'Jane Eyre' - 1. Band, Kapitel 01 - 08

  • Ich hänge auch etwas hinterher, hab aber nun den ersten Abschnitt geschafft.
    Zuerst muss ich sagen, dass der Schreibstil von Charlotte Bronte mir sofort gefiel. Unaufdringlich aber einprägsam, das einsame Kind mit seinem Buch, dass sich auf der Fensterbank versteckt und mit dem Vorhang vor dem Rest der Welt abschirmt war ein ganz starkes Bild. Es liest sich ganz wunderbar flüssig.


    Über die himmelschreiende Ungerechtigkeit im Hause Reed kann man nur den Kopf schütteln. Kein Wunder, dass Jane am Anfang noch alles glaubt was man ihr vorwirft. Aber dann regt sich schließlich der Kampfeswille in ihr. Sie sagt Mrs. Reed direkt ins Gesicht was sie von ihr hält und diese scheint seltsamerweise sehr getroffen. Nur ist die Frage... trifft es sie, weil sie in dem guten Glauben ist wirklich das allerbeste für Jane zu tun, oder vielleicht doch eher, weil diese damit droht es jedem zu erzählen wie sie behandelt wurde?


    Als sie nach Lowood kommt hat man das Gefühl, es beginnt eine Internatsgeschichte wie die, die sicher viele aus ihrer Jugendzeit kennen (da gibts ja weiß Gott genug). Helen sticht fast wie eine Heilige zwischen allen Figuren heraus, ihr direkt nach folgt Miss Temple, die für Jane Vorbild und Mutterfigur wird.


    Ich besitze ebenfalls die Reclam-Ausgabe. Es wird dort drauf hingewiesen, das praktisch die komplette Zeit in Lowood ein sehr genauer Bericht von Charlotte Brontes eigener Schulzeit in "Cowan Bridge", einer Schule für Töchter von Geistlichen, ist. Die Rolle der Helen ist dabei, wie schon erwähnt wurde, in Wirklichkeit ihre Schwester Maria. Sowohl die schlechte Behandlung durch Miss Scatcherd als auch ihr ganzes Wesen und viele der Dialoge sollen dabei so wirklichkeitsgetreu und wörtlich wie nur möglich gewesen sein. Auch die ganzen Verhältnisse in und um Lowood. Die Figur der Miss Temple hat dabei auch eine wirkliche Entsprechung in der damaligen Leiterin von Cowan Bridge, Miss Anne Evans. Dieser Abschnitt des Buches scheint also tatsächlich in größtem Maße ein autobiografischer zu sein.

    „Furcht führt zu Wut, Wut führt zu Hass. Hass führt zu unsäglichem Leid.“

    - Meister Yoda

  • Ich habe den ersten Teil jetzt auch geschafft. Es ist wirklich sehr gut geschrieben. Die Lust am lesen wird einem nicht genommen, wie bei so manch anderem Klassiker.
    Ich würde sofort weiterlesen, leider habe ich im Moment so wenig Zeit dafür.


    Paradise Lost :
    Danke für die Zusatzinfos. :-)
    In meinem Buch gibt es die ja nicht, ist aber sehr interessant zu erfahren, welche Teile autobiografisch sind und wo sie ihre Fantasie spielen lässt. Man sieht die Geschichte dann auch mit anderen Augen.

  • Ich finde es traurig, das Jane und Helen sich in Bezug auf Tante und Lehrerin mühen und trotzdem nicht die Anerkennung gewinnen, die sie brauchen. Interessant, welche Wirkung das haben kann. Jane steigt ihrer Tante schließlich aufs Dach und gewinnt einen Kampf, Helen sucht die Schuld weiterhin bei sich. Aber die Frage ist, was bringen Tante und Lehrerin dazu so handeln? Ist es Verachtung gegenüber den Ärmeren, Schwächeren? Und machen es Unterwürfigkeit oder Aufmüpfigkeit, jede für sich, nicht noch schlimmer? Ist es da nicht besser, aufmüpfig zu sein um sich selbst noch leiden zu können? Ich schätze, ich kann Helens Lebenshaltung nicht viel abgewinnen.


