah als „Leichtsinn“ zu betrachten. „Wenn ich vom Dach stürze, so, weil es dort geschrieben steht. Ich hätte dem gar nicht widersetzen können.“ Solche oder ähnliche Sätze findet man desöfteren.
Nun, worum handeln diese Geschichten, die den Mund des Dieners verlassen? Es wären zu viele, um alle Gedanken zu wiederholen. Manche erzählen von Rache, manche von Lust und Sex, von Religion, … Der Autor lässt uns auf humorvolle Weise daran teilhaben, jedoch nicht ohne einen eigenen Kommentar abzuliefern. Er belehrt den Leser, erzieht ihn regelrecht um einige Vorurteile abzubauen, Hoffnungslosigkeit zu überwinden, der Religion zu misstrauen, … Er benutzt das Wort „f***en“ und nennt den Leser daraufhin „Schafskopf“, weil er bereits verschämt zur Seite schaut und sich schon in Gedanken auf dem Weg zum Beichtstuhl macht. „Die erste Sünde ist die am Taufstein“ und „ich weiß nicht, ob es ein Leben nach dem Tod gibt, weil ich mir darüber keine Gedanken mache“ sind recht fortschrittliche Aussagen. Die besten und unterhaltsamsten Anekdoten (immerhin sind sie die reine Wahrheit) sind die schlüpfrigen und anzüglichen. Köstliche Unterhaltung und instruktive Kritik perfekt vereint.
Und was ist aus Jacques Liebesgeschichte geworden? Tja, er wird sie bestimmt zur Vollendung bringen, wenn es denn „dort oben“ geschrieben steht.
Gruß,
chip