Philip K. Dick: Der dunkle Schirm

  • "Der dunkle Schirm" ist ein Roman über Drogenmißbrauch. Dick hat
    ihn von 1972 bis 1975 verfasst, nachdem er selbst eine schwere Krise,
    einen Selbstmordversuch und einen Aufenthalt in einem
    Rehabilitationszentrum für Drogenkranke überstanden hatte. Der Roman
    steht eindeutig in der Tradition der 68er. Er verarbeitet die dunkle
    Seite dieser Zeit, die Desillusionierung, die Zerstörung von Hoffnung
    und Idealen im Drogensumpf.


    Einmal mehr stellt Dick unter Beweis, dass er keine
    Science-Fiction-Autor im eigentlichen Sinne ist: Er schreibt über die
    Gegenwart, seine Zeit, sein Leben und nutzt die Stilmittel der Science
    Fiction zu Entfremdung und Überzeichnungen. Inzwischen ist das Buch
    längst als das erkannt worden, was es tatsächlich ist, nämlich ein
    gesellschaftskritischer Gegenwartsroman.


    Worum geht es? Bob Arctor arbeitet als Undercover-Agent im
    Drogenmilieu. Längst ist er selbst abhängig und verliert mehr und mehr
    den Bezug zu seiner Identität. Bald hält er sich in seiner
    Undercover-Identität und in seine Ermittlerrolle für zwei verschiedene
    Personen. Er beobachtet sich selbst, ja wird sogar dazu
    beauftragt. Die Grenzen zwischen dem Drogenmilieu und dem Staatsapparat,
    der den Drogenhandel bekämpfen soll, sind aufgehoben. Die
    Ermittlungsbehören mit ihren verdeckten Ermittlerin sind längst selbst
    Teil der Drogenszene geworden. Die Ermittler dealen und konsumieren
    genau wie diejenigen, die sie hinter Gitter bringen sollen. Jeder
    Dealer könnte genau so gut ein verdeckter Ermittler sein.


    Den größten Raum nehmen Schilderungen ein, in denen auf komische Weise
    das absurde Verhalten der Junkies beschrieben wird, die zu keinem
    klaren Gedanken mehr fähig sind. Es gibt absurde Unterhaltungen,
    irrsinnige Anekdoten traurigen Zerfall. Schon die ersten Seiten geben
    den Ton an. Auf ihnen wird geschildert, wie Jerry Fabin eine
    Wahnvorstellung bekommt. Er glaubt sich von Wanzen
    befallen. Waschzwang, Insektenvertilgungsmittel, eingebildete
    Schmerzen, verrückte Suchaktionen, das ganze Programm. Jerry Fabin ist
    einer, der ganz am Ende steht. Sein Gehirn hat sich "zersetzt",
    er wird bald sterben oder in einer Drogenklinik vor sich hin
    vegetieren. So wird dem Leser schon auf ganz am Anfang vor Augen
    geführt, wohin der Weg des Protagonisten Bob Arctor unaufhaltsam
    führt. Auch er landet in einer Drogenklinik. Am Ende erfährt man, dass
    er immer noch, inzwischen ohne sein Wissen, als Undercover-Agent
    eingesetzt wird. Er soll die wahren Ziele der Hilfsorganisation
    "Neuer Pfad herausbekommen." Auf den letzten Seiten des Buchs
    sieht Arctor die Wahrheit und wir sehen uns endgültig einer Welt
    gegenüber, in der es nichts anderes mehr gibt, als den Anbau, den
    Verkauf und den Konsum von Drogen. Eine Welt, die sich selbst ad
    absurdum geführt hat.


    Man kann den Roman guten Gewissens als einen Anti-Drogenroman
    bezeichnen, geschrieben von einem, der die Szene von innen kennt. Dick
    streitet das jedoch ab. Das Buch enthält ein sehr interessantes
    Nachbemerkung des Autors, in dem er auf die autobiografischen Bezüge des Romans
    hinweist und fast so etwas wie eine Deutung gibt. Auch das Nachwort
    von Christian Gasser ist lesenswert.


    Der Roman bleibt erträglich durch seinen absurden Humor. Etwas schwer
    erträglich scheint mir die Übersetzung zu sein. Sie wirkt manchmal
    hölzern. Wer kann, sollte Dick vielleicht lieber im Original lesen.

  • Eine sehr zutreffende und gelungene Rezension. :anbet


    Durch diese Rezension und der werkgetreuen Verfilmumg durch Richard Linklater mit Keanu Reeves, Wynona Ryder, Robert Downey Jr und Woody Harrelson, sind mir noch einmal die vielen düsteren Szenen des Romans, der mit grimmigen, ironischen Humor durchzogenen Dialogen ausgestattet ist, in Erinnerung gerufen worden.


    Neben einen (Anti-)Drogenroman sehe ich ihn auch als gesellschaftliche Kritik an der Nixonära.
    Neben vielem anderen war Philip K. Dick auch ein aktiver Gegner der Nixon-Politik.