    Zitat

    Paradise Lost: trifft es sie, weil sie in dem guten Glauben ist wirklich das allerbeste für Jane zu tun, oder vielleicht doch eher, weil diese damit droht es jedem zu erzählen wie sie behandelt wurde?


    Ich vermute letzteres. Und dazu die Gewissensbisse wegen akuter Nichteinhaltung eines Versprechens.


    Morgaine
    Die Sache mit dem Kirchenmann hat mich auch nachdenklich gemacht. Warum führt er so ein Haus, wenn ihm die Nächstenliebe nicht gerade auf der Nase geschrieben steht. Von Bescheidenheit ganz zu schweigen. Ich dachte auch daran, dass ein Teil der Spenden vielleicht in die Perlen seiner Töchter wandern. Der Gegensatz zwischen Anspruch an seine Mündel auf maximale Bescheidenheit und dem gleichzeitigen auftreten seiner reich geschmückten Familie scheint ihm selbst nicht mal bewusst zu sein. Bigotterie, oder wie man es nennt.

  • @ Paradise Lost


    Danke für die Infos aus der Reclam-Ausgabe! Ich hatte mir schon gedacht, dass gerade die Schulzeit stark autobiografisch war. Bin gespannt, ob dein schlaues Buch auch zu den weiteren Geschehnissen Parallelen zu Brontés Leben entdeckt. Ich denke da speziell an eine Person, die sehr lebensecht dargestellt wird... :-)

  • Ich hinke furchtbar hinterher, aber ich kann wegen einer sehr gedehnten Gelenkkapsel und eines vermuteten Sehnenanrisses in der Schulter im Bett gar nicht und im Sitzen nur kurz lesen, deshalb habe ich gerade erst die ersten acht Kapitel auf Englisch beendet.
    Das Buch spricht mich sehr an. Ich will es auf jeden Fall zuende lesen, auch wenn das dauert.
    Noch ein paar Anmerkungen von mir dazu:


    Zitat

    Original von Waldfee


    Der Schulleiterin Miss Temple scheint ein anderer Geist innezuwohnen. Sie kennt Mitgefühl und Gerechtigkeit und ist obendrein eine hervorragende Lehrerin, aber sie wagt es nicht, sich offen gegen Mr. Bocklehurst zu Wehr zu setzen. Auch sie wird ihre Lektion vom bedingungslosen Gehorsam gelernt haben...


    Ich glaube eher, sie hat gelernt, wie man sich den Anschein des Gehorsams gibt ( Kragen) und trotzdem das maximale für die Mädchen rausholt. Sie wusste schon, als sie ein "zweites Frühstück" servieren lies, dass sie sich dafür verantworten muss.




    Zitat

    Original von Liesbett


    Morgaine
    Die Sache mit dem Kirchenmann hat mich auch nachdenklich gemacht. Warum führt er so ein Haus, wenn ihm die Nächstenliebe nicht gerade auf der Nase geschrieben steht. Von Bescheidenheit ganz zu schweigen. Ich dachte auch daran, dass ein Teil der Spenden vielleicht in die Perlen seiner Töchter wandern. Der Gegensatz zwischen Anspruch an seine Mündel auf maximale Bescheidenheit und dem gleichzeitigen auftreten seiner reich geschmückten Familie scheint ihm selbst nicht mal bewusst zu sein. Bigotterie, oder wie man es nennt.


    Ich denke, er muss es tun, da die "Institution" von seiner Mutter gegründet bzw. erweitert wurde .

    :lesendR.F. Kuang: Babel


    If you don't make mistakes, you're not trying hard enough. (Jasper Fforde)

  • Zitat

    Original von Nachtgedanken
    Ich denke, er muss es tun, da die "Institution" von seiner Mutter gegründet bzw. erweitert wurde .


    Sicher hat er die familiäre Pflicht übernommen, aber ihm Anvertraute zu demütigen und hungern zu lassen und denen seine modern gekleidete und gut genährte Familie vorzuführen, lässt eine grausame Form der Dummheit und Selbstgerechtigkeit vermuten.

  • Für weiteführenede Informationen über Charlotte Bronte ist mit Sicherheit auch die Biographie ihrer Freundin Elizabeth Gaskell gut geeignet (auf diese wird auch in den Amerkungen von Reclam immer wieder Bezug genommen). Gerade habe ich gesehen, dass es diese zur Zeit bei jokers.de für 5,95 gibt.

    „Furcht führt zu Wut, Wut führt zu Hass. Hass führt zu unsäglichem Leid.“

    - Meister Yoda

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  • Ach, bin auch etwas verspätet da, denn ich hab diese Leserunde ja ganz verpasst :wow
    Nun, ich habs grad im feber das letzte mal gelesen, und denk mir, ich kann noch mitreden.
    Ich liebe den Lowood-teil der geschichte am meisten.
    Mr. Brocklehurst kann man so richtig hassen :hau


    ich las diese version:

    DC :lesend


    Heinrich August Winkler: Geschichte des Westens I


    ...Darum Wandrer zieh doch weiter, denn Verwesung stimmt nicht heiter.
    (Grabinschrift F. Sauter )

    Dieser Beitrag wurde bereits 1 Mal editiert, zuletzt von MagnaMater ()

  • Die Jane Austen Leserunde hat mich noch etwas von dem Buch mental abgehalten und so konnte ich mich erst jetzt an das Buch heranwagen. Bisher bin ich aber positiv überrascht. Das Buch liest sich sehr flüßig und es erscheint mir im Vergleich zur Jane Austen Leserunde nicht um so - aus meiner Sicht - belanglose Themen zu gehen.


    Die Atmosphäre im Haus der Weeds ist düster. Besonders überrascht hat mich, dass John selbst als Jane schon geblutet hat keine Reue gezeigt hat. Sollte das für einen 14 Jährigen nicht schon eine solche Hemmschwelle sein, wenn er sieht, dass sein Opfer durch ihn zu bluten beginnt, dass er von seinem Opfer abläßt?
    Aber die Beschreibung seiner Lieblingsaktivitäten in Kapitel 2 läßt erahnen, dass er hier nicht zimperlich ist.


    Interessant dargestellt finde ich, wie Jane dagegen aufbegehrt. Zuerst überlegt sie sich, dass sie in Hungerstreik geht und zur Bestrafung der anderen stirbt.
    Bevor sie das Haus verläßt sagt sie Mrs. Weed ihre Meinung.

  • Ich wusste bisher nicht, dass die Institution von der Mutter gegründet worden war. :wow
    Aber Joschi hat Recht. Kein Grund.


    Trotz etwas gegenteiliger Meinung zu Austen pflichte ich taciturus zu, dass die Themen in diesem Buch gewichtig und nah am "normalen" Leben sind, weil sie vielfach auch die unangenehmen Dinge der damaligen Zeit und Gesellschaft behandeln. Gegenüber den inneren Befindlichkeiten der Menschen werden hier vor allem auch ihre äußeren Übel und die Vielfalt der Charaktere geschildert, über alle Schichten hinweg. Schülerinnen, Lehrerinnen, Pfarrer, Dienstboten, Gouvernanten ... Was in den anderen Büchern als Randfiguren vorkommt gewinnt in Brontes Buch die Hauptrolle. Leute sterben und leiden, es gibt große und kleine Freuden, Pläne gehen in Erfüllung oder auch nicht, Probleme sind etweder federleicht kindlich oder lebensbedrohlich, kurzum, es ist ein pralles Buch, aber trotzdem eines der leisen Töne. Und die Leute haben fast alle etwas zu tun. :grin

  • Zitat

    Original von Nachtgedanken



    Ich glaube eher, sie hat gelernt, wie man sich den Anschein des Gehorsams gibt ( Kragen) und trotzdem das maximale für die Mädchen rausholt. Sie wusste schon, als sie ein "zweites Frühstück" servieren lies, dass sie sich dafür verantworten muss.


    Da muss ich dir Recht geben. Ganz so gehorsam war Miss Temple dann doch nicht immer...