Das Fremdenhaus, Reginald Hill, Originaltitel "The Stranger House", Übersetz. von Dr. Dietmar Schmidt, Ehrenwirth Verlag, 2007, ISBN 978-3-431-03704-3, 19,90 €
Zum Autor: lt. Klappentext
Reginald Hill wurde in Cumbria geboren und hat lange in Yorkshire gelebt, dem Schauplatz seiner herausragenden Kriminalromane um Dalziel und Pascoe, für die er mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet wurde, darunter mit dem Cartier Diamond Dagger der Crime Writers' Association. Die Romane um Dalziel und Pascoe sind von der BBC erfolgreich fürs Fernsehen verfilmt worden und haben auch in Deutschalnd zahlreiche Fans gefunden.
Meine Meinung:
Ein schöner Urlaub beginnt bei mir immer mit einem Krimi und dieses Jahr habe ich mit „Das Fremdenhaus“ von Reginald Hill, im Original unter dem Titel „The Stranger House“ erschienen, einen wirklichen guten Griff mit einem ganz exquisiten Krimi getan. Reginald Hill ist bekannt für seine Kriminalromane um Dalziel und Pascoe, für die er mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet wurde. „Das Fremdenhaus“ gehört nicht zu einer seiner Serien sondern steht für sich alleine.
Reginald Hills Roman beginnt mit einem Vorwort des Autors, in dem er darauf hinweist, dass das Tal von Skaddale und das Dorf Illthwaite ganz seiner Fantasie entsprungen sind und keiner seiner Bekannten den Figuren Vorbild gestanden habe. Das mutet zunächst ein wenig eigenartig an, die Notwendigkeit dieser Abgrenzung wird aber schnell beim Lesen der ersten Seiten des Romans klar.
Sam Flood, eine junge australische Mathematikerin, reist in das kleine englische Dorf Illthwaite, um herauszufinden, warum ihre Großmutter vierzig Jahre zuvor aus England vertrieben wurde. Im Fremdenhaus des Dorfes ist außer ihr noch Miguel Madero zu Gast, der ebenso wie sie auf den Spuren eines Vorfahren ist. Dieser wurde zuletzt gesehen, als er an Bord eines Schiffes ging, das zur Spanischen Armada gehörte. Was aus ihm wurde und weshalb ihm die Inquisition auf den Fersen war, will sein Nachfahre ergründen. Zwischen den beiden Gästen des Fremdenhauses, Sam und Miguel, herrscht von Beginn an eine intensive gegenseitige Abneigung, dennoch lässt es sich nicht vermeiden, dass sich im Laufe ihrer Untersuchungen die Wege immer wieder kreuzen, zumal die Geschichte ihrer Vorfahren mit den gleichen Bewohnern des Dorfes verknüpft ist. Es zeigt sich, dass das kleine beschauliche Dorf und dessen verschworene Gemeinschaft Geheimnisse birgt, die aus unterschiedlichsten Motiven verdeckt werden, und das, obwohl in diesem Dorf niemand geheim agieren kann.
Zu Beginn des Romans scheint es zunächst, als ob Illthwaite das typische idyllische mit trockenem Humor geschilderte verschlafene Nest mit kauzigen Einwohnern ist, wie man dies aus anderen Kriminalromanen, dem englischen „Landhaus“-Krimi, kennt, das durch ein wie aus heiterem Himmel geschehendes Verbrechen aufgeschreckt werden wird. Reginald Hill enthüllt uns aber eine Ortschaft, die alles andere als idyllisch ist und deren Einwohner in der Vergangenheit Unrecht getan haben, um ihr abgeschiedenes Dorf und die Dorfgemeinschaft in ihren archaischen Strukturen zu schützen, und die auch in der Gegenwart bereits sind, zu illegalen Handlungen zu greifen, um ihre Wahrheit weiter leben zu lassen.
Die australische Mathermatikerin Sam Flood und der spanische Historiker und Theologe Miguel Madero sind Antagonisten, die reichlich überzeichnet sind. Eine Überzeichnung, die aber zur symbolhaften Ausgestaltung der Charaktere führt und interessante Auseinandersetzungen und Diskussionen ermöglicht gespickt mit Mathematik, theologischen Ansätzen bis hin zu Elementen nordischer Mythologie. Die beiden Charaktere sind lebendig, leidenschaftlich, menschlich, komisch, seltsam und vieles mehr, so dass man gerne mit ihnen die lange Zeit erlebt, die nötig ist, um die Geheimnisse der Vergangenheit und Gegenwart und die Beziehungen der Dorfbewohner untereinander ans Tageslicht zu bringen.
Über die beiden in unterschiedlichen Zeiten angesiedelte Geschichten der Vorfahren von Sam und Miguel enthüllt uns Reginald Hill Teile der englischen Geschichte, die Geschichte von Miguels Vorfahre ist mit der reformatorischen Inquisition zur Zeit Heinrichs VIII. verknüpft, die Geschichte von Sams Großmutter mit der Verschickung von Tausenden Kindern in alle möglichen Teile des Commonwealth Anfang der sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts. Anhand der Geschichte der beiden Hauptfiguren wirft der Autor die Frage auf, wann Geschichte wirklich abgeschlossen ist und zur Vergangenheit wird und wann sie für das heutige Leben immer noch Konsequenzen hat, sowie die Frage, wann ein Geschehen der Vergangenheit verjährt.
Die Vorgänge in Illthwaite erzählt uns Reginald Hill langsam, intelligent, genüsslich mit viel Ironie und Sarkasmus. Stilmitteln des Krimi-Genres setzt er spielerisch ein und führt seine Leser meisterhaft bis zum Ende. Sprache und Handlung sind voller Kontraste: das Buch ist voller Geschichte und voller Gegenwart, es ist intelligent, belehrend, aber auch schlicht und einfach, es ist dunkel und bedrückend, es ist aber auch humorvoll und komisch. Ebenso wie Hill die Handlung und Geschichte langsam aufbaut, entwickelt sich auch sein Spannungsbogen, der erst im letzten Drittel eine gewaltige Steigerung erfährt.
Reginald Hill ist mit seinem Roman „Das Fremdenhaus“ ein Kriminalroman der Meisterklasse gelungen, der mit einer klug konstruierten Geschichte, eckigen und kantigen, aber gleichzeitig normalen Charakteren und zwei extrem unterschiedlichen Hauptfiguren und einer wunderbar ironischen Sprache überzeugt. Sicherlich kein Krimi für jedermann, sondern eine Empfehlung für Freunde sich langsam entwickelnder, intelligent aufgebauter, ungewöhnlicher Geschichten, durchaus auch für geschichtsinteressierte Leser. Für mich steht auf jeden Fall fest, dass dies nicht mein letzter Krimi von Reginald Hill war.