noch 5 Jahre
Wie ein rostiges Messer zerfetzt das grelle Schrillen die ganze Situation. Plötzlich steht er nicht mehr auf dem Berg, die Arme ausgestreckt. Dafür fühlt er sich so als wäre er diesen mehrmals hinuntergestürzt.
Die Augen krampfhaft zusammengepresst tastet er nach der SNOOZE-Taste. Auf Anhieb getroffen.
Vielleicht kann er das Minimum an Realität noch 5 Minuten verjagen, es ist immerhin noch in der Unterzahl und es wäre nur Gerecht... Der Alarm geht wieder los, die 5 Minuten scheinen nie existiert zu haben.
Voller Gram quält er sich in eine mehr oder weniger aufrechte Position. Kurzes Verharren um sich selbst vorzuspielen munter zu werden. Fehlgeschlagen.
Ein Blick ins Bett, wie sie dort liegt... So ruhig und fern, so herrlich still und nur anwesend, ganz ohne Begleiterscheinungen... Badezimmer, ein Blick in den Spiegel, das übliche Ritual : Rasieren, Gesicht waschen, Duschen. Er hat keine Lust zu duschen, ihm ist egal was sie von ihm denken, seine persönliche Revolution. Mit ungebändigtem Schweißgeruch gegen die Kollegenarmee.
Und wenn ihn jemand darauf ansprechen würde, würde er ihn einfach nur anstarren. So lange bis die Situation seltsam werden würde.
Er verwirft den Gedanken und geht duschen.
Kaffeemaschine an, Zeitung gekauft, nichts gegessen und ab ins Auto.
Die Autobahn, Sammelsurium der Identitäten.
Wenn er jemals vorhätte ein Drehbuch zu schreiben, so wäre die Autobahn wohl in mindestens einem Fall der Knotenpunkt, in dem die unterschiedlichen Handlungsstränge zusammenfließen würden.
Doch er wird nie eins schreiben, das weiß er.
Er wird allgemein nie wieder irgendwas anderes machen als das was er seit 10 Jahren macht.
Aufstehen, Arbeit, Frau, Einkaufen, Fernsehen.
Der einzige Lichtblick scheint 5 Jahre entfernt, wenn alle Pläne aufgehen wird er dann einen Urlaub machen, der sein Leben lebenswert machen wird. Oh ja, dieser Urlaub wird ihm die 15 Jahre pures Lebens einfach wiedergeben, komprimiert in 14 Tagen.
Im Laden angekommen. Da steht er wieder, mit seinem stupiden Guten-Morgen-Gesicht. Wie er ihn hasst,
Herrn Schmidt, selbst der Name war spießig und allerweltsmässig. Juniorchef weil er Papas Sohn ist, Abschluss in Arschkriechen mit Auszeichnung bestanden.
Und wenn ich einen Computer verkaufe heimst er sich manchmal die Prozente ein. Wenn ich ihn drauf anspreche zerbricht wahrscheinlich unser Sonnensystem.
Verpickelte Teenager mit Manowar-T-shirts fragen ob das tausenste Starwarsspiel nun endlich draußen ist.
So läuft der ganze Tag, gespickt mit verärgerten Umtauschkunden, verwirrten Erklärbedarfrentnern und ganz normalen Tintenpatronenkaufalltagsfressen.
Mittagspause, die Füße brennen. Im Gemeinschaftsraum erzählt Herr Schmidt der neuen Praktikantin einen Witz und sie scheint ihn WIRKLICH witzig zu finden. Zombies. Er wird mit ihr schlafen, er hat bis jetzt mit jeder Praktikantin geschlafen, er selbst liest sich die Bewerbungsbögen durch und trifft seine Wahl.
Wie eine Speisekarte, Hauptsache drall.
Hass.
Pause vorbei. Die erste Hälfte wiederholt sich so gottverdammt exakt das man meinen könnte in einer Zeitschleife zu stecken. Wäre Zeit eine Fläche wäre diese Hälfte kongruent.
Der Weg zum Auto fühlt sich gut an, man könnte es als Highlight des Tages sehen. Traurig.
Der Schlüssel im Zündschloss. Das Anspringen des Motors verhindert das sein Leben wie eine schlechte Komödie wirkt.
Zuhause angekommen. Die Frau begrüßen die man nicht liebt, Dinge einkaufen die man nicht braucht und sich Serien ansehen die einen nicht interessieren.
Vielleicht in 5 Jahren, ja der Urlaub so lange muss ich noch durchhalten, dann wird alles besser.
Ein Fernsehfilm, die letzten Bilder bleiben diffus im Kopf hängen. Nebel. Zeit vergeht.
Wie ein Eisbrecher prischt sich das Surren des Weckers durch das gefrorene Wasser seiner Träume...
